Sie lief davon, den wolkenverhangenen Bergen entgegen.
Ihr Gefährte folgte zögernd. Eins der Jungen lief ihm nach. Das zweite floh entsetzt und verwirrt in den Bau zurück. Es gab nichts, was Purga für das zweite Junge zu tun vermochte. Sie sollte es nie wieder sehen.
Also wanderten die drei kleinen, rattenartigen Geschöpfe, die bereits alle Anlagen der Menschheit in sich trugen, über die verwüstete, schwelende Ebene. Meteore gingen um sie herum nieder.
Das Feuer nährte sich aus sich selbst. Die verstreuten Brandnester vereinigten sich. Als die Lufttemperatur anstieg, entzündete sich sogar das feuchte Unterholz. Wind kam auf, und der Rauch stieg spiralförmig empor. Hier und in ganz Nord- und Südamerika folgten die Brände einer eigenen Logik und entwickelten sich zu selbst erhaltenden und selbst perpetuierenden Systemen.
Daraus entstanden die Feuerstürme. Alles, was brennbar war, geriet in Brand: jedes Fitzelchen der Vegetation und sogar Wasserpflanzen, die noch mit Feuchtigkeit voll gesogen waren. Tiere gingen einfach in Flammen auf: Raptoren brannten wie Zunder, und die großen gepanzerten Pflanzenfresser schmorten in ihren riesigen Gehäusen.
Schließlich brachen die drei Gigantosaurier aus dem Wald und betraten eine Lichtung mit einem großen See in der Mitte. Sie waren überhitzt – das Maul weit geöffnet, den Kopf vom stinkenden Rauch benebelt.
Der offene Himmel bot einen außergewöhnlichen Anblick. Ein schwarzer Deckel raste von Südosten heran, als ob ein riesiger Vorhang zugezogen würde. Dieses unheimliche orangefarbene Glühen breitete sich ebenfalls aus. Es wurde immer heller und tendierte schließlich zu Gelb. Und noch immer schlugen die Meteore in den lehmigen Boden ein.
Am See selbst sahen die Gigantosaurier eine desolate Szenerie.
Panik brach unter den Dinosauriern aus. Herden rivalisierender Entenschnabel-Spezies rannten durcheinander, gepanzerte Ungeheuer wie Ceratops und Ankylosaurier versuchten Land zu gewinnen und Pflanzenfresser rannten neben Räubern her. Es gab sogar Säugetiere, die im Licht schimmerten und zwischen riesigen Füßen umherwuselten. Alle Tiere waren in Panik. Sie verbrannten sich auf dem glühend heißen Boden die Füße und stießen blindlings miteinander zusammen. Das wäre vor ein paar Stunden noch unvorstellbar gewesen. Das fein austarierte ökologische Verhältnis von Pflanzen- und Fleischfressern, von Räuber und Beute, das sich über hundertfünfzig Millionen Jahre herausgebildet hatte, war mit einem Mal wie weggefegt.
Riese stürmte los und bahnte sich, von einem starken Instinkt getrieben, durch die panische Masse einen Weg zum Wasser. Er stürzte sich in den See, ohne die glühenden Trümmer zu beachten, die an der Oberfläche trieben. Die tieferen Schichten waren angenehm kühl. Als er mit dem Kopf schon untergetaucht war, sah er noch, wie Meteore im See einschlugen und im Wasser Blasenspuren hinterließen.
Und nun stieg ein Schemen wie eine Rakete vor ihm auf. Ein großes Maul klaffte weit, und im trüben Wasser sah er kegelförmige Zahnreihen. Er wich zurück.
Das Krokodil hatte reglos und geduldig auf dem Seeboden auf der Lauer gelegen.
Der entfernte Verwandte des im Meer heimischen Deinonychus war von den Auswirkungen dieses turbulenten Tags bisher nicht betroffen. Er hatte wohl das Beben der Erde und die dadurch verursachten Turbulenzen im Wasser gespürt und hatte auch die sonderbaren Lichter am Himmel gesehen. Aber er rechnete damit, diesen Sturm abzureiten wie schon so viele zuvor. Er vermochte den Stoffwechsel im Notfall fast ganz herunterzufahren und für eine Stunde unter Wasser zu bleiben. Seine Denkvorgänge liefen langsam ab. Er wusste, dass er nicht mehr tun musste, als hier unten im Schlick liegen zu bleiben, bis der Sturm sich gelegt hatte. Und dann würde ihm auch wieder Nahrung ins offene Maul schwimmen.
