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Brille setzte sich bei Flecks Annäherung nervös auf, als ob er mit einem Angriff rechnete. Streuner sah, wie ihm die schwarz verfärbte Zunge aus dem Mund hing. Das Gesichtsfell war noch immer mit Knäuels Blut verschmiert.

Fleck setzte sich jedoch nur neben ihn und fuhr ihm mit den Fingern durchs Fell. Das Kämmen hatte aber nicht die übliche wohltuende Wirkung. Bei allen hatte das Fell sich gelichtet, und die Haut war mit Geschwüren und Wunden bedeckt, die nicht heilen wollten. Sie riss Narben auf und drückte auf Blutergüsse. Aber er ließ es dennoch geschehen und genoss die Zuwendung trotz der Schmerzen.

Und dann löste sie sich von ihm, drehte sich um und bot ihm das Hinterteil dar. Sehr attraktiv war sie in diesem Moment aber nicht. Das Fell war struppig, die Haut rissig, und die Schwellung im Genitalbereich hatte sich schon vor Tagen zurückgebildet. Trotzdem sprach Brille darauf an, als sie ihm das Hinterteil gegen den Oberkörper drückte, und alsbald stach eine dürre Erektion aus dem verfilzten Bauchfell.

Nun nahm Weißblut diese Missachtung der Hierarchie schließlich doch zur Kenntnis. Das war etwas anderes als sein eigenes Täuschungsmanöver; das vermochte er nicht zu dulden. Mit einem Ruck richtete er sich auf und stieß mit der geschwollenen Zunge ein unartikuliertes Brüllen aus. Brille wich zurück.

Plötzlich griff Fleck Weißblut an, rammte ihm den Kopf in die Brust und schlug ihn mit den Fäusten gegen die Schläfen. Er fiel erschrocken um. Dann lief Fleck zu den anderen Männchen zurück, präsentierte ihnen die Kehrseite und stieß heisere Rufe aus. Und dann stürzte sie sich wieder auf Weißblut.

In diesem Moment wurden neue Bündnisse geschlossen und Rangordnungen aufgehoben. Ohne sich auch nur anzuschauen, trafen die beiden Brüder eine schnelle Entscheidung und unterstützten Fleck beim Angriff auf Weißblut. Weißblut setzte sich zur Wehr und blockte die Schläge ab, mit denen sie ihn eindeckten.

Es war ein grotesker Kampf, der von vier so schwachen Kreaturen ausgefochten wurde. Die Schläge und Tritte waren kraftlos und wurden zeitlupenartig ausgeteilt. Und der Kampf fand in einer Stille statt, die nur von einem erschöpften und schmerzerfüllten Japsen unterbrochen wurde. Es war nichts von den Schreien und Rufen zu vernehmen, die eine Attacke von zwei ›Jungmannen‹ auf ein dominantes Männchen normalerweise begleitet hätten.

Und doch war dieser Kampf tödlich. Denn unter Flecks Führung drängten die beiden Brüder Weißblut Schritt für Schritt zum Rand des Floßes.

Es war Fleck, die den letzten Schlag führte: Mit einem heiseren Brüllen rammte sie Weißblut erneut den Kopf in den Bauch. Weißblut taumelte zurück und fiel durch das lose Geäst am Rand des Floßes ins Wasser. Er trieb rudernd und prustend im Wasser. Das Fell sog sich sofort voll und behinderte seine Bewegungen. Er schaute zum Floß zurück und winselte wie ein Kleinkind mit seiner schwarz verfärbten Zunge.

Brille und Linkshänder waren verwirrt. Sie hatten Weißblut nicht töten wollen; die wenigsten Rangkämpfe unter den Anthros endeten tödlich.

Streuner verspürte einen seltsamen Anflug von Bedauern. Es gab sowieso nur noch ein paar von ihnen. Der Instinkt sagte ihr, dass ein zu kleiner Pool potentieller Paarungs-Gefährten nicht gut sei. Doch für diese Bedenken war es nun zu spät.

Weißblut verließen schnell die Kräfte. Bald vermochte er Mund und Nase nicht mehr über Wasser zu halten, und er bewegte sich nicht mehr. Der Hai, angelockt vom Blut, das aus Weißbluts Wunden sickerte, verschlang den Körper mit einem Biss.

Danach wurde es noch schlimmer für sie. Während das leise knarrende Floß über die Weiten des Ozeans driftete und diese kleinen Kreaturen ihre letzten Reserven aufzehrten, konnte es nur schlimmer werden.

Streuners Gliedmaßen waren angeschwollen. Die gespannte Haut schmerzte ständig und riss schnell. Die Zunge quoll ihr aus dem Mund, als ob man ihr einen großen Klumpen Dung hineingestopft hätte. Die Augenlider waren aufgeplatzt, und sie hatte das Gefühl zu weinen; als sie aber das Fell berührte, sah sie, dass es Blut war, das aus den Augen tropfte.

Sie wurde bei lebendigem Leib mumifiziert.

Und eines Morgens hörte sie schließlich einen Schrei, hoch und leise wie der eines Vogels.

Sie schob das Laub weg, mit dem sie sich zugedeckt hatte, und setzte sich aufrecht hin. Die Welt wurde gelb, und sie hatte ein seltsames Klingeln im Ohr. Sie sah kaum noch etwas; das Blickfeld war verschwommen, und als sie blinzelte, verschaffte das den Augen keine Erleichterung. Der Körper vermochte keine Feuchtigkeit mehr abzugeben.

Trotzdem erkannte sie, dass zwei Anthros – Fleck und Brille – nebeneinander über einer dunklen zusammen gekrümmten Gestalt saßen. Vielleicht war es etwas zu essen. Unter Schmerzen kroch sie zu ihnen hinüber.

Es war Linkshänder, der mit gespreizten Gliedern flach am Boden lag.

Die sengende Sonnenhitze hatte ihm den Garaus gemacht. Das weiße Fell am Kopf und im Nacken war fast völlig verschwunden. Das Fleisch war an den Knochen verschmort. Streuner sah die Konturen des Schädels, der filigranen Handknochen, der Füße und des Beckens. Die nackte Haut hatte sich purpurn und grau verfärbt und war mit großen Blasen und Streifen überzogen. Die Lippen waren zu dünnen Strichen aus schwarzem Gewebe geschrumpft, sodass die Zähne und der rissige Gaumen zu sehen waren. Der Rest des Gesichts war ebenfalls schwarz und vertrocknet, als ob es verbrannt wäre. Das Fleisch um die Nase war verschrumpelt, sodass die kleinen, seitwärts gerichteten Nasenlöcher gedehnt wurden und die schwarze Innenseite der Nase nach außen gestülpt wurde. Die Lider waren auch geschrumpft, wodurch die Augen unablässig in die Sonne starrten. Die Bindehaut, die die Augen umspannte, hatte sich pechschwarz verfärbt. Bei der vergeblichen Suche nach Nahrung hatte er an der Rinde gekratzt und Hände und Füße aufgeschnitten. Aber es war kein Blut zu sehen; die Schnitte waren wie Kratzer in gegerbtem Leder.

Aber er war noch bei Bewusstsein und stieß raue, leise Schreie aus. Dann drehte er leicht den Kopf und spreizte die Finger der kräftigeren linken Hand.

Ohne Nahrung und im Bestreben, die lebenswichtigen Systeme so lang wie möglich am Laufen zu halten, hatte Linkshänders Körper sich selbst verzehrt. Als das Fett aufgebraucht war, wurden die Muskeln angegriffen. Dadurch waren wiederum die inneren Organe beschädigt worden, die schließlich den Dienst einstellten.

Doch in diesen letzten Momenten verspürte Linkshänder keinen Schmerz. Sogar das Hunger- und Durstgefühl war verschwunden.

Streuner schaute benommen und verwirrt zu. Es war, als ob sie ein lebendiges Skelett betrachtete.

Schließlich verstummten Linkshänders unheimliche Rufe. Die ausgestreckten Finger erstarrten in dieser finalen Geste.

Der geschrumpfte Magen rumorte, und ein letzter Rülpser entwich dem leblosen Mund.

Streuner schaute die anderen trübe an. Sie waren selbst nur noch Haut und Knochen, nicht viel besser dran als Linkshänder und kaum noch als Anthros zu erkennen. Sie unternahmen keine Anstrengungen mehr, sich zu kämmen oder überhaupt einen Kontakt herzustellen. Es war, als ob die Sonne alles ausgebrannt hätte, was sie zu Anthros machte und sie aller Errungenschaften beraubt hätte, die sie in dreißig Millionen Jahren der Evolution mühsam erworben hatten.

Streuner wandte sich ab und humpelte unter Schmerzen in die Deckung ihres Nests zurück.

Sie lag reglos da und bewegte sich nur, um den Schmerz der schwärenden Wunden zu lindern. Ihr Bewusstsein schien leer, bar jeder Neugierde. Sie existierte nur noch in einem reptilienartigen Dämmerzustand. Sie stopfte sich den Mund mit Rinde und trockenem Laub voll, aber die tote Materie kratzte nur am Gaumen.