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Die schlafende Welt war voller Licht: Der volle Mond stand hoch am Himmel, und der Wald glühte blau-weiß und schwarz. Lange, scharf konturierte Schatten zogen sich über den mit Kompost bedeckten Boden, und die senkrechten Stämme der blattlosen Bäume ließen die Szene in einer unheimlichen geometrischen Präzision erscheinen. Aber die knorrigen Äste weiter oben waren ein komplexerer und bedrückender Anblick. Die kahlen und mit glitzerndem Frost glasierten Hölzer bildeten einen krassen Kontrast zum warmen grünen Glühen der Blätter im Hochsommer.

Dennoch war es eine auf ihre Art schöne Szene, und hier bewährten sich auch Noths große archaische Augen. Sie lösten Details und subtile Farbnuancen auf, die einem Menschen verborgen geblieben wären. Doch alles, was Noth wahrnahm, war Mangeclass="underline" ein Mangel an Licht, an Wärme, an Nahrung – und ein Mangel an familiärer Nähe in dieser Gruppe von Fremden. Er hatte nur seine Schwester, deren noch wachsender Körper irgendwo in der zusammengedrängten Sippe verborgen war. Und er wusste im tiefsten Innern, dass der eigentliche Winter erst noch bevorstand: die über lange Monate sich hinziehende Art von Agonie, während sein Körper sich selbst verzehrte, um ihn am Leben zu erhalten.

Er krümmte sich auf dem Ast und versuchte, tiefer in die Gruppe einzudringen. Die Erwachsenen wussten, dass es in ihrer aller Interesse lag, wenn sie sich abwechselnd am Rand der Gruppe platzierten und für kurze Zeit der Kälte aussetzten, um die anderen zu schützen. Es hatte niemand etwas davon, wenn die außen Liegenden erfroren. Jedoch war Noth durch seinen niederen Rang benachteiligt, und als die anderen schläfrigen Männchen seinen Geruch wahrnahmen, schoben sie ihn mit vereinten Kräften zurück, sodass er wieder genauso exponiert war wie zuvor.

Er hob den Kopf und stieß einen traurigen Laut aus.

Diese Primaten spendeten sich gegenseitig keinen Trost. Noth empfand die Fellpflege als angenehm, aber nur bezüglich seiner eigenen körperlichen Empfindungen und der Folgen, die es auf das Verhalten der anderen ihm gegenüber hatte – nicht aber in Bezug darauf, wie die anderen sich fühlten. Die anderen Notharctus waren einfach nur ein Teil seiner Umwelt wie die Koniferen und Podocarpus, die Jäger, Räuber und Beute: Sie hatten nichts mit ihm zu tun.

Diese aneinander gekuschelten Notharctus waren trotz der körperlichen Nähe einsamer, als ein Mensch es je sein würde. Noth war für immer im Gefängnis seines Kopfs eingesperrt und gezwungen, seine Sorgen und Nöte allein auszuhalten.

Der Tag brach an, aber ein eisiger Nebel lag über dem Wald. Auch wenn die Sonne hell strahlte, spendete sie kaum Wärme.

Die Notharctus reckten und streckten sich nach den langen Stunden, die sie unbeweglich in der Kälte verbracht hatten. Vorsichtig und wachsam kletterten sie den Baum hinab und schwärmten zögernd auf dem Waldboden aus. Die ranghöchsten Weibchen bewegten sich am Rand der Lichtung entlang und erneuerten mit Handgelenken, Achselhöhlen und Genitalien die Duftmarken.

Noth wühlte im gefrorenen Kompost. Mit dem toten Laub vermochte er nichts anzufangen, aber er lernte schnell, an Stellen zu graben, wo die Schicht besonders dick war. Die verrottenden Blätter speicherten Feuchtigkeit und gefroren nicht. Deshalb vermochte er Tau vom Laub abzulecken und im weichen Boden nach Knollen, Wurzeln und sogar den Rhizomen von Farnen zu graben.

Plötzlich ertönte eine Serie lauter Schreie, die durch den Wald hallte. Noth schaute mit zuckenden Schnurrhaaren auf.

Es herrschte Unruhe in einem Podocarpus-Hain. Noth sah, dass eine Gruppe Notharctus aus fremden Weibchen und einer Schar Jungen aus dem Wald gekommen war. Sie näherten sich dem Podocarpus.

Größte stob mit ein paar anderen Weibchen auf sie zu. Das große dominierende Männchen der Sippe – den Noth sich irgendwie als ›Kaiser‹ vorstellte – schloss sich den vorpreschenden Weibchen an. Bald ergingen alle sich in Drohgebärden, kreischten und benetzten die langen Schwänze mit Duftstoffen. Die fremden Weibchen wichen zurück und erwiderten die Drohgebärden. Der Wald hallte für einen Moment von einer lautstarken Auseinandersetzung wider.

