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Aber sein Körper und Geist waren gesund und perfekt an die Welt angepasst. Und heute war er so glücklich, wie es ihm nur möglich war.

In den Wipfeln über ihm kümmerte Noths Mutter sich um eins ihrer Jungen.

Sie stellte sich ihre beiden überlebenden Töchter als Links und Rechts vor, denn die eine bevorzugte die Milch aus der Zitzenreihe an der linken Seite; und die andere – die kleiner und schwächer war – musste sich mit der rechten begnügen. Die Notharctus hatten in der Regel große Würfe, und die Mütter hatten viele Zitzen, um den Wurf zu säugen. Noths Mutter hatte Vierlinge geboren. Ein Junges war jedoch von einem Vogel ergriffen worden, und ein anderes schwaches Baby hatte sich eine Infektion zugezogen und war daran gestorben. Seine Mutter hatte es bald vergessen.

Nun hob sie Rechts auf und schob sie gegen den Baum, an dem das Junge sich festhielt. Das solcherart ›geparkte‹ Baby, dessen braunes Fell mit dem Hintergrund der Baumrinde verschmolz, würde hier warten, bis seine Mutter zurückkam und es säugte. Es vermochte stundenlang reglos auszuharren.

Das war eine Art des Schutzes. Die Notharctus lebten tief genug im Wald, um vor herabstoßenden Raubvögeln sicher zu sein, aber das Junge war von den hiesigen, am Boden lebenden Räubern bedroht – hauptsächlich von den Miacoiden. Die hässlichen wieselgroßen Tiere drangen hin und wieder in Bauten ein und waren Aasfresser, die sich über die Beute anderer Räuber hermachten. Die Miacoiden waren eine scheußliche Art und zugleich die Vorfahren der Großkatzen, Wölfe und Bären späterer Zeiten. Und sie vermochten auf Bäume zu klettern.

Nun bewegte die fürsorgliche Mutter sich auf dem Ast entlang und suchte nach einem halbwegs sicheren Ort, an dem sie Links zurückzulassen vermochte. Aber das stärkere Kind fühlte sich ganz wohl, wo es war, und klammerte sich am Bauchfell der Mutter fest. Nachdem sie ein paar Mal versucht hatte, das Kind mit sanfter Gewalt von sich zu lösen, gab sie es auf. Mit dem warmen Gewicht ihrer Tochter beladen stieg es über eine Leiter aus Ästen zum Boden hinab.

Währenddessen streifte Noth auf allen vieren über die dicke Schicht aus verrottendem Laub.

Die hiesigen Bäume waren Laubbäume. Jeden Herbst warfen sie die großen, geäderten Blätter ab, die den Boden mit einer Schicht Biomasse bedeckten. Die Matte, auf der Noth ging, bestand überwiegend aus dem Laub des letzten Herbsts, das in der Winterkälte gefroren war, ehe es zu vermodern vermochte. Doch nun wurden die Blätter schnell kompostiert, und kleine Fliegen schwirrten durch die diesige Luft. Es gab auch Schmetterlinge, deren bunte Flügel als huschende Farbkleckse mit dem schmutzigen Boden kontrastierten.

Noth war auf Nahrungssuche. Er bewegte sich langsam und war sich der Gefahr bewusst. Er war nicht allein hier.

Zwei dicke Taeniodonten zogen Furchen durch den Boden; die Gesichter hatten sie in den vermodernden Blättern vergraben. Sie sahen wie Wombats aus und benutzten die kräftigen Vorderbeine, um auf der Suche nach Wurzeln und Knollen im Schmutz zu wühlen. Sie wurden von einem Jungen gefolgt, einem tapsigen Bündel, das fortwährend gegen die Beine der Eltern stieß und sich durch die dicke Laubschicht kämpfte. Ein Paläonodont stocherte mit der langen Ameisenbären-Schnauze nach Ameisen und Käfern. Und hier war ein einzelnes Barylambda, ein plumpes Geschöpf wie ein Faultier mit muskulösen Beinen und einem kurzen spitzen Schwanz. Diese Kreatur, die missmutig im Dreck wühlte, hatte die Größe einer Dänischen Dogge. Ihre Verwandten im offenen Land erreichten jedoch die Größe von Bisons und zählten zu den größten Tieren ihrer Zeit.

In einer Ecke der Lichtung machte Noth die langsame Bewegung eines Primaten aus, der einer anderen Adapiden-Art angehörte. Aber er hatte keine Ähnlichkeit mit Noth. Wie die Herrscher des Tierreichs späterer Zeiten sah auch diese träge Kreatur eher aus wie ein tapsiges Bärenjunges als ein Primat. Sie bewegte sich fast geräuschlos durch den Kompost und schnüffelte am Boden. Dieser Adapide hielt sich generell tiefer im Wald auf, wo seine Langsamkeit kein so großes Handicap war wie im freieren Gelände. Hier war er mit den langsamen und lautlosen Bewegungen fast unsichtbar für Räuber – und für die Insekten, die seine Beute waren.

