Und dann spürte sie den ersten Hauch der Hitze.
Die Primaten pressten sich verzweifelt auf den Boden.
Auf dem rissigen Seeboden kam Riese wieder auf die Beine. Er war von Kadavern umgeben und versuchte, Sauerstoff aus der mit Rauch und Asche geschwängerten Luft zu ziehen. Es war, als ob er sich in einem grauen Nebel befände. Er sah nichts außer Rauch, Staub und aufgewirbelter Asche.
Die Hitze pulsierte wie in einem Backofen. Es stank nach verbranntem Fleisch.
Er verspürte einen stechenden Schmerz in der Pfote und hob sie in trüber Neugier. Die Finger brannten wie Kerzen.
Er dachte an seine Brüder. Und das war auch schon sein letzter Gedanke.
Der Tod kam mit plötzlicher Wucht. Aber er spürte nichts. Die lebenswichtigen Organe wurden so schnell zerstört, dass das Gehirn keine bewusste Reaktion zu verarbeiten vermochte. Dann kochten und verschmorten die Muskeln. Arme und Beine wurden dadurch angezogen, aber das Rückgrat war durchgedrückt, sodass er im Moment des Todes eine Boxerhaltung einnahm: den Kopf zurückgelegt, die Hände hochgenommen und die Beine angewinkelt.
All das geschah, ehe Riese noch Zeit hatte, zu Boden zu gehen.
Und dann zerbarst das Gestein.
In diesem Moment glich die Erde einem Juwel. Die alten Meere des Mondes leuchteten im Widerschein der plötzlichen Helligkeit. Aber es war die Schönheit einer sterbenden Welt.
Die Hälfte der von der brennenden Luft freigesetzten Wärmeenergie wurde an die untere Atmosphäre und an den Erdboden abgegeben. Auf dem ganzen Planeten war die Luft sonnenheiß und gleißend hell. Pflanzen und Tiere wurden an ihrem Standort einfach abgefackelt. Die Bäume der großen Kreidezeit-Wälder brannten wie Zunder. Die Vögel am Himmel verpufften förmlich, und die Pterosaurier verschwanden im Mahlstrom des Massensterbens. Die Bauten der Säugetiere, Insekten und Amphibien wurden zu winzigen Gräbern. Purgas zweites, allein gelassenes Junges wurde geröstet.
Purga wurde verschont. Die letzten schwarzen Wolken fransten aus, lichteten sich schnell und verdampften zum Teil – doch in den entscheidenden Minuten des mächtigen Hitzepulses schirmten sie den Boden vor einem sonnenheißen Himmel ab.
Seit dem Einschlag war erst eine Stunde vergangen.
III
Nach ein paar Tagen klangen die Erschütterungen der Erde ab, und das tägliche Stampfen der berggroßen Reptilien war verstummt.
Purga war Dunkelheit gewohnt. Aber keine Stille: Diese unheimliche Stille nahm einfach kein Ende.
Seit unzähligen Generationen hatten die Dinosaurier das Leben von Purgas Art geprägt. Selbst nach diesem apokalyptischen Schock hatte sie noch vage Visionen von Dinosaurier-Kohorten, die in Reihe angetreten waren und nur darauf warteten, dass ein Säugetier so unvorsichtig war, den Kopf aus dem Bau zu stecken.
Aber sie konnte auch nicht in diesem behelfsmäßigen Bau bleiben. Einmal gab es hier keine Nahrung mehr; die Familie hatte schon alle Würmer und Käfer ausgegraben und verzehrt, an die sie herangekommen waren. Sie wussten nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war. Der Schlafzyklus war auf der Flucht am Tag des Einschlags gestört worden. So waren sie zu verschiedenen Zeiten wach, und der Hunger lag im Widerstreit mit der Angst vor der fremdartigen, kalten Stille über ihnen. Sie drohten schon übereinander herzufallen, schnappten nach den anderen und bissen sich.
Und dann stürzte die Temperatur von der Hitze des brennenden Himmels zu bitterer Kälte ab. Die Primaten wurden zwar durch eine dicke Erdschicht geschützt, aber dieser Schutz war nicht von Dauer.
Schließlich wandte Dritter sich gegen das Junge – Letztes, denn es war Purgas letztes überlebendes Kind. Purga sah Dritter nicht. Aber mit den Schnurrhaaren und dem gut entwickelten Gehör spürte sie, wie ihr Gefährte sich Schritt für Schritt und mit geöffnetem Maul an das Junge anschlich, als ob er sich an einen Tausendfüßler heranpirschte.
Dritter war zornig, verwirrt, verängstigt und sehr, sehr hungrig. Und seine Handlung ergab auch einen gewissen Sinn. Schließlich gab es hier nichts zu fressen. Wenn das Fleisch des Jungen die Erwachsenen etwas länger am Leben erhielt – lang genug, um neuen Nachwuchs zu zeugen –, hätte das dem genetischen Programm entsprochen. Die Überlegungen waren stringent und logisch.
Unter anderen Umständen hätte Purga sich der Gewalt von Dritter vielleicht gebeugt und das Junge womöglich noch gemeinschaftlich mit ihm getötet. Aber Purga hatte bereits ein für ihre Art langes Leben hinter sich und hatte auch schon viel erlebt: die Zerstörung des ersten Zuhauses, die lange Verfolgung durch Verletzlicher Zahn, und nun den Albtraum des Kometeneinschlags und die Verbannung in diese Welt aus Kälte und Stille.
Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie biss Dritter kräftig ins Bein, huschte an ihm vorbei und stellte sich vor ihre Tochter.
Letztes war genauso verwirrt wie die anderen. Aber sie erkannte, dass ihre Mutter sie gegen eine Art Angriff von ihrem Vater verteidigte. Also stellte sie sich neben Purga und fletschte die Zähne gegen Dritter. Eine geschlagene halbe Minute wurde der Bau von Zischen und dem Geräusch zornig scharrender Pfoten erfüllt; sechs Schnurrhaarbündel füllten den Raum zwischen den Primaten aus, von denen jeder auf einen Angriff des anderen wartete.
Am Ende war es Dritter, der nachgab. Plötzlich gab er die aggressive Haltung auf und rollte sich in einer Ecke des Baus zusammen. Purga blieb bei ihrer Tochter, bis ihr Zorn und die Aggression sich verflüchtigt hatten.
Es war dieser Zwischenfall, der das Gleichgewicht der Kräfte in Purgas Bewusstsein veränderte.
Sie konnten hier nicht bleiben. Sie würden verhungern oder erfrieren, wenn sie sich vorher nicht gegenseitig umbrachten. Sie mussten hier raus, egal welche unbekannten Gefahren in der stillen Welt über ihnen lauerten. Genug war genug. Als sie das nächste Mal von der inneren Uhr geweckt wurde, schob Purga die Erde beiseite, mit der der Eingang des Baus verschlossen war.
Und tauchte in die Dunkelheit ein.
Nach zwei Tagen war das Feuer am Himmel erloschen. Doch nun war die geschundene Erde von Pol zu Pol mit Staub und Asche bedeckt – eine schwarze Hülle, die mit gelb-weißen Schwefelsäure-Wolkenfetzen durchsetzt war. Die ehedem wie ein Stern leuchtende Erde war in einen düsteren, finsteren Ort verwandelt worden, der noch dunkler war als der Kern des Kometen, der diese Katastrophe verursacht hatte. Staub und Asche: Der Staub stammte von Kometenbruchstücken, vom Meeresboden und vulkanischem Schutt, der nach den starken Erdbeben ausgestoßen worden war, die den Planeten erschüttert hatten. Und die Asche stammte von verbranntem Leben -Pflanzen, Säugetiere und verschiedene Dinosaurier-Spezies aus Amerika und China, Australien und Antarktika, die in den globalen Feuerstürmen verbrannt und vom Puls der Superhitze nachverbrannt worden waren und sich nun in der versmogten Stratosphäre sammelten. Nach dem Einschlag war Schwefel aus dem Gestein des Meeresbodens herausgelöst und in die Luft eingetragen worden, wo Schwefelsäure-Kristalle sich bildeten. Die hohen, hellen sauren Wolken warfen das Sonnenlicht zurück und verursachten eine weitere Senkung der Temperatur.
Gefolgt von Dritter und Letztes entfernte Purga sich vorsichtig vom Eingang des Baus. Die Schnurrhaare zuckten nervös. Es war später Nachmittag hier im kalten Herzen von Nordamerika. Wenn der Himmel klar gewesen wäre, hätte die Sonne noch hoch über dem Horizont gestanden. Stattdessen herrschte ein düsteres Zwielicht, mit dem selbst Purgas große, lichtempfindliche Augen fast überfordert waren.
Sie stolperte über nackten, versengten Fels. Nichts stimmte mehr. Es fehlte der Geruch wachsender grüner Pflanzen, der intensive würzige Gestank der Dinosaurier und ihres Dungs. Stattdessen roch sie nur Asche. Die dicke grün-braune Schicht des Kreidezeit-Lebens war völlig abgebrannt: Sogar die toten Blätter und der Dung waren verschwunden. Übrig waren nur noch Mineralien, verbrannte Erde und Gestein.