Doch nun tauchte ein Dinosaurier ins Wasser ein. Er blieb aber nicht nur am Rand stehen, um zu saufen und Wasserpflanzen abzuschöpfen wie die dummen Entenschnäbel, sondern er schwamm sogar durch sein Reich. Er verspürte Zorn wegen dieses Eindringens und zugleich Vorfreude wegen einer leichten Beute. Er erhob sich aus dem Schlick und stieg zur Oberfläche empor, die im Meteorlicht schimmerte. Und nun stürzten sich noch mehr massige Leiber ins aufgewühlte Wasser und stapften durch den klebrigen Schlick des Seebodens.
Das Krokodil griff natürlich an.
Riese schlug um sich, wich dem zuschnappenden Krokodil aus und versetzte ihm einen Tritt gegen die Schnauze. Das Krokodil zog sich kurz zurück und setzte dann erneut zum Angriff an. Riese hätte die Gelegenheit zum Rückzug nutzen können. Doch nun drängte eine Horde Tiere hinter ihm ins Wasser. Das Krokodil schnappte nach den Eindringlingen, die sich wiederum gegenseitig bekämpften.
Und dann gab es eine mächtige Welle, als ein Nachbeben der seismischen Erschütterung, die der Komet verursacht hatte, durchs Urgestein lief. Der Boden wölbte sich auf und platzte auf – und das Wasser floss plötzlich ab und ließ Riese inmitten von Wasserpflanzen und zuckenden Tieren auf dem Trockenen zurück.
Das Krokodil, das plötzlich heißer, trockener Luft ausgesetzt war, verstand die Welt nicht mehr. Instinkte, die es vom Schlüpfen bis zu den ersten Schwimmversuchen geleitet hatten, rieten ihm, sich im Schlick einzugraben. Aber der Schlamm trocknete und härtete so schnell aus, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war.
Und derweil stürzten die Meteore herab und stachen wie Lichtsäulen durch die Rauchwolken.
Der Sturmwind und die Flutwelle hatten bereits fast alles Leben in Nord- und Südamerika ausgelöscht – von Insekten bis zu Dinosauriern.
Und die Brände, die auf der ganzen Welt anschwollen, töteten nun die meisten Überlebenden.
Aber das Schlimmste sollte erst noch kommen.
Das gröbere Auswurfmaterial an der Peripherie des Kometeneinschlags war schnell zurückgefallen und hatte den ohnehin schon verwüsteten Erdboden auf einem bis zwei Kraterdurchmessern noch einmal umgepflügt. Doch die große zentrale Wolke aus Gesteinsstaub war unter dem Einfluss der eigenen Wärmeenergie weiter aufgestiegen. Im Vakuum des Weltraums kondensierten feste Teilchen aus dieser glühenden Wolke und fielen weiß glühend auf die Erde. Wo sie zuvor in einem Tunnel aus Vakuum aufgestiegen waren, stürzten sie nun in die Atmosphäre zurück und gaben die Energie an die Luft ab. Es war ein tödlicher Feuerhagel, eine Decke aus vielen Milliarden winziger, weiß glühender Meteore, die den Planeten einhüllte.
Über dem ganzen Planeten glühte die Luft.
Purga hatte inzwischen das Vorgebirge erreicht. Ihr Gefährte, Dritter und das eine überlebende Junge waren an ihrer Seite. Der Weg zum Felsengebirge selbst war ihnen jedoch versperrt, weil das Land auch hier von den Erdbeben aufgerissen, zerklüftet und mit Felsbrocken übersät war, die um ein Vielfaches größer waren als Purga.
Sie würde sich mit den Gegebenheiten arrangieren müssen. Sie wühlte im losen Erdreich und versuchte einen Bau zu graben.
Dann schaute sie den Weg zurück, den sie gekommen war. Unter den dräuenden Rauchwolken glühte das ganze Land in einem hellen Orange. Es war ein außergewöhnlicher Anblick. Selbst hier auf dieser felsigen Erhebung spürte sie die Hitze und roch den Gestank von verbranntem Fleisch.
Sie sah auch die Wolken, die sie hierher geführt hatten – sie hatten sich zwar schon etwas gelichtet, hüllten die oberen Berghänge aber immer noch ein. Die orange-weißen Wolken kontrastierten mit dem nachtschwarzen Himmel und reflektierten das Glühen des brennenden Landes. Und nun breitete dieses orangefarbene Licht aus dem Süden sich über den Wolken aus. Der Himmel selbst begann zu glühen, als ob die Sonne in allen Himmelsrichtungen zugleich aufginge. Die Farbe wechselte schnell zu Orange, dann zu Gelb und schließlich zu einem gleißenden, sonnenhellen Weiß.