Выбрать главу

Während sie aß, untersuchte er den Fuß, der sich in der Schlinge verfangen hatte. Es waren eine einfache Schleifen-Schlinge, in der Kaninchen und Hasen sich mit dem Kopf verfangen sollten. Beim Versuch, sich zu befreien, hatte die Schlinge sich noch enger zugezogen – was an sich auch beabsichtigt war –, sodass sie tief ins Bein eingeschnitten und eine böse, blutige Wunde verursacht hatte. Er glaubte sogar, das Weiße des Knochens zu sehen.

Was nun? Er konnte sie betäuben und zum Basislager zurückbringen. Doch war sie kein Beutetier wie ein Kaninchen oder Hase – sie war auch kein wissenschaftlich interessantes Exemplar wie der große, fast flugunfähige Sittich, den Sidewise erbeutet hatte, als er am Ufer eines stillen Teichs umhergestakst war. Dies war ein Mensch, wie auch immer er aussah. Und dann erinnerte er sich wieder an diese Schwangerschaftsstreifen, die ihm sagten, dass sie mindestens ein Kind hatte, das irgendwo auf sie wartete.

»Bin ich tausend verdammte Jahre weit gereist, nur um dein Leben zu ruinieren, wie ich meins ruiniert habe? Das glaube ich, verdammt noch mal, nicht«, murmelte er. »Ich bitte um Entschuldigung.« Und dann sprang er auf sie.

Es geriet wieder zu einem Ringkampf. Er drückte sie auf den Boden, sodass sie mit dem Gesicht nach unten lag und die Arme unter ihr eingeklemmt waren. Dann setzte er sich auf ihren Rücken, durchtrennte mit dem Schweizer Messer die Schlinge und zog sie aus der blutigen Wunde, in die sie so tief eingeschnitten hatte. Nun griff er auf seine wertvollen Vorräte zurück und befreite die Wunde mit einer antiseptischen Flüssigkeit von Schmutz, geronnenem Blut und Eiter, wobei er sogar noch Haare herausziehen musste. Zum Schluss behandelte er sie noch mit einer medizinischen Dichtmasse und Salbe. Vielleicht würde sie das Zeug solang drauflassen, bis die Wunde desinfiziert war.

In dem Moment, wo er sie losließ, war sie auch schon weg. Er sah nur noch eine aufrechte, schlanke Gestalt durchs hohe Gras auf die Bäume zuhuschen; obwohl sie humpelte, war sie immer noch verdammt schnell.

Es war schon später Nachmittag. In der Dunkelheit sollten sie sich nicht allein von der Basis entfernen: Das hatte Ahmed ihnen ausdrücklich befohlen. Am liebsten wäre er der Frau in die grünen Mysterien des Waldes gefolgt. Aber er wusste, dass er das nicht tun durfte. Bedauernd sammelte er seine Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Rückweg zum Basislager.

Snowy war der Letzte, der an jenem Abend wieder zur Gruppe stieß.

Sie hatten beschlossen, sich in der Nähe eines Sees niederzulassen, der ein paar Kilometer von der zerstörten Stadt entfernt war. Der Ort lag im Windschatten eines gedrungenen, kegelförmigen Hügels – er war offensichtlich künstlichen Ursprungs, vielleicht ein Hügelgrab aus der Eisenzeit oder vielleicht auch nur eine Müllkippe.

Ahmed versammelte sie um den Stumpf eines umgestürzten Baums, auf dem er fast wie ein König thronte. Snowy wollte den anderen von seiner aufregenden Begegnung erzählen. Aber sie waren nicht in der richtigen Stimmung dafür. Also setzte er sich nur hin.

Moon hatte sich im Verlauf der Zeit immer mehr in sich zurückgezogen; nun saß sie Ahmed im Schneidersitz gegenüber und hatte den Blick abgewandt. Dennoch stand sie wie immer im Mittelpunkt und war das Objekt stiller Begierde. Sidewise markierte wieder den geistesabwesenden Träumer, aber er saß Moon gegenüber, und Snowy sah, wie sein Blick über ihre Hüften und die Wade streifte, die überm Stiefel hervorblitzte. Ahmed selbst saß in erhöhter Position neben dem Mädchen auf dem Baumstumpf, als ob sie ihm gehörte.

Bonner war derjenige, der aus seiner Begierde für Moon kein Hehl machte. Er saß verlegen und verkrampft da; im Gesicht hatte er ein Tarnmuster aus Lehm. Er sah selbst wie ein Tier aus, sagte Snowy sich, und schien nur mit größter Mühe noch einen Rest von Disziplin wahren zu können.

