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Aber die Sonne war eine große lodernde Scheibe, die Hitze und Licht auf die Erde schleuderte. Sie war viel heller als in der Vergangenheit. Jeder menschliche Beobachter hätte sich im Vorhof der Hölle gewähnt.

Unter dem grellen Licht lastete die Hitze Tag und Nacht auf dem Land. Es gab keine Geräusche außer dem Wind und dem Schaben der paar Lebewesen; nichts deutete darauf hin, dass es jemals anders ausgesehen hätte auf diesem roten Planeten. Das Land fühlte sich leer an; es war eine riesige Arena hallender Stille, eine Bühne, von der die Darsteller abgetreten waren.

Tief unter dem Staub, in dem Ultima wühlte, lag – unter den Ablagerungen einer halben Milliarde Jahren, unter dem Salz und Sandstein von Neu-Pangäa – das Gebiet, das man als Montana gekannt hatte. Ultima war nicht oberhalb von Hell Creek, wo die Knochen von Joan Usebs Mutter in den Schichten, die sie so sorgfältig durchsucht hatte, sich schließlich mit denen der Dinosaurier und urzeitlichen Säugetieren vereinigt hatten.

Ultima wusste nichts von ihrem besonderen Platz in der Geschichte und verstand ihn noch viel weniger. Sie gehörte nämlich zu den Letzten ihrer Art.

Ultima ging nach Hause. Ihr Zuhause war eine Grube im harten Gestein. Sie bot ein wenig Schutz vorm Wind. Hier fristeten Ultima und ihre Art ihr Dasein.

Die Grube mutete künstlich an. Der Boden war glatt, und die terrassierten Wände waren steil. Die Grube war nämlich ein Steinbruch, den menschliche Wesen vor einer halben Milliarde Jahren angelegt und tief ins Urgestein getrieben hatten. Selbst nach dieser langen Zeit, nachdem Berge entstanden und vergangen waren, war der Steinbruch noch fast unversehrt – ein stummer Zeuge menschlicher Tatkraft.

Vereinzelte Bäume wuchsen auf dem Boden der Grube. Sie standen majestätisch da, wie Wächter und wurden von Termiten-Kolonien umringt, deren Hügel sich überall auftürmten. Es waren kleine, hässliche Bäume, die der Zeit trotzten. Hier lebte kaum etwas außer den Leuten und unzähligen winzigen Kreaturen, die im Staub wühlten.

Als Ultima die Wände der Grube hinunterstieg, drehte der Wind und wehte nun aus Westen, aus der Richtung des Binnenmeers. Allmählich stieg die Luftfeuchtigkeit an. Und schließlich türmten sich über den abgetragenen Bergen im Westen dunkle Gewitterwolken auf.

Ultima schaute in den Himmel. Seit Ultimas Lebzeiten hatte es hier noch nicht geregnet. Die meisten Wolken, die vom fernen Meer kamen, hatten sich längst abgeregnet, bevor sie einen Ort wie diesen im Innern des Superkontinents erreichten. Es bedurfte schon eines sehr starken Sturms, um in diese endlosen Weiten der trockenen Ebene einzubrechen – eines ›Jahrhundert-Sturms‹. Und genau ein solcher Sturm zog nun auf. Man spürte es, dass etwas nicht stimmte – es lag in der Luft.

Die Leute eilten zu ihrem Baum zurück und flüchteten sich in den Schutz der Äste. Für ihre Begriffe eilten sie, aber sie bewegten sich dennoch mit einer behäbigen Trägheit, als ob sie durch die flimmernde Luft wateten.

Ultima sah mit ihren zehn Jahren aus wie ein kleiner Affe. Sie hatte lange Gliedmaßen, einen dünnen Rumpf und schmale Schultern: Selbst jetzt, bei diesen entfernten Nachfahren der Menschen, hatte der grundlegende Bauplan der Primaten noch Bestand. Der schlanke Leib war mit einem dichten roten Fell überzogen, das so rot war wie der Sand. Sie hatte einen kleinen Kopf mit einem dicken Brauenwulst und einem beweglichen, ausdrucksstarken Gesicht – es war ein erstaunlich menschliches Gesicht. Kleine Hautlappen in der Art von Augenlidern bedeckten Augen, Nase, Anus und Vagina, um die wertvolle Feuchtigkeit zu speichern. Sie hatte eine hohe Stirn, fast als ob ihre Art wieder das große Gehirn des Menschen-Zeitalters ausgeprägt hätte, doch dahinter befand sich nur poröser Knochen mit einem Verbund aus Nebenhöhlen, die als Kühlsystem fürs Gehirn fungierten.

