Sidewise trat vor. »Wir sehen selbst, dass sie verschwunden ist, du Trottel.«
Bonner wollte ihm einen wuchtigen Schlag versetzen. Sidewise gelang es, sich vor der Faust des jungen Piloten wegzuducken, aber er wurde trotzdem an der Schläfe gestreift und zu Boden geworfen.
Snowy rannte zu Bonner und packte ihn von hinten an den Armen. »Um Himmels willen, Bonner, immer mit der Ruhe!«
»Dieser Eierkopf hat sie gefickt. Die ganze Zeit hat er sie gefickt.«
Ahmed wirkte konsterniert, wozu er auch allen Grund hatte, sagte Snowy sich; wenn Moon verschwunden und mit ihr ihre einzige Hoffnung auf Fortpflanzung verflogen war, dann waren seine grandiosen Pläne Makulatur, bevor er sie auch nur ansatzweise in die Praxis umgesetzt hatte. »Aber wieso hätte sie überhaupt verschwinden sollen?«, stöhnte er. »Wieso ist sie allein weg? Was hat das denn für einen Sinn?«
»Was hat das alles überhaupt noch für einen Sinn?«, fragte Snowy. »Wir werden eh alle hier umkommen. Es war von vornherein aussichtslos, Splot. Alles Sumpfeisen der Welt hätte daran nichts geändert.«
Sidewise rang sich ein Grinsen ab. »Ich glaube nicht, dass Bonner sich in diesem Augenblick Sorgen über das Schicksal der Menschheit macht. Nicht wahr, Bonner? Es stinkt ihm doch nur, dass die einzige Pussy auf der Welt verschwunden ist, ohne dass sie ihn auch nur ein einziges Mal rangelassen hätte.«
Bonner holte wieder aus, doch diesmal fiel Snowy ihm gleich in den Arm.
Ahmed schleppte sich hustend in seine Hütte zurück.
Nachdem eine relative Ruhe wiederhergestellt war, ging Snowy zum Gestell, wo sie eine Reihe gehäuteter Kaninchen aufgehängt hatten und bereitete eine Mahlzeit zu.
Bevor das erste Kaninchenragout überm Feuer brutzelte, hatte Bonner schon seinen Rucksack gepackt. Da stand er nun im Abendlicht und wandte sich an Sidewise und Snowy. »Ich verpiss mich«, sagte er.
Sidewise nickte. »Du willst Moon suchen?«
»Was glaubst du wohl, du Scheißkerl.«
»Ich glaube, sie hatte eine gute Ausbildung. Sie wird schwer aufzuspüren sein.«
»Ich werde es schon schaffen«, knurrte Bonner.
»Warte bis morgen«, riet Snowy ihm. »Iss erst mal was. Du begibst dich in der Dunkelheit nur unnötig in Gefahr.«
Doch Bonners Großhirn schien endgültig deaktiviert worden zu sein. Er schaute die beiden hinter seiner Schlammmaske finster an; er wirkte total angespannt. Dann stapfte er davon, wobei der große Rucksack auf dem Rücken auf und nieder hopste.
Sidewise legte noch mehr Fleisch aufs Feuer. »Den haben wir zum letzten Mal gesehen.«
»Glaubst du, dass er Moon finden wird?«
»Nicht, wenn sie ihn kommen sieht.« Sidewise schaute nachdenklich. »Und wenn er sie zwingen will, wird sie ihn töten. Das traue ich ihr zu.«
Das Kaninchen war fast gar. Snowy nahm es vom Feuer und portionierte es auf ihren selbst geschnitzten Holztellern. Wo Bonner und Moon nun nicht mehr da waren, teilte er es in drei Portionen auf.
Er und Sidewise schauten die drei Portionen für eine Weile an. Ahmed war in seiner Hütte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Snowy nahm den dritten Teller und verteilte das Fleisch auf die beiden anderen Teller. »Wenn es Ahmed wieder besser geht, soll er sich selbst etwas zu essen machen. Wenn nicht, können wir auch nichts für ihn tun.«
Dann taten sie sich am Kaninchen gütlich.
»Ich werde morgen aufbrechen«, sagte Snowy schließlich.
Sidewise nahm es schweigend zur Kenntnis.
»Und was ist mit dir? Wohin wirst du gehen?«
»Ich glaube, ich werde eine Forschungsreise unternehmen«, sagte Sidewise. »Ich werde mir die Städte ansehen. London und Paris, falls ich es schaffe, den Kanal zu überqueren. Ich will wissen, was geschehen ist. Es wird aber nicht mehr viel übrig sein. Und der Rest wird wohl so aussehen wie die Ruinen des römischen Reiches.«
»Keines Menschen Auge wird je wieder so etwas schauen«, sagte Snowy.
»Das ist wohl wahr.«
»Und was dann?«, fragte Snowy zögernd. »Ich meine, wenn wir älter werden. Und schwächer.«
»Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein wird«, sagte Sidewise lakonisch. »Die einzige Herausforderung wird darin bestehen, sich auszusuchen, wie man abtreten will. Es gilt sicherzustellen, dass man wenigstens das unter Kontrolle hat.«
»Nachdem man alles gesehen hat, was man sehen will.«
»Was auch immer das ist.« Er lächelte. »Vielleicht gibt es in Paris noch ein paar Fensterscheiben, die ich einwerfen kann. Und ich würde auch gern mal tausend Jahre alten Cognac süffeln. Das würde mir gefallen.«
»Nur dass es niemanden mehr gibt, dem man etwas davon erzählen kann«, gab Snowy zu bedenken.
»Das haben wir doch schon die ganze Zeit gewusst«, sagte Sidewise scharf. »Seit dem Moment, als wir aus der Grube in diesen alten Eichenwald gegangen sind. Es war damals schon offensichtlich.«
»Für dich vielleicht«, sagte Snowy.
Sidewise fasste sich an die Schläfe, wo sich nach Bonners Schlag ein Bluterguss gebildet hatte. »Mein Gehirn arbeitet ohne Unterlass. Und produziert eine sinnlose Schlussfolgerung nach der anderen. Und keine macht einen verdammten Unterschied, keine einzige.
Hör zu. Lass uns einen Pakt schließen. Wir werden einen Treffpunkt ausmachen, an dem wir uns jedes Jahr zu treffen versuchen. Wir werden es vielleicht nicht jedes Mal schaffen, aber dann können wir zumindest eine Botschaft oder so etwas hinterlassen.«
Sie einigten sich auf Stonehenge im Hochland der Salisbury Piain, ein Ort, der sicher noch unverändert war. Als Zeitpunkt legten sie die Sommersonnenwende fest, der mit dem präzisen Zeitgefühl, das Ahmed ihnen vermittelt hatte, leicht einzuhalten war. Das war eine gute Idee. Irgendwie war es eine tröstliche Vorstellung für Snowy, dass seine Zukunft wenigstens ein bisschen strukturiert wäre.
Als sie mit dem Essen fertig waren, war es dunkel. Es war nicht kalt, doch Snowy holte sich trotzdem eine Decke aus geflochtener Rinde und legte sie sich um die Schultern.
»Hey, Side. Ob er nicht doch Recht hatte?«
»Wer denn?«
»Bonner. Hast du Moon wirklich gevögelt?«
»Aber sicher habe ich sie gevögelt.«
»Du Schmecklecker. Ich hatte ja keine Ahnung. Aber wieso gerade du?«
»Atavistische Triebe, Kumpel. Ich glaube, sie war für meine überdurchschnittliche Intelligenz empfänglich.«
»Dann ist unser großes Gehirn wenigstens für etwas gut«, sinnierte Snowy.
»O ja. Dafür war es immer gut. Wahrscheinlich war es von vornherein nur dafür gedacht. Alles andere war nur Beiwerk.«
»Du alter Schmecklecker.«
IV
Snowy folgte den Affenmenschen.
Er lebte nicht so, wie sie lebten. Er benutzte weiterhin seine Schlingen, um Tiere bis zur Größe von Schweinen und kleinen Hirschen zu fangen, und er benutzte Messer und Feuer und Unterstände zum Schutz und zur Jagd. Aber er ging dorthin, wohin sie auch gingen.
Sie unternahmen erstaunlich ausgedehnte Wanderungen durch die großen Wälder, die Südengland bedeckten, Wälder, die die Ruinen von Städten und Kathedralen überwucherten, von Palästen und Parks. Er macht sich Sorgen, wenn er Weena aus den Augen verlor und war froh, wenn er sie wieder fand. Allmählich lernte er alle Mitglieder der kleinen Gruppe kennen. Er gab ihnen Namen, wie Grandpa und Shorty und Doc, und er verfolgte ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen, als ob es sich um eine kleine Seifenoper handelte.
Sie fürchten sich vor den Ratten, den großen Viechern, den Ratten-Wölfen, die in Rudeln zu jagen schienen. Das fand er schnell heraus.
Er fragte sich, wie er wohl auf sie wirkte. Sie waren sich seiner offensichtlich bewusst, aber er gesellte sich nicht zu ihnen oder machte ihnen die Nahrung streitig, die sie sammelten. Deshalb beachteten sie ihn auch nicht weiter. Er war wie ein Geist, sagte er sich, ein Geist aus einer verschwundenen Vergangenheit, der diese neuen Leute verfolgte.