Eine Gruppe junger Männchen jagte einen Affen.
Für Capos Augen sah er aus wie die kleine Meerkatzen-artige Kreatur, die er vor einiger Zeit beim Futtern der Akazienblüten gestört hatte. Nun hatte sie sich in der Krone einer jungen Palme zusammengekauert.
Die Jäger hatten sich um den Fuß des Baums aufgestellt und erklommen Bäume in der Nachbarschaft. Andere, darunter Wedel und Finger, hatten sich als Zuschauer bei diesem Spektakel eingefunden. Es waren diese Zuschauer, die den Lärm veranstalteten; die Jäger selbst bewegten sich lautlos im Verborgenen. Der Affe wurde durch den Lärm erschreckt und verlor die Orientierung.
Capo war unangenehm überrascht, als er sah, wer die Jäger waren. Es handelte sich nämlich um die frechen jungen Männchen, die vor kurzem zu einem Jagdausflug in einen anderen Teil des Waldes verschwunden waren. Ihr informeller Anführer, eine stämmige Kreatur mit dem Namen Felsbrocken, hatte Capo schon in der Vergangenheit durch seine Aufmüpfigkeit Scherereien gemacht, und Capo war über sein Verschwinden froh gewesen: Sollte er Dampf ablassen, ein paar Fehler machen und sich ruhig auch ein paar Blessuren einhandeln. Umso bereitwilliger würde er wieder Capos Autorität anerkennen.
Felsbrocken war aber nur für ein paar Tage weg gewesen, wo Capo von ein paar Wochen ausgegangen war. Und seinem aggressiven Verhalten nach zu urteilen war er durch den Ausflug keinen Deut ruhiger geworden.
Capo war auch wegen der Jagd beunruhigt. Sie machten normalerweise nur Jagd auf Affen, wenn andere Nahrung knapp wurde, zum Beispiel in Dürreperioden. Wieso jetzt?
Einer der kletternden Menschenaffen machte plötzlich einen Satz. Der schnatternde Affe sprang in die andere Richtung – und direkt in die Arme eines lauernden Jägers. Die zuschauenden Menschenaffen schrieen und bellten. Der Jäger wirbelte den Affen über sich herum und schleuderte ihn mit dem Kopf gegen einen Baumstamm. Die Schreie verstummten sofort. Dann warf der Jäger den Kadaver auf den Boden, wobei der zerschmetterte Kopf einen hellroten Fleck auf dem dunkelgrünen Waldboden hinterließ.
Nun war Capos Moment gekommen. Er sprang an Felsbrocken vorbei und stürzte sich auf den Körper. Er packte das noch warme Bündel, fasste es am Knöchel und riss das kleine Bein am Knie ab.
Zu seinem Erstaunen attackierte Felsbrocken ihn aber. Das stämmige Männchen sprang ihn an und rammte ihm die Füße in die Brust. Capo fiel um und streckte alle viere von sich. Er verspürte Schmerzen im Brustkorb und bekam für einen Moment keine Luft mehr. Felsbrocken hob die Affenkeule ostentativ auf und biss hinein. Blut spritzte ihm ins Gesicht. Die Menschenaffen waren nun völlig aus dem Häuschen; sie schrien, trommelten und balgten sich.
Capo ignorierte die Schmerzen in der Brust und sprang mit Gebrüll auf. Das durfte er Felsbrocken diesmal nicht durchgehen lassen. Er kletterte auf die untersten Äste eines Baums, trommelte wild und schrie so laut, dass die Vögel gestört wurden, die hoch über ihm nisteten. Dann sprang er wieder auf den Boden. Er steigerte sich derart in Rage, dass das Fell sich sträubte und bekam eine stolze rosig-purpurne Erektion. Das war ein schöner Kontrapunkt, quasi sein Markenzeichen.
Felsbrocken ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Er warf sich selbst in Positur und schwang das Affenbein wie einen Knüppel. Sein Stampfen, Springen und Trommeln war genauso beeindruckend wie Capos Vorführung.
Capo wusste, dass er diese Auseinandersetzung unbedingt für sich entscheiden musste. Wenn er nun klein beigab, verlor er angesichts Felsbrockens Kreis blutrünstiger Jäger vielleicht nicht nur seinen Status, sondern auch gleich das Leben.
Mit einer Beweglichkeit, die man ihm bei seinem Alter gar nicht mehr zugetraut hätte, machte er einen Satz, schlug Felsbrocken nieder und setzte sich auf seine Brust. Dann deckte er Felsbrockens Kopf und Oberkörper mit harten Schlägen ein. Felsbrocken wehrte sich zwar. Doch außer der Jugend war Capo im Vorteil und warf Überraschungsmoment, Erfahrung und Autorität in die Waagschale. Felsbrocken war unter Capo eingeklemmt und vermochte die kräftigen Arme und Beine nicht richtig zum Einsatz zu bringen.
Capo sah, dass er den Kampf in den Augen der restlichen Horde allmählich für sich entschied, was genauso wichtig war wie der Sieg über Felsbrocken. Die Gefolgsleute des jungen Männchens schienen zwischen den Bäumen verschwunden zu sein, und die Erregungsschreie und Anfeuerungsrufe, die Capo hörte, schienen nun ihm zu gelten.
Doch selbst während er Felsbrocken niederrang, wurde der intelligente Capo durch etwas abgelenkt.
Er dachte an die sterbenden Bäume, die er vom Rand der Waldinsel aus gesehen hatte, an die schnelle Rückkehr von Felsbrocken und seiner Truppe, an ihren offensichtlichen Hunger und den Jagdtrieb.
Felsbrocken hatte keinen anderen Platz gefunden. Das Wäldchen schrumpfte. Es war immer kleiner geworden, solange er sich erinnerte, und nun vermochte man die Augen nicht mehr davor zu verschließen. Es gab nicht mehr genug Platz für sie. Wenn er die Gruppe hier zu behalten versuchte, würden wegen der Konkurrenz um die schwindenden Ressourcen die Spannungen unter ihnen unerträglich werden.
Sie würden weiterziehen müssen.
Schließlich gab Felsbrocken auf. Er erschlaffte unter Capo, umfasste das Hinterteil des älteren Männchens und streichelte ihm sogar kurz den noch immer erigierten Penis – Gesten der Unterwerfung. Um ihm seinen Standpunkt nachhaltig klarzumachen, bearbeitete Capo noch für eine Weile Felsbrockens Kopf. Dann stieg er vom geschlagenen jungen Männchen herunter. Mit immer noch gesträubtem Fell schlug er sich in die Büsche, wo er ungeniert humpeln und die schmerzende Brust massieren durfte, ohne dass die anderen ihm das als Schwäche auslegten.
Hinter ihm fielen die anderen über die Meerkatze her. Ihre Mägen vermochten Fleisch nicht gut zu verdauen; sie würden später den Kot nach halb verdauten Fleischbrocken durchsuchen und sie nochmals essen. Das Verdauungssystem bedurfte der Verbesserung, wenn die Nachkommen dieser Geschöpfe in der Savanne überleben wollten.
II
Seit Streuners Zeiten hatte Gras die Welt verändert. Die epochale Abkühlung der Erde dauerte an. Je mehr Wasser in der antarktischen Eiskappe gebunden wurde, desto weiter sank der Meeresspiegel, und Binnenmeere schrumpften oder wurden vom Ozean getrennt. Und in dem Maß, wie die kontinentalen Landmassen die Meere verdrängten, vermochten sie immer weniger als Puffer für die klimatischen Wärme- und Kälteextreme zu dienen. Das verwitternde Gestein zog Kohlendioxid aus der Luft und verringerte ihre Fähigkeit, die Sonnenwärme zu speichern. Der Planet hatte durch die Abkühlung und Austrocknung einen Rückkopplungs-Mechanismus in Gang gesetzt, der den Trend zur Trockenheit und Abkühlung weiter verstärkte.
Inzwischen entstanden durch tektonische Kollisionen neue Gebirgszüge: die Anden in Südamerika und der Himalaja in Asien. Diese neuen Auffaltungen warfen riesige Regen-Schatten über die Kontinente; in einem solchen Schatten sollte bald die Wüste Sahara entstehen. In der neuen Trockenheit schoben große Laubwald-Gebiete sich von Süden und Norden auf den Äquator zu.
Und das Grasland breitete sich aus.
Gräser, die in großen Mengen auftraten und durch vom Wind verwehte Pollen bestäubt wurden, waren der ideale Bewuchs für die neuen offenen und trockenen Zonen. Gräser vermochten auch bei dem sporadischen Regen zu existieren, der nun fiel, wogegen die meisten Bäume, deren Wurzeln immer tiefer in den Boden reichten, in der Trockenheit keine Chance hatten. Das eigentliche Geheimnis der Gräser lag jedoch in den Halmen. Die Blätter der meisten Pflanzen entwickelten sich aus Schösslingen. Anders beim Gras: Die Grashalme sprossen aus unterirdischen Stielen. Also vermochte Gras sich auch dann zu regenerieren, wenn ein hungriges Tier es bis auf den Boden abgefressen hatte.