Und obwohl sie schon ausgewachsen war, hatte sie einen kindlichen Körper. Ultima war in funktionaler Hinsicht eine Frau – die Leute gebaren immer noch –, aber es gab keine Männer mehr, und das Geschlecht war ohne Bedeutung. Sie hatte keine Brüste, nicht einmal Brustwarzen. Dieser Tage wurde keine Muttermilch mehr gebraucht, genauso wenig wie die komplexen Strukturen eines großen Gehirns. Der Baum sorgte für sie.

Und sie war kein zweibeiniges Wesen. Das sah man an der Art und Weise, wie sie zum Baum lief: Arme und Beine waren zum Hangeln und Klettern gemacht und die Füße zum Greifen – nicht für den aufrechten Gang. Diese experimentelle Art der Fortbewegung war schon vor langer Zeit ad acta gelegt worden. Im Vergleich zu ihren Ahnen war sie langsam und träge, wie alle ihrer Art.

Am Baum hielt Ultima Ausschau nach ihrer Tochter.

Der blättrige Kokon des Kindes schmiegte sich in eine tiefe Astgabel. Das kleine Mädchen war sicher in weiche weiße Daunen gebettet; orangefarbene Haarsträhnen fielen ihm über die gewölbte Stirn. Während der Saft des Baums durch den fahlen Strang der Bauch-Wurzel strömte, die in ihrem Magen mündete, regte das Kind sich und brabbelte etwas vor sich hin. Es hatte den kleinen Daumen in den Mund gesteckt und träumte grüne Träume.

… Etwas stimmte nicht. Ultima war zwar keine begnadete Analytikerin, aber auf ihre Instinkte konnte sie sich verlassen. Sie strich über den zottigen roten Pelz am Bauch des Kindes und strich das flauschige baumwollartige Futter des Kokons glatt. Das kleine Mädchen wimmerte und drehte sich im Schlaf um. Ultima konnte machen, was sie wollte, dieses unbehagliche Gefühl wollte einfach nicht weichen. Nervös richtete sie den Kokon her.

Der Wind schwoll an wie ein machtvoller Atem.

Ultima stieg höher ins schützende Geäst des Baums. Hastig wickelte sie sich in ihren Kokon und schloss den Blatt-Ver-schluss. Die Blätter waren dick und zäh, wie Platten einer ledernen Rüstung. Die anderen Leute taten es ihr nach und richteten sich auf den Ästen ein, sodass es aussah, als ob der Baum plötzlich große schwarze Früchte triebe.

Die Wolken jagten über den Himmel und hielten die sengende Hitze einer allzu heißen Sonne zurück. Ultima schaute zum Himmel hinauf. Neugier war keine verbreitete Regung mehr, wo die Welt über weite Spannen von Zeit und Raum mehr oder weniger unverändert war. Doch heute war ein anderer Tag. Sie hatte die Luft noch nie so feucht, schwer und drückend empfunden und noch nie so dräuend schwarze Wolken gesehen.

Und im letzten Moment, ehe das Unwetter losbrach, sah sie flüchtig etwas anderes.

Auf dieser vom Zahn der Zeit abgenagten Ebene lag eine Sphäre. Sie war doppelt so groß wie sie. Sie war weder blau wie der Abendhimmel noch rostrot wie der Erdboden oder die Farbe des Sands wie die meisten Kreaturen auf der Welt. Stattdessen war sie eine schillernde Mischung aus Purpur und Schwarz, den Farben der Nacht.

An diesem seltsamen Tag war hier etwas Außergewöhnliches erschienen. Sie schaute mit offenem Mund hin, ohne zu begreifen, was sie da sah. Aber sie spürte, dass dieses Ding nicht von ihrer Welt war. In dieser Beziehung hatte sie Recht.

Nun blitzte es, und sie vergrub wimmernd das Gesicht im Grün. Die Blätter schlossen sich um sie und hüllten sie ein. In der Wärme und Dunkelheit wurde die Luft angenehm feucht. Als jedoch die Bauch-Wurzel nach der ventilartigen Öffnung im Bauch, direkt unter dem Nabel tastete, schob sie sie weg. Sie suchte hier nur Schutz und hatte dem Baum heute nichts zu geben.

Und dann brach der Sturm los.

Wind und Staub kamen wie eine rote Wand von Westen angerast. Vertrocknete Pflanzen wurden zerrissen. Selbst die verstreuten, majestätischen Bäume wurden geschüttelt und verloren Äste. Leute und andere Symbionten wurden zu ihrem Entsetzen aus den Kokons gerissen und davon gewirbelt.