Snowy sah, dass die Gruppe zerfiel und auseinanderdriftete – breite Verwerfungslinien zogen sich durch das vorher eng geknüpfte Beziehungsgeflecht. Sie hatten kaum noch etwas mit der ängstlichen Gruppe der Marineflieger gemeinsam, die sich in jener ersten Nacht in der zerstörten Kirche zusammengedrängt und die Rationen gefuttert hatte. Sie würden sich vielleicht gegenseitig wegen Moon umbringen, falls Moon sie nicht vorher tötete.

Und Ahmed, ihr Anführer, war sich dessen nicht einmal bewusst. Er lächelte sogar. »Ich habe mir Gedanken über die Zukunft gemacht«, sagte er.

Sidewise stieß ein dumpfes Stöhnen aus.

»Ich meine, über die fernere Zukunft«, sagte Ahmed. »Über die nächsten paar Monate hinaus, sogar über die nächsten paar Jahre. Auch wenn wir den nächsten Winter überstehen, es werden harte Zeiten für unsre Kinder.«

Bei der Erwähnung der Kinder warf Snowy einen Blick auf Moon. Sie schaute auf ihre verschränkten Hände.

Ahmed sagte, dass in der Phase der Industrialisierung – und vor allem während der letzten paar verrückten Jahrzehnte – die Menschheit alle verfügbaren fossilen Brennstoffe verfeuert hatte: Kohle, Erdgas und Öl. »Die fossilen Brennstoffe entstehen wahrscheinlich schon wieder neu. Das wissen wir. Aber es dauert sehr lange. Das Zeug, das wir in ein paar hundert Jahren verbrannt haben, benötigte vierhundertfünfzig Millionen Jahre zu seiner Entstehung. Aber es wird trotzdem genug Brennstoff für unsere Nachfahren geben«, sagte er. »Torf. Torf entsteht, wenn Sumpfmoose, Seggengräser und andere Pflanzen sich unter Sauerstoffausschluss in Feuchtgebieten zersetzten. Stimmt’s? Und in manchen Teilen der Welt wurde bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts Torf als Brennmaterial gestochen.«

»In Irland«, sagte Sidewise. »Und in Skandinavien. Aber nicht hier.«

»Dann gehen wir eben nach Irland oder nach Skandinavien. Oder vielleicht finden wir ihn auch hier. Die Bedingungen haben sich nämlich grundlegend verändert, seitdem wir in den Kälteschlaf gegangen sind. Und überhaupt, wenn wir keinen Torf finden, dann werden wir eben etwas anderes finden. Uns gehört schließlich die ganze Welt.« Er tippte sich an die Schläfe. »Und wir haben noch immer unsre Intelligenz und unsren Einfallsreichtum.«

»Um Gottes willen«, platzte Sidewise heraus. »Ahmed, hast du es immer noch nicht begriffen? Wir sind nicht mehr als ein Haufen Ausgestoßener – Ausgestoßene in der Zeit. Um Himmels willen, Mensch, wir haben nur eine einzige Gebärmutter bei uns.«

»Meine Gebärmutter«, sagte Moon nun, ohne aufzuschauen. »Meine Gebärmutter. Du verdammter Wichser.«

»Sumpfeisen«, sagte Ahmed ungerührt.

Sie schauten ihn verständnislos an.

»In Sümpfen und Marschen entsteht Eisenoxid«, sagte Ahmed. »Wenn eisenhaltiges Grundwasser mit der Luft in Berührung kommt – nun, dann rostet es. Richtig, Sidewise? Die Wikinger hatten sich das schon zunutze gemacht. Wieso nicht auch wir…?«

Während sie die Diskussion fortführten, richtete Snowy den Blick aufs dämmerige Grün des nahen Walds. Sidewise hat Recht, sagte er sich. Wir sind durch einen Zufall hierher verschlagen worden, wie eine Art Echo. Wir werden genauso verrotten und vom Grün verschlungen werden wie die zerstörten Gebäude, und unsre Knochen werden mit den Milliarden anderer bleichen, die schon im Erdboden begraben sind. Und es wird auch kein Hahn nach uns krähen. Wenn er es nicht zuvor schon im tiefsten Innern gewusst hatte, so war er spätestens nach der Begegnung mit dem Affen-Mädchen davon überzeugt. Sie ist die Zukunft, sagte er sich; das sprachlose Kind der Wildnis.

Als sie auseinander gingen, nahm Snowy Sidewise auf die Seite und erzählte ihm von der wilden Frau.

»Hast du sie gefickt?«, fragte Sidewise sofort.