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Der Hai war erbarmungslos. Er ließ sich auch nicht mit List ablenken und setzte den Angriff fort, solang die Sinne entsprechend stimuliert wurden. Er war eine aufs Töten spezialisierte Maschine.

Der Hai spürte die große Masse toten Fleischs, die in der Mitte des Floßes driftete. Und er hörte die Bewegungen lebendiger Tiere an der Oberseite. Das tote Ding konnte warten.

Der Zeitpunkt zum Angriff war gekommen. Der Hai griff frontal und mit aufgerissenem Maul an. Er hatte keine Augenlider. Um die Augen zu schützen, verdrehte er sie, sodass sie im letzten Moment vor dem Angriff weiß wurden.

Fleck war die erste, die die nahende Flosse bemerkte, den Körper wie ein Torpedo aufs Floß zu gleiten sah und in die weißen Augen schaute. Sie hatte ein solches Ding noch nie zuvor gesehen, doch der Instinkt sagte ihr, dass von dieser schlanken Gestalt Gefahr drohte. Sie rannte über die losen Blätter zur entgegen gesetzten Seite des Floßes.

Die Anthros gerieten in Panik. Die zwei Rostroten zirpten wie Vögel und huschten ziellos umher. Nur der Dickbauch blieb ungerührt auf seinem Ast hocken und schob sich wieder eine Handvoll Laub rein.

Die von der Mutter getrennte Knäuel reagierte nicht.

Fleck war entsetzt. Sie hatte eigentlich erwartet, dass ihr Kind ihr zur anderen Seite des Floßes folgen würde. Doch das Junge hatte die drohende Gefahr nicht erkannt. Eine Menschen-Mutter wäre in der Lage gewesen, sich in ihr Kind hineinzuversetzen und hätte gewusst, dass das Kind nicht alles wahrzunehmen vermochte, was sie wahrnahm. Zu einem Perspektivenwechsel dieser Art war Fleck aber nicht in der Lage. In dieser Hinsicht glich sie Noth und war selbst wie ein kleines Menschenkind; sie stellte sich vor, dass alle Geschöpfe in der Welt sahen, was sie sah und den gleichen Maximen folgten.

Der Hai brach mit der stumpfen Schnauze durch das lose Blattwerk. Für Streuner war dieses klaffende Maul, das unter der Welt hervorbrach, ein albtraumhafter Anblick. Sie stieß einen Schrei aus und rannte ziellos umher, ohne jedoch in der Lage zu sein, aus dem engen Raum des Floßes auszubrechen.

Das Kind hatte Glück. Als das Floß unter dem Angriff des Hais erbebte, flüchtete es sich in die Lücke zwischen einem Ast und dem Baumstamm. Seine Mutter sprang über das rotierende Floß, machte einen Satz über das Loch, das der Hai geschlagen hatte und schnappte sich das Kind.

Aber der Hai kehrte noch einmal zurück. Diesmal rammte er die keilförmige Schnauze zwischen zwei Baumstämme, die das Grundgerüst des Floßes bildeten. Einer der Rostroten fiel quiekend in die klaffende Lücke.

Das Maul des Hais tat sich wie eine Höhle vor ihm auf. Das Fünkchen Bewusstsein des Crowders wurde ausgelöscht. Der Hai war sich des kleinen Happens kaum bewusst, den er verschluckte. Er hatte gerade erst angefangen.

Weißblut sah den fetten, selbstgefälligen Dickbauch auf seinem laubbehängten Ast thronen. Diese lächerliche rote Schwellung prangte noch immer an ihrer Brust, obwohl sie durch das Wüten des Hais plötzlich direkt am Wasser saß. In diesem Moment unmittelbarer Gefahr schlossen sich neue Schaltkreise in Weißbluts einfallsreichem Gehirn. Es war eine logische Kette, durch die ihm ein Spitzenplatz in seiner Art gebührte. Jedoch war jede Anthro-Generation im Durchschnitt ohnehin etwas intelligenter als die letzte.

Weißblut machte einen Satz wie ein Kampfsportler und stieß Dickbauch die Füße in den Rücken. Sie fiel kopfüber ins Meer.

Auf dieses fette, zappelnde Geschöpf hatte der Hai gerade gewartet. Er packte die Beute genau in der Mitte. Der ganze Körper des Hais erzitterte, als er den Dickbauch durchschüttelte und mit den spitzen Zähnen einen Brocken aus der unglücklichen Kreatur herausriss. Dann wartete er in einer auseinanderdriftenden Wolke aus Blut, dass sein Opfer verblutete.

Der Dickbauch fasste es nicht, dass er plötzlich im Wasser lag und wurde im selben Moment von einem quälenden Schmerz überwältigt. Doch dann wurde ihr Gehirn mit Chemikalien geflutet, und die Zentren des funktionalen Bewusstseins wurden abgeschaltet. Sie verspürte eine Art Frieden in dieser blutigen Dunkelheit.

Weißblut saß keuchend über dem Schauplatz dieser Attacke. Vom Dickbauch war nichts mehr übrig außer einem Haufen dünnen, übel riechenden Kots und einer Handvoll zerstampfter Blätter. Allmählich schloss die Lücke im Floß sich wieder, als ob es sich selbst heilte. Die Anthros kauerten sich zusammen. Sie waren sogar zu mitgenommen, um sich zu kämmen.

Und die Sonne stieg am westlichen Himmel hinab – in der Richtung, in die sie hilflos trieben.

III

Die Tage und Nächte folgten endlos aufeinander. Es war nichts zu hören außer dem Knarren der Äste und dem leisen Plätschern der Wellen.

In den Nächten hing ein erdrückender Himmel über ihnen, vor dem Streuner sich am liebsten verkrochen hätte.

Doch im Licht des Tages, unter der grellen Sonne oder grauen Wolken, sah sie nichts außer dem Meer. Es gab weder Wald noch Land oder Hügel. Sie roch nichts außer Salz, und es drangen weder die Rufe von Vögeln oder Primaten noch das Trompeten von Pflanzenfressern an ihr Ohr. Das Wasser der Flussmündung hatte sich inzwischen mit dem Meerwasser vermischt, und selbst der Schutt, der vom schrecklichen Sturm ins Meer gespült worden war, hatte sich zerstreut und driftete hinterm Horizont seinem Schicksal entgegen.

Das Floß selbst war leer geworden.

Die Anthracothere-Kadaver, die in den Ästen des Mango-Baums festgesteckt hatten, waren längst verschwunden. Der letzte Rostrote war auch nicht mehr da. Vielleicht war er ins Meer gefallen. Das Indricotherium war angeschwollen, während die Bakterien in seinen Gedärmen sich nach draußen fraßen. Doch die unsichtbaren Münder des Meers hatten sich auch am Indricotherium zu schaffen gemacht und fraßen es von unten auf. Nachdem er immer mehr Fleisch verloren hatte, war der mächtige Kadaver schließlich zusammengefallen und ins Meer gerutscht.

Die Anthros hatten längst alle Früchte verzehrt.

Sie versuchten das Laub zu essen. Anfangs gewannen sie daraus wenigstens einen Mund voll Wasser, das für eine Weile den Durst stillte. Aber der entwurzelte Baum war tot, und die restlichen Blätter verschrumpelten bald. Und anders als der unglückliche Dickbauch vermochten die Anthros eine so grobe Nahrung auch nicht zu verdauen, und sie verloren in dem wässrigen Kot, den sie ausschieden, nur noch mehr Flüssigkeit.

Streuner war ein kleines Tier, das für ein Leben in der Sicherheit des Waldes geschaffen war, wo es Nahrung und Wasser im Überfluss gab. Im Gegensatz zu einem Menschen, dessen Körper dafür ausgelegt war, eine lange Zeit im Freien zu überleben, hatte sie nur sehr wenig Fett, das die Haupt-Brennstoffreserve eines Menschen ist. Streuners Zustand verschlechterte sich zusehends. Bald wurde ihr Speichel dick und schmeckte faulig. Die Zunge klebte am Gaumen fest. Sie hatte starke Schmerzen in Kopf und Hals, weil die trocknende Haut sich zusammenzog. Die Stimme wurde brüchig, und sie schien einen harten, schmerzenden Knoten im Mund zu haben, der einfach nicht verschwinden wollte, so oft sie auch schluckte. Sie und die anderen Anthros hätten aber noch mehr gelitten, wenn der bewölkte Himmel die grelle Sonne nicht meistens ausgeblendet hätte.

Manchmal träumte Streuner. Der tote Mangobaum erblühte plötzlich, die Wurzeln bohrten sich wie Primatenfinger in den harten Meeresboden, die Blätter ergrünten und wedelten wie kämmende Hände, und dicke Fruchtstände zierten den Baum. Sie pflückte die Früchte, öffnete sie sogar und tauchte das Gesicht ins klare Wasser, mit dem jede Schale seltsamerweise gefüllt war. Und dann kamen ihre Mutter und Schwestern, wohlgenährt und voller Spannkraft und kämmten sie.

Doch dann verschwand das Wasser, als ob es in der heißen Sonne verdunstete, und sie wurde gewahr, dass sie nur an einem Stück Rinde oder einer Handvoll trockener Blätter kaute.

Fleck hatte einen Eisprung.