Suchomimus sah einen silbernen Fisch, der in Sekunden über ein Dutzend Kilometer versetzt worden war. Er lebte noch und zappelte. Der Magen von Suchomimus knurrte leise. Selbst im Angesicht des Weltuntergangs hatte er Hunger.
Aber der Sturmwind hatte sein Werk noch nicht beendet. Über dem Meer strömte die Luft zurück, um das an der Einschlagstelle entstandene Vakuum auszufüllen. Es war wie ein gewaltiger Atemzug.
Der mit dem Fisch spielende Suchomimus sah die Wand aus Dunkelheit erneut herannahen. Diesmal kam sie jedoch aus dem Landesinnern und war mit Schutt gespickt, mit Erde, Gestein, entwurzelten Bäumen und sogar einem riesigen Tyrannosaurier, der in der Luft umhergewirbelt wurde.
Wieder vergrub Suchomimus sich im Sand.
Das Inferno des Kraters zog immer weitere Kreise, wie Wellen um einen ins Wasser geworfenen Stein. Weiter landeinwärts, wo Riese das Tyrannosauriernest geplündert hatte, hatte die Schockwellenfront eine so lange Schneise geschlagen, dass sie einmal um den Mond gereicht hätte.
Im Gefolge der sich ausbreitenden Wellenfront entstanden Tornados.
Für Riese war der Wirbelsturm eine Röhre aus Dunkelheit, die Himmel und Erde miteinander verband. Zu seinen Füßen wurden splitterartige Gebilde aufgewirbelt und senkten sich wieder herab. Die Vorfahren des Gigantosaurus hatten einen ganzen Kontinent erobert. Riese stellte sich mit wackelndem Kopf auf die Hinterbeine und peilte die nahende Bedrohung an.
Aber das war kein Rivale in Gestalt eines Artgenossen. Der Wirbelsturm kam bedrohlich näher.
Schließlich fokussierte irgendetwas im Bewusstsein von Riese sich auf die Zweige zu Füßen dieses klimatischen Ungeheuers. Diese ›Zweige‹ waren Bäume, Redwoods, Ginkgos und Baumfarne, die wie Tannennadeln verstreut worden waren.
Seine Brüder stellten die gleichen Überlegungen an. Dann wandten die drei sich zur Flucht.
Der Tornado schlug eine Schneise in den Wald, knickte Bäume um und wirbelte Felsbrocken umher. Tiere, die fünf Tonnen und mehr wogen, wurden durch die Luft geschleudert – riesige, träge Pflanzenfresser, die urplötzlich den Bodenkontakt verloren. Die meisten starben am Schock, noch ehe sie wieder auf dem Boden aufschlugen.
Purga schlief in ihrem Bau. Durch die bebende Erde wurde sie wachgerüttelt. Sie und ihr Gefährte nahmen die beiden Jungen in die Mitte und lauschten dem Heulen des Winds, dem Krachen der umstürzenden Bäume und den Todesschreien der Dinosaurier.
Purga schloss verwirrt und erschrocken die Augen und wünschte sich, dass der Lärm verstummte.
Und im Vorgebirge der Rocky Mountains spürte die Azhdarchiden-Mutter die Ankunft des gewaltigen Sturms. Hastig faltete sie die Schwingen zusammen und watschelte auf Knöcheln und Knien zum Nest zurück.
Die Jungen scharten sich um sie, aber sie hatte kein Futter für sie. Die Babys pickten sie zornig. Sie waren noch immer ohne Flügel; die Flügelmembranen mussten sich erst noch entwickeln. Im Moment hatten sie nur labbrige, nutzlose Hautlappen zwischen Flugfingern und Hinterbeinen. Und doch waren sie auf ihre Art schon Schönheiten: Die Schuppen, die sich wie eine Krause um den dünnen Hals zogen – ein Relikt der Reptilienherkunft –, reflektierten schimmernd und funkelnd das Sonnenlicht.
Die Sonne wurde von Wolken verdüstert. So hoch reichten die Tornados zwar nicht. Trotz der großen Entfernung von der Einschlagstelle war die Schockwelle aber noch immer eine massive brodelnde Wand aus aufgewühlter Luft.
Die erste Bö fegte übers Nest hinweg. Die Babys kreischten und taumelten.
Instinktiv spreizte das Muttertier die Schwingen und schwang sich in die Luft. Ein archaischer Imperativ hatte die Oberhand gewonnen. Sie vermochte neue Eier zu legen, wenn sie überlebte. Die unter ihr zurückfallenden Jungen kreischten zornig und ängstlich.
Als die Sturmfront sich näherte, trat ein Moment der Stille ein.