Die weiblichen Clans, das Herz der Notharctus-Gesellschaft, wurden bei Grenzverletzungen des Territoriums zu Furien. Diese fremden Weibchen hatten die Duftmarken missachtet, die von Groß und den anderen gesetzt worden waren und die im Sensorium eines Notharctus wie rote Alarmlichter wirkten. In dieser Zeit des Jahres wurde auch das Futter knapp, und im letzten Versuch, die Körper-Speicher für den harten Winter aufzufüllen, lohnte sich der Kampf um einen üppigen Popdocarp-Busch.

Die Weibchen führten ihre Auseinandersetzungen mit größerem Ungestüm als die Männer – und dabei trugen sie noch ihre Jungen unterm Bauch. Die Gebärden eskalierten schnell zu Ausfällen und Finten und sogar Beißattacken. Die Weibchen waren wie Messerkämpfer.

Aber es kam nicht zum Äußersten. Die Demonstration von Größter und den anderen bewog die Neuankömmlinge zum Rückzug, ohne dass ein Notharctus die Pfote gegen einen anderen erhoben hätte. Sie zogen sich in die langen grau-braunen Schatten des tiefen Waldes zurück; aber nicht ohne dass ein größeres Junges vorgeprescht wäre, die Zähne in eine von der Kälte verschrumpelte Frucht geschlagen und mit der Beute davongerannt wäre, ehe man es aufzuhalten vermochte.

Die Weibchen, die sich plötzlich der Verwundbarkeit ihres Schatzes bewusst geworden waren, bildeten nun einen Kreis um den Podocarp und verschlangen gierig die Früchte. Ein paar ältere, starke Männchen, einschließlich des Kaisers, schlossen sich Größter und den anderen bei der Mahlzeit an. Noth umkreiste mit anderen jungen Männchen die futternde Gruppe und wartete darauf, dass er sich an den Resten gütlich tun konnte.

Er wagte es aber nicht, den Kaiser herauszufordern.

Die Notharctus-Männchen hatten ihre eigene komplexe und differenzierte Sozialstruktur, die diejenige der Weibchen überlagerte. Und sie war auf die Paarung ausgerichtet, die die wichtigste Sache – die einzig wichtige Sache für sie war. Der Kaiser hatte ein großes Territorium, das die Reviere vieler Weibchen-Gruppen umfasste. Er war bestrebt, sich mit allen Weibchen seines Territoriums zu paaren, um die Chance zu maximieren, seine Gene weiterzugeben. Er setzte Duftmarken an Weibchen, um Rivalen abzuschrecken. Und er kämpfte mit aller Macht, um andere starke Männchen von seinem großen Reich fernzuhalten – genauso wie Noths Vater versucht hatte, Solo zu vertreiben.

Dieser Kaiser war ein guter Kämpfer und hatte sein ausgedehntes Reich schon seit über zwei Jahren halten können. Aber wie alle Mitglieder seiner kurzlebigen Art alterte er schnell. Sogar Noth, der rangniederste Neuling, stellte endlose instinktive Kalkulationen über die Stärke und Konstitution des Kaisers an. Der Trieb, sich zu paaren und Nachwuchs zu zeugen, um den Fortbestand seiner Linie zu gewährleisten, war bei Noth genauso stark wie bei allen anderen Männchen. Bald würde der Kaiser sicher auf einen Herausforderer treffen, dem er nicht gewachsen war.

Doch fürs Erste war Noth noch nicht in der Position, den Kaiser oder eins der anderen stärkeren Männchen herauszufordern, die in der sozialen Hierarchie über ihm standen. Und er sah, dass der Bestand der Podocarp-Früchte schnell schwand.

Mit einem frustrierten Ruf rannte er über den Waldboden und kletterte auf einen Baum. An den Ästen, die von Reif, Tau und Flechten glitschig waren, hingen keine Blätter und Früchte mehr. Aber es bestand vielleicht immer noch die Möglichkeit, Speicher mit Nüssen oder Samen zu finden, die Waldtiere vorsorglich angelegt hatten.

Er kam zu einem Loch in einem abgestorbenen Baumstamm. In der feuchten, modrigen Höhlung sah er den Schimmer von Nussschalen. Er griff mit den kleinen, beweglichen Händen hinein und holte eine Nuss heraus. Die runde Schale war fugenlos und intakt. Er schüttelte die Nuss und hörte den Kern darin rasseln. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Doch als er hineinbiss, glitten die Zähne an der glatten harten Oberfläche ab. Verwirrt versuchte er es von neuem.