»Sie sind Franz Hammil«, antwortete der andere ruhig. »Ich erinnere mich an Sie.«
Hammils Grinsen verstärkte sich. »Und woher kennen Sie mich?«
»Ich bearbeitete Ihren Klassifizierungs-Test vor acht Jahren.«
»Sie glaubten wohl, mich nie wieder zu sehen?«
»Das war mir ganz gleichgültig.«
Hammil schlug ihn. Der Offizier schien es erwartet zu haben. Er zuckte nicht zurück.
Potter und Ladislas kamen leise ins Zimmer und stellten sich neben Michael Wireman. »Was ist da los?« flüsterte Potter.
»Irgend etwas wegen eines Klassifizierungs-Tests, ich weiß auch nichts Genaues.« Michael Wireman zitterte vor Wut.
»Oh.« Das kam von Ladislas. »Er hat seinen Mann gefunden.«
Sowohl Hammil als auch sein Gegenüber widmeten einander ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Sie kontrollierten meinen Klassifizierungs-Test«, kreischte Hammil. »Sie kontrollierten ihn, kaum aus der Militärschule entlassen. Sie bearbeiteten Klassifizierungs-Tests früherer Offiziere mit doppelt, was heißt doppelt, zehnmal mehr Erfahrung als Sie!«
»Ja, das tat ich. Ich erinnere mich, daß Sie für vollkommen unfähig befunden wurden, ein Kommando zu übernehmen.«
Niemand zeigte sich überrascht, als Hammil ihn ein zweites Mal schlug.
»Sie taten es. Sie taten es, und sind Sie noch immer derselben Meinung?«
»Niemandem steht eine Beurteilung dieser Tests zu, aber ich sage trotzdem, daß sie sich als richtig erwiesen haben.«
Hammil schlug ihn wieder, und gleichzeitig fand Ladislas es für notwendig. Michael Wireman das Gewehr aus der Hand zu nehmen.
»Sie haben wohl angenommen, daß ich nicht weiß, wo Sie sind, nicht wahr? Sie wähnten sich in Sicherheit!«
»Ich wußte, wo Sie waren, und sehe keinen Grund, warum es nicht auch umgekehrt sein könnte.«
Vielleicht begann Hammil zu verstehen, daß der Feind ihn absichtlich reizte. Hammil starrte ihn an. »Machen Sie sich lustig über mich?«
»Ein wenig.«
Ein Schauer durchlief Hammils Körper. Er wurde feuerrot. »Bringt ihn ‘raus!« schrie er.
Sie hatten ihre Toten begraben und die zerlegte Kanone samt vorgefundener Munition auf den Rücken einiger Männer verstaut.
»Welche Bewandtnis hat es mit diesen Klassifizierungstests?« fragte Michael Wireman. »Was ist das?«
Potter antwortete: »Das administrative System des Feindes sieht vor, jeden auf Eignung zu testen. Die Leute werden dann dementsprechend eingeteilt, jeder verrichtet Arbeiten, die ihm am meisten liegen. Ein Mensch, der eine Arbeit hat, die ihn freut, wird zufrieden sein. Eine zufriedene Bevölkerung wird nicht rebellieren. Hammil verlangte einen Test auf militärische Eignung. Dem Gesetz nach steht es jedem frei, sich auf irgendeine Eignung testen zu lassen. Das Ergebnis kennen Sie ja.«
»Ja. Er versuchte also, Offizier der feindlichen Armee zu werden.«
»Und entsprach nicht«, setzte Ladislas fort. »Deshalb flüchtete er in die Berge.«
Plötzlich summte etwas am Himmel. Michael Wireman schaute hinauf. Flugzeug, dachte er, und überlegte, ob der Feind wohl Möglichkeiten habe, den Boden von derartiger Höhe aus genau zu beobachten.
Einen Augenblick lang sah man das Flugzeug als glänzenden Punkt in den Wolken, im nächsten war es schon unter ihnen. Golden, speerförmig, pfeifend raste das feindliche Flugzeug auf sie zu.
Sie liefen in allen Richtungen auseinander: einige in die Wälder und damit in Sicherheit; einige in das Blockhaus, dessen Dach durch eine Serie von Treffern explodierte.
Michael Wireman, durchs Gebüsch kriechend, sah