Die Fluggeschwindigkeit des Azhdarchiden fiel abrupt ab. Er drehte sich und spreizte in einer instinktiven Reaktion die Flügel. Er streckte den Flugfinger und das Hinterbein aus und regelte mit leichten Schenkel- und Kniebewegungen die Flügelspannung. Er war ein hervorragendes Fluggerät, ein Apparat aus Sehnen, Bändern, Muskeln, Haut und Pelz, der von Dutzenden Jahrmillionen der Evolution geformt worden war.
Doch das war dem vom Kometen verursachten Sturm egal.
Der Wind traf zuerst das Nest. Es wurde vom Felsvorsprung gefegt und zertrümmert. Die Knochen der Pterosaurier-Opfer – einschließlich der von Zweiter – wurden mit dem Rest der Abfälle durch die Luft gewirbelt. Und die Babys flogen: wenn auch nur kurz, wenn auch nur einmal, wenn auch nur in den Tod.
Und dann hatte die Azhdarchiden-Mutter das Gefühl, gegen eine Wand aus Staub und Dreck zu fliegen, die noch dazu mit Pflanzenresten, Holz und Steinen durchsetzt war. Sie spürte, wie die leichten Knochen brachen und wurde hilflos wie ein Blatt herumgewirbelt.
Wieder rappelte Suchomimus sich auf. Er hatte Schmerzen am ganzen Körper, wo er von umher fliegendem Schutt getroffen worden war – den Trümmern seiner Welt.
Erneut hatte der Strand sein Gesicht verändert. Der Boden war nun mit Schutt von der Landseite übersät, mit Resten zerschmetterter Bäume und zerfetzter Tiere, mit toten und sterbenden Pterosauriern und Vögeln und sogar mit Schlick vom Seeboden. Nichts regte sich – nichts außer sterbender Kreatur und Suchomimus.
Er erinnerte sich an den Fisch, den er hatte verspeisen wollen. Der Fisch war verschwunden.
Über ihm zogen dunkle Wolken wie ein fallender Vorhang am Himmel entlang. Die Sonne verschwand und sollte sich für lange Zeit auch nicht mehr zeigen.
Und im Süden glühte das Firmament in einem unheimlichen Orange. Eine Brise trug einen stechenden, unverkennbaren Geruch heran. Ozon. Der Geruch des Meeres. Suchomimus dachte an plätscherndes Wasser und die glitzernden Fische in den Untiefen. Er musste das Meer erreichen. Er hatte immer vom Meer gelebt; dort wäre er sicher. Mit einem traurigen Laut, den nicht einmal er selbst hörte, folgte er dem Geruch und achtete nicht auf den grausigen Schutt unter den Füßen.
Die Meeresschildkröte hatte Glück gehabt. Als der Komet einschlug, kreuzte sie weit von der Einschlagstelle entfernt über dem Meeresboden.
Ihre Art gehörte zu den primitivsten Reptilienstämmen. Trotzdem war diese Schildkröte ein guter Jäger. Sie war anspruchslos und brauchte nur ein Zwanzigstel der Nahrung wie ein Dinosaurier mit dem gleichen Gewicht. Durch den verstärkten Panzer war sie gut geschützt und ließ auch als Jäger Vorsicht walten. Deshalb bestanden die einzigen Lebensrisiken im alljährlichen Lauf an den Strand, den sie zur Eiablage durchführen musste, um dann wieder in die Sicherheit des Wassers einzutauchen.
Sie hatte ein kleines Hirn mit einem trüben Bewusstsein und lebte allein in einer Welt farbloser Eintönigkeit. Sie hatte keine Bindungen zu ihren Eltern und Geschwistern und wusste auch nicht, dass die Eier, die sie ablegte, eine neue Generation hervorbringen würden. Aber sie war alt, erfahren und geduldig.
Doch nun wurde ihre einsame blaue Welt gestört. Eine gewaltige Strömung zog das Meer nach Süden.
Die Schildkröte tauchte mit heftigen Paddelbewegungen ab. Die durch Tropenstürme von Jahrmillionen geschärften Instinkte sagten ihr, was sie tun musste: zum Meeresboden hinuntertauchen und Schutz suchen.
Doch war dies keine Strömung, wie sie sie bisher erlebt hatte. Sie sah, dass auch viel größere Tiere – sogar riesige Pliosaurier –, die im schlammigen und aufgewühlten Wasser trieben, in diesen starken Strudel gezogen wurden. Beim Tauchen stieß sie mit Schutt, hilflosen Ammoniten, Muscheln, Kalmaren und sogar mit Steinen vom Meeresboden zusammen.