Es waren hässliche Karikaturen von Elefanten. Und sie hatten sich nicht aus Ziegen und Schweinen entwickelt. Aus nach vorn gerichteten, großen dunklen Augen unter dicken Brauenwülsten schauten sie verwirrt und ängstlich in die Welt. Sie gingen auf allen vieren, wobei sie sich aber auf den Knöcheln abstützten; eine Körperhaltung, die man einst als Knöchel-Gang bezeichnet hatte.
Wie bei Erinnerung waren auch ihre Vorfahren Menschen gewesen.
Erinnerung wartete, bis die großen, trägen Tiere die Tränke erreicht hatten. Sie schubsten sich gegenseitig an und entfalteten die Ohren in der sich abkühlenden Luft des Nachmittags. Dann kroch sie davon.
Es hatte Millionen Jahre gedauert, bis die Renaissance des Lebens abgeschlossen war.
Heute zog sich im Norden von Erinnerungs tropischem Wald ein Band aus klimatisch gemäßigtem Waldland und Grasland um die Erde, das sich von Europa-Afrika über Asien bis nach Nordamerika erstreckte. Hier huschten noch mehr Kaninchen-Arten durchs kühle Blattwerk, während Tiere wie Igel und Schweine im Unterholz wühlten. Auf den Bäumen lebten Vögel, Eichhörnchen und jede Menge Fledermäuse. Diese vielgestaltige Gruppe von Säugetieren hatte sich vermehrt und eine beachtliche Formenvielfalt ausgeprägt – nun gab es nachtaktive Flugtiere, die gar keine Augen mehr hatten und andere, die gelernt hatten, mit den Vögeln ums reichhaltige Nahrungsangebot des Tages zu konkurrieren.
Noch weiter nördlich wuchsen Koniferenwälder, immergrüne Bäume, deren stachlige Blätter auch den letzten Rest von Sonnenlicht auffingen. Pflanzen fressende Tiere ernährten sich im Sommer von jungen Trieben und Nadeln und für den Rest des Jahres von Rinde, Moosen und Flechten. Viele von ihnen waren Ziegen. Weit verbreitet waren die an Hadrosaurier erinnernden Entenschnabel-Lebensformen. Zu den Räubern gehörten die allgegenwärtigen Mäuse und Ratten, aber es gab auch Fleisch fressende Eichhörnchen und große Raubvögel, die den Pterosauriern der sauerstoffreichen Kreidezeit-Luft nachzueifern versuchten.
An der nördlichen Peripherie der Kontinente hatte sich ein Tundra-Gürtel ausgebildet. Hier fraßen die Nachfahren von Schweinen und Ziegen im Sommer das spärliche Blattwerk ab und scharten sich im Winter zu dichten Gruppen zusammen. Wie die verschwundenen Mammuts waren einige dieser Kreaturen immer größer geworden, um die Wärme besser zu speichern, bis sie sich schließlich zu häusergroßen Fleischbrocken entwickelt hatten. Die räuberischen Ratten der Tundra hatten ihre Schneidezähne in große Klingen verwandelt, mit denen sie diese dicken Fell- und Fettschichten zu durchdringen vermochten. Sie hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Säbelzahntigern früherer Zeiten. Es gab sogar Populationen von Wander-Fledermäusen, die gelernt hatten, sich von den riesigen Insektenschwärmen zu ernähren, die der kurze Tundra-Frühling hervorbrachte.
Natürlich würde keine dieser Spezies jemals einen von Menschen vergebenen Namen tragen.
Diese letzte Auferstehung des Lebens unterschied sich jedoch in einem Punkt grundlegend vom letzten großen Trauma nach Chicxulub. Die Nagetiere hatten sich damals erst ein paar Dutzend Jahrmillionen nach dem Einschlag des Kometen entwickelt. Als nun der Tag der Wiederauferstehung kam, waren die Nager schon da.
Nagetiere waren formidable Konkurrenten. Sie wurden mit Nage-Schneidezähnen geboren. Diese Zähne waren tief in starken Kiefern verwurzelt: Einst hatten Ratten sich sogar durch Beton zu beissen vermocht. Diese Zähne ermöglichten es ihnen, so harte und zähe Nahrung zu fressen, die für andere Säugetiere ungeeignet war. Aber die Nagetiere verfügten auch über eine erstaunliche Fähigkeit zur Vermehrung und Anpassung. Nagetiere lebten kurz und pflanzten sich jung fort. Selbst bei den Riesen-Spezies wie den Ratten-Leoparden hatten die Weibchen nur kurze Tragzeiten und produzierten große Würfe. Viele dieser Jungen starben zwar, doch jedes einzelne dieser toten Babys war Rohmaterial für die gnadenlosen Prozesse der Adaption und Selektion.
In den leeren Räumen, die wieder aufzufüllen waren, entwickelten die Nagetiere sich schnell. In der großen Wiederauferstehung nach dem Verschwinden der Menschheit waren die Nagetiere die großen Gewinner gewesen. Man konnte die Erde alsbald – zumindest auf dem Land – als ein Königreich der Ratten bezeichnen.
All das hatte den Raum für die Nachkommen der Menschen stark eingeschränkt.
Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der wilden und frechen Nager hatten die Menschenabkömmlinge die Strategie der überlegenen Intelligenz, die ihnen einen solchen Erfolg und zugleich große Katastrophen beschert hatte, aufgegeben. Sie hatten sich zurückgezogen, schützende Nischen gesucht und passive Strategien entwickelt. Manche waren zu kleinen, scheuen und schnell sich vermehrenden Läufern geworden. Sie waren wie Ungeziefer. Manche Gruppen gruben sich sogar in den Boden ein. Erinnerungs Leute hatten sich wieder auf die Bäume der Vorfahren zurückgezogen, doch nun stellten die Ratten ihnen selbst in diesem uralten Schutzraum nach.
Die elefantenartigen Menschen hatten einen anderen Ansatz gewählt: Sie waren so massig geworden, dass sie durch ihre schiere Größe geschützt waren. Allerdings war das auch kein voller Erfolg gewesen. Das sah man an der Konstruktion der gazellenartigen Hinterbeine. Elefanten waren keine schnellen Läufer gewesen, aber das hatten sie auch gar nicht nötig gehabt; in ihrer Zeit hatte nämlich kein Räuber existiert, der es mit einem ausgewachsenen Rüsseltier aufzunehmen vermocht hätte. Unter dem Ansturm der räuberischen Nagetier-Familien hatten die elefantenartigen Menschenabkömmlinge sich jedoch die Fähigkeit zur Flucht bewahren müssen.
Doch nicht einmal das hatte ausgereicht.
Die Maus-Raptoren waren Sozialwesen. Ihr soziales Gefüge war tief verwurzelt und reichte bis zu den Kolonie-Strukturen der Murmeltiere und Präriehunde zurück, die in hierarchischen ›Städten‹ mit Millionen von Tieren gelebt hatten. Sie unternahmen Streifzüge auf der Suche nach Beute und Wasser. Sie stellten Wachen auf. Sie jagten im Verbund. Und sie kommunizierten: Die Erwachsenen verständigten sich mit Schreien, Quieken und Trommelschlägen ihrer kräftigen Schwänze, die weit reichende Erschütterungen durch den Boden schickten.
Die Sozialfähigkeit dieser Raptoren machte sie als Räuber so effektiv, dass die Menschenabkömmlinge ihnen einfach nichts entgegenzusetzen hatten. Die Anzahl der großen Pflanzenfresser war stetig geschrumpft.
Aber das war freilich auch schlecht für die Raptoren. Und so hatten im Lauf der Zeit die Elefantenartigen und die Maus-Raptoren eine Art Symbiose entwickelt. Die Maus-Raptoren lernten, die Herden der tumben Elefantenartigen zu schützen. Ihre Anwesenheit schreckte andere Räuber ab. Durch ihr Verhalten und Signale warnten sie die Elefantenartigen vor Gefahren, zum Beispiel vor Feuer. Sie lernten es, sie zu Wasserstellen und guten Weidegründen zu führen.
Alles, was die Raptoren im Gegenzug verlangten, war ein Anteil am Fleisch.
Die Elefantenartigen ließen das alles über sich ergehen. Sie hatten auch keine andere Wahl. Schließlich hatte die Selektion die Elefantenartigen so geformt, dass sie den neuen Bedingungen entsprachen. Wenn die Raptoren die anderen Räuber für einen verjagten, wozu brauchte man dann noch Schnelligkeit? Und wenn sie einem das Denken abnahmen, wozu brauchte man dann noch Intelligenz?
In dem Maß, wie ihre Körper größer geworden waren, war das Gehirn dieser Menschenabkömmlinge geschrumpft, und sie hatten sich der Bürde des Denkens entledigt. Sie glichen nun Hühnern, deren Gehirn zugunsten größerer Mägen und eines effektiveren Verdauungssystems geopfert worden war. Das war aber gar nicht mal so schlecht, wenn man sich erst daran gewöhnt hatte. Unter der unwissentlichen Führung der Maus-Raptoren war ihre Anzahl sogar wieder angestiegen. Es war gar nicht so schlecht, so lang man wegschaute, wenn einem die Eltern, Geschwister oder die eigenen Kinder genommen wurden.
Es war eigentlich kein schlechtes Leben, von Nagetieren wie von Hirten behütet – und verzehrt zu werden.