Hätte er nicht zum Gewehr gegriffen, vielleicht wäre er am Leben geblieben. So aber schloß sich Michael Wiremans Faust um den C.S.O.-Gewehrkolben. Krampfhaft betätigte er den Abzug und sprühte sein Feuer über sie und den Boden und beobachtete das Aufspritzen der Kiefernadeln.
Einen Augenblick später fand ihn Newsted über die beiden Männer gebeugt. Es waren schmutzige, zerlumpte, bärtige Kerle. Er schaute zu Michael Wireman und lachte leise auf. »Was haben Sie gedacht, vor wem wir davonlaufen?« fragte er. »Vor den Feinden?«
»Ja«, antwortete Michael Wireman, »das hatte ich geglaubt.«
Im Halbdunkel kauerte Michael Wireman neben dem Bächlein im Tal zwischen den zwei Bergen. Der Rücken schmerzte ihn so, daß er sich nicht hinlegen konnte. Am Boden neben ihm lag das Gepäck, wo er es fallengelassen hatte. Sein Kopf brummte, und heißer Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Newsted, der am Ufer saß und die Armschlinge mit der rechten Hand und den Zähnen verknüpfte, schaute ihn von der Seite an.
»Passen Sie auf«, sagte er, »die Feinde kommen nie herauf in diese Berge. Sie wären doch dumm. Noch nie hat viel dabei herausgeschaut, irreguläre, weit verstreute Truppen zu bekämpfen. Sie lassen uns in Ruhe … Und wir sie.«
»Das ist ja sehr interessant«, murmelte Michael Wireman. »Da bleibt euch also genug Zeit, untereinander zu kämpfen.«
»Meist geht es ums Essen«, antwortete Newsted schroff.
»Und wie löst ihr das?«
Newsted schnalzte mit der Zunge. »Nun, die Bergbauern in der Umgebung hier zahlen eben doppelt Steuern.«
Nach Sonnenuntergang war es wieder bitter kalt geworden.
»Machen wir ein kleines Feuer?« fragte Michael Wireman.
»Ja, wenn Sie unbedingt sterben wollen.«
Gegen seinen Willen entschlüpfte Michael Wireman ein gepreßtes Kichern.
»Bis zum Gipfel des nächsten Berges müssen wir morgen kommen, dann sind wir auf Hammils Territorium. Dort können wir uns aufwärmen«, meinte Newsted.
»Hammil«, sagte Michael Wireman und schnitt Grimassen.
Newsted gab ein Geräusch von sich, das wie Lachen klang. »Hammil ist ein Clown. Hätte er mich und Ladislas nicht, käme er überhaupt nicht zurecht. Ich erzählte ihm, daß wir gestern beinah in fremde Hände gelaufen wären. Wissen Sie, was er antwortete? Er sagte, niemand würde einen Angriff wagen, weil er jetzt die Gewehre hätte. Weshalb, um Himmels willen, glaubte er, daß sie angreifen würden? Wieso glaubte er, niemand würde vermuten, daß er keine Munition hat? Jeder kennt doch Hammil … Da vereinbart er ein Rendezvous zwanzig Meilen vom Lager entfernt, damit niemand draufkommt, wo es liegt. Aber er läßt die Munition zu Hause, weil er nicht riskieren will, sich diese unterwegs abjagen zu lassen. Dann verliert er die Männer, die die Gewehre hätten tragen sollen, so daß wir zwei uns mit einem Bündel abplagen müssen und Ladislas mit dem andern. Ich werde angeschossen. Und warum das Ganze? Neunhundert Gewehre sollen noch geliefert werden, und man wird sie über dem Lager abwerfen müssen. Aber das macht Hammil nichts aus. Er hat ja bereits hundert Gewehre für den Fall, daß der Feind uns bombardiert. Hundert Gewehre gegen Flugzeuge!«
Newsted spuckte auf den Boden. »Wissen Sie, was diese Gewehre für ihn bedeuten?« sagte er. »Etwas so Großartiges ist ihm bisher nicht untergekommen, und natürlich läuft er nun wie ein verrücktes Huhn umher. Jetzt ist seine große Chance gekommen. Bald wird er stolzieren, König der Berge sein und dieses verdammte Pergament schwenken. Sein Traum wird Wirklichkeit! Erwarten Sie, daß er unter solchen Umständen vernünftig handelt?« Newsted hatte sich in beißenden Zorn hineingeredet. Eine alte Wunde schien da aufgebrochen zu sein.
»Hammil hat nur zweimal in seinem Leben etwas geleistet: er hat das Funkgerät beschafft und Kontakt mit euch aufgenommen, und vor dreißig Jahren ist ihm durch Zufall irgend etwas gelungen. Sonst war er auf jedem Gebiet eine Niete. Das einzige, was er tun konnte, war, sich als Reserveleutnant zu verpflichten. Und nun schauen Sie, wie weit er es gebracht hat.
Was wäre passiert, hätte ich das Funkgerät beschafft, euch gerufen und gesagt: ›Hallo, hier ist Joe Newsted. Ich möchte die Erde befreien. Werft mir einige Gewehre herunter.‹ Wissen Sie, was geschehen wäre? Ein C.S.O.-Geheimagent hätte in den alten Aufzeichnungen der früheren Regierung gewühlt, welche der Feind irgendwo aufgestapelt hat, und meine Polizeiakten gefunden, genauso wie er Hammils alte Militärakten ausgegraben hat. Und ich hätte auf meine Gewehre pfeifen können. Aber Hammil — Hammil, nun, der nicht einen Finger rührte, als der Feind kam, und seine Kompanie übergab, ohne auch nur einen Schuß gefeuert zu haben, der bekommt seine tausend Gewehre.« Newsted schmollte. »Er ist ein Pavian, ein behaarter, posierender Pavian. Er hat nur eines: er ist dumm genug, seinen eigenen Vorgaukelungen zu glauben. Er glaubt wirklich, vom Schicksal zum großen Führer der Menschheit bestimmt zu sein.«
Schwankend unter seiner Last hörte Michael Wireman hinter sich Newsteds Flüche. Irgendwie gelang es ihm, Hammils Lager auf dem nächsten Berg zu erreichen. Schmutzige, zerlumpte Männer kamen ihnen entgegen. Fliegen belästigten ihn. Dann fiel er bewußtlos vornüber.
»Potter?«
»Ja. Michael, geht es Ihnen schon besser?«
»Danke. Hat das Raumschiff die restlichen Gewehre abgeworfen?«
»Vergangene Nacht.«
»Glauben Sie, daß es richtig war, sie Hammil zu geben, trotz allem?«
Kurze Pause. »Ja«, meinte er dann, »ich denke schon.«
»Nun, als man Ihnen auf Cheiron Anweisungen gab, hat man nicht gewußt, daß Hammils wunderbare Armee so aussieht. Alles schien so einfach zu sein: die Leute mit Waffen auszurüsten, ihn einen Anfang machen zu lassen und dann Unterstützung herbeizuholen. Jetzt stellt sich heraus, daß Sie eine ganze Menge Überredungskunst werden anwenden müssen, damit jemals ein Feind von diesen Gewehren getötet wird. Hammil wird sich nicht rühren. Er wird die anderen Banden dieser Berge terrorisieren und Räuberhauptmann werden, aber er bekäme einen Herzanfall, müßte er gegen die Feinde marschieren.«
Wieder eine kurze Pause, dann sagte Potter sanft: »Sie irren sich, Michael. Hammil wird gegen die Feinde vorgehen.«
»Hammil käme nie zurecht, hätte er nicht Newsted«, antwortete Michael Wireman, zum erstenmal ein wenig gerührt.
»Aber er hat Newsted«, sagte Potter, »und Ladislas. Die werden ihn antreiben.«
»Warum sollten sie das auch?«
»Weil …« Potter seufzte. »Weil sie die Welt beherrschen wollen. Sie glauben, daß Hammil, hat er erst einmal den Feind aus dem Land getrieben, Diktator auf Erden wird. Hammil meint das übrigens auch. Aber Newsted und Ladislas, gemeinsam oder jeder für sich, werden Hammil dirigieren. Darum wird Hammil, der ein Prahlhans ist, gegen den Feind marschieren. Deshalb wird Newsted, der ein Dieb ist, ihn ermutigen. Deshalb ist Ladislas, Professor für Staatswissenschaften, zufrieden, dreißig Kilogramm schwere Bündel die Berge hinaufzuschleppen und Hammils Stiefel zu putzen. Und deshalb werden Sie, ganz gleichgültig, wie tüchtig Sie sind, niemals von diesen Leuten akzeptiert werden.«
Michael Wireman sagte nichts. Nach einer Weile drehte er sich um und fiel in eine Art Halbschlaf.
In den darauffolgenden drei Tagen war Michael Wireman so weit genesen, daß er sogar Potter bei der Instruktion der Leute helfen konnte. Das war ziemlich einfach, und sie lernten rasch. Hammil beobachtete ihre Fortschritte ungeduldig, aber nicht einmal er konnte sich beklagen.