Noth rümpfte die Nase. Dieser Adapide setzte Duftmarken mit Urin; bei jedem Streifzug durch sein Revier urinierte er gründlich auf Hände und Füße, um seine Signatur zu hinterlassen. Mit dem Ergebnis, dass es für Noths feine Nase übel stank.

Noth fand einen umgestürzten Bienenstock und nahm ihn ebenso neugierig wie vorsichtig in Augenschein. Bienenstöcke waren eine relativ neue Erscheinung – Teil einer Explosion von Schmetterlingen, Käfern und anderen Insekten. Der Stock war leer, aber er enthielt noch reichlich Honig.

Doch bevor er sich am Honig labte, stellte Noth die Lauscher auf und sog schnüffelnd die Luft ein. Seine Nase sagte ihm, dass die anderen noch hoch in den Bäumen und weit weg waren. Er müsste in der Lage sein, die Leckerei zu verspeisen, bevor sie ihn erreichten. Aber er dürfte es nicht. Das galt es zu berücksichtigen.

Noth nahm unter den Männchen seiner Gruppe einen niederen Rang ein. Von Noth wurde erwartet, dass er es den anderen meldete, wenn er Nahrung gefunden hatte. Dann würden die anderen Männchen und Weibchen kommen, sich am Honig gütlich tun und – wenn Noth Glück hatte – ihm etwas übriglassen. Wenn er nichts von sich hören ließ und mit dem Honig erwischt wurde, würde man ihn verprügeln und das restliche Futter wegnehmen, sodass er gar nichts mehr hätte. Andererseits, wenn er nicht erwischt wurde, könnte er den ganzen Honig schlabbern und entginge auch einer Bestrafung…

Die Entscheidung war getroffen. Er griff mit beiden Händen in den Honig und leckte ihn hastig ab, wobei er zugleich Ausschau nach den anderen hielt. Als seine Mutter den Boden erreichte, hatte er den Honig bereits verspeist und sich die Schnauze abgewischt.

Das Junge, Links, klammerte sich noch immer an ihren Bauch. Sie scharrte auf dem Boden und hatte den mit Fett gefüllten Schwanz nach hinten gestreckt. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen die hellen Lichtbahnen ab, die die oberen Etagen des Waldes durchstachen. Noth machte sich einen Spaß daraus, nach dem Honig zu greifen, doch seine Mutter stieß ihn weg und machte sich selbst darüber her.

Inzwischen war auch Noths Vater aufgetaucht und wollte an dem Schmaus teilhaben, doch seine Gefährtin drehte ihm den Rücken zu. Und dann kamen zwei Tanten von Noth, Schwestern seiner Mutter. Sie schlugen sich sofort auf die Seite ihrer Schwester und vertrieben Noths Vater mit Gekreisch, gebleckten Zähnen und Blättern, mit denen sie ihn bewarfen. Eine riss ihm sogar ein Stück Honigwabe aus der Hand. Noths Vater setzte sich zwar zur Wehr, aber wie die meisten Männchen war er kleiner als die Weibchen und stand auf verlorenem Posten.

So war das eben. Die Weibchen bildeten das Zentrum der Notharctus-Gesellschaft. Schwestern, Mütter, Tanten und Nichten schlossen sich auf Lebenszeit zu mächtigen Clans zusammen und ließen die Männer außen vor. Das war jedoch eine archaische Verhaltensweise: Die Dominanz der Weibchen über die Männchen und die Angewohnheit, dass Männchen und Weibchen eine Paarbildung eingingen, die auch nach der Paarung Bestand hatte, war eher bei nachtaktiven Spezies anzutreffen als bei solchen, die im Licht zu leben vermochten. Dieses starke Matriarchat gewährleistete, dass die Schwestern vor jedem Männchen ein Anrecht auf die beste Nahrung hatten.

Noth fügte sich brav in seinen Ausschluss. Schließlich hatte er noch den Nachgeschmack des verbotenen Honigs im Mund. Er stahl sich davon, um woanders Nahrung zu suchen.

Purga und Plesi hatten ein isoliertes Leben geführt, normalerweise nur als Weibchen mit Jungen oder als Paar zur Paarungszeit. Einzeljagd war eine bessere Strategie für nachtaktive Geschöpfe; als Teil einer lauten Gruppe hätte man sich zu leicht den Jägern der Nacht verraten, die ihrer Beute im Hinterhalt auflauerten.