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Wo die Kontinente sich trafen, entstanden neue Gebirgszüge. An der Stelle des einstigen Mittelmeers ragte nun eine mächtige Bergkette auf, die sich nach Osten bis zum Himalaja erstreckte. Damit gehörte das uralte Tethys-Meer endgültig der Vergangenheit an. Die Spuren des antiken Roms waren getilgt worden: Die Gebeine von Kaisern und Philosophen gleichermaßen waren zermahlen, pulverisiert und mit dem Erdreich vermengt worden. Doch wo Berge entstanden, wurden andere abgetragen. Der Himalaja war bis zur Unkenntlichkeit erodiert und eröffnete neue Wanderwege zwischen Indien und Asien.

Nichts von alledem, was die Menschheit in ihrer ebenso kurzen wie blutigen Geschichte zustande gebracht hatte, hatte in dieser lang währenden geografischen Umwälzung Bestand.

Inzwischen hatte die sich selbst überlassene Erde eine Reihe physikalischer, chemischer, biologischer und geologischer Heilungsmechanismen entwickelt, um sich von den verheerenden Eingriffen der menschlichen Bewohner zu erholen. Luftschadstoffe waren vom Sonnenlicht zerlegt und aufgelöst worden. Sumpferz hatte einen großen Teil der Metallabfälle absorbiert. Die Vegetation hatte aufgegebene Kulturlandschaften zurückerobert, Wurzeln hatten Beton und Asphalt aufgebrochen, und Gräben und Kanäle waren überwuchert worden. Erosion durch Wind und Wasser hatten den endgültigen Zusammenbruch der letzten Gebäude herbeigeführt und alles zu Sand pulverisiert.

Und die unerbittlichen Prozesse der Variation und Selektion hatten sich angeschickt, eine entleerte Welt wieder aufzufüllen.

Die Sonne stieg höher. Obwohl Erinnerung an diesem Tag schon so viel erlebt hatte, war es immer noch nicht Mittag.

Sie war auf einer grasbewachsenen Ebene mit ein paar Gruppen von Bäumen und Sträuchern und einem braunen Borametz-Hain, der neuen Baumart, gestrandet. Im Hintergrund erhoben sich purpurne vulkanische Hügel. Hier, im Regenschatten dieser Erhebungen, fiel Regen nur selten und unregelmäßig. Der Erdboden war ausgetrocknet; unter solchen Bedingungen vermochten Bäume keine Wurzeln zu schlagen, sodass die Gräser ihre alte Herrschaft fortsetzen… fast. Es entwickelten sich sogar Pflanzen-Gemeinschaften. Und den Gräsern waren mit den Borametz-Hainen neue Konkurrenten erwachsen.

Der Baum, der ihren Sturz gebremst hatte, trug keine Früchte und klammerte sich im trockenen Boden dieses Graslands ans Leben. Es gab hier nichts zu essen, nichts außer Skorpionen und Käfern, die unter den Steinen lebten. An denen tat sie sich gütlich.

Sie machte in der flimmernden Hitze einen Waldstreifen aus, der sich über diese fernen purpurnen Hügel zog. Vage wurde sie sich bewusst, dass sie, falls sie dorthin zu gelangen vermochte, in Sicherheit wäre und vielleicht Nahrung fand – vielleicht sogar Leute von ihrer Art.

Doch der Wald war weit entfernt. Erinnerungs Urgroßmütter hätten dieses Stück offener Savanne leicht überquert. Nicht so Erinnerung. Sie war ein schlechter Läufer. Und wie Capo, ein schimpansenartiger Menschenaffe aus einer anderen Zeit, hatte ihre Art sich wieder eine starke Körperbehaarung zugelegt und das Schwitzen verlernt.

Also saß sie ohne einen Plan da und wartete darauf, dass etwas geschah.

Plötzlich fegte ein schlanker Kopf aus dem ausgewaschen Himmel. Erinnerung schnatterte panisch und ging hinter dem Baumstamm in Deckung. Sie sah schwarze runde Augen, die vor Erstaunen geweitet in einem schmalen, pelzbedeckten Gesicht saßen, zwei lange Ohren und einen eleganten Hals. Es war der Kopf eines Kaninchens – nur dass er so groß war wie der einer Gazelle.

Die Kaninchen-Gazelle gelangte offensichtlich zu dem Schluss, dass der geduckte Hominide keine besondere Gefahr für sie darstellte. Sie weidete weiter das spärliche Gras ab, das im Schatten des Baums wuchs.

Vorsichtig kroch Erinnerung vorwärts.

Nun sah sie, dass ihr Besucher zu einer Herde gehörte, die sich über die Ebene verteilt hatte und genüsslich das Gras abfraß. Sie waren groß, zum Teil doppelt so groß wie sie. Die schlanken, eleganten Tiere sahen aus wie Gazellen, stammten in Wirklichkeit aber von Kaninchen ab, was ihre langen Ohren und weißen Stummelschwänze eindeutig bezeugten.

Die Beine dieser Tiere glichen ebenfalls denen von Gazellen. Die geraden Vorderläufe konnten arretiert werden, um dem Tier einen sicheren Stand zu verleihen. In der Mitte der Hinterläufe hatten diese Kaninchen jedoch zurück gebogene Gelenke, bei denen es sich um Knöchel handelte. Die untere Hälfte des Beins glich einem verlängerten Fuß, der auf zwei hufartigen Zehen ruhte, und das Knie befand sich oben in der Nähe des Rumpfs und war im Fell verborgen. Mit den in Sprinter-Manier angewinkelten Hinterläufen waren die Kaninchen-Gazellen ständig fluchtbereit, worauf es in ihrem Leben hauptsächlich ankam. Während sie grasten, streiften die Jungen um die Füße ihrer Eltern; die Herde blieb dicht beisammen, und es verging keine Sekunde, wo nicht wenigstens eins der erwachsenen Tiere den Blick hätte umher schweifen lassen.

Der Grund hierfür wurde bald offensichtlich. Einer der größeren Böcke schreckte auf und floh. Der Rest der Herde folgte sofort als wirbelnde Schemen in einer Staubwolke.

Eine schlanke schwarze Gestalt schoss aus der Deckung einer Felswand. Es war eine Katze, diesmal jedoch eine mit dem gestreckten, kräftigen Leib eines Leoparden. Der Ratten-Leopard verschwand im Staub und jagte der Kaninchen-Herde hinterher.

Dann kehrte wieder Stille ein. Für eine Weile regte sich nichts auf der Ebene, rein gar nichts außer der flimmernden Luft. Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Doch die Hitze ließ nicht nach, und Durst schnürte Erinnerung die Kehle zu.

Sie kroch aus ihrem Versteck. Ihr überaus menschliches Gesicht mit der geraden Nase, dem kleinen Mund und dem Kinn verzog sich im hellen Licht des Nachmittags. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und sog die Luft ein. Sie hörte ein Träten und das Klappern von Stoßzähnen, das von Osten zu kommen schien – der Sonne abgewandt. Und sie roch Wasser.

Sie schlug diese Richtung ein. Sie lief im Zickzack, rannte von einer Deckung zur nächsten und legte immer wieder einen Zwischenspurt auf allen vieren ein. Diese Tochter der Menschheit rannte wie ein Schimpanse.

Schließlich erklomm sie einen flachen Felsvorsprung aus erodiertem Sandstein. Und blickte auf einen See. Er wurde von Bächen gespeist, die sich von entfernten Hügeln herabschlängelten, doch sie sah auch, dass der See mit Schilf überwuchert war und von einer breiten Schlammpfanne eingerahmt wurde. Sie fand Schutz im Schatten einer Akazie, ließ den Blick schweifen und suchte nach einer Möglichkeit, ans Wasser zu gelangen.

Hier hatten sich, einer alten Gewohnheit folgend, die Pflanzenfresser zum Trinken versammelt.

Sie sah noch mehr Kaninchen. Da waren die scheuen gazellenartigen Geschöpfe von der Art, die sie zuvor schon erblickt hatte. Aber es gab auch schwere, bisonartige Exemplare – und kleinere Kreaturen, die ihnen zwischen den Füßen umherhüpften und -liefen. Doch nicht alle Spezies hatten sich von der Lebensweise ihrer Vorfahren verabschiedet. Es gab noch kleinere Pflanzenfresser, vor allem in den Wäldern, wo wie eh und je kleines Getier umherwuselte.

Warzenschweine schnüffelten und schnaubten am schlammigen Ufer des Sees; sie schienen sich im Lauf der Zeit überhaupt nicht verändert zu haben. Wenn keine Notwendigkeit zur Anpassung bestand, war die Natur konservativ. Und dann machte Erinnerung riesige, träge Kreaturen aus, die gemächlich durchs flache Wasser stapften. Sie waren mit den Ziegen verwandt, denen sie im Wald begegnet war, doch das waren Riesen mit säulenartigen Beinen und Hörnern, die wie Mammutstoßzähne gekrümmt waren. Sie hatten keine Rüssel – keiner dieser Wiederkäuer hatte diesen besonderen anatomischen Trick entwickelt, doch dafür hatten sie lange Hälse wie Giraffen, mit denen sie an die saftigen Blätter niedriger Äste gelangten oder Wasser aus dem See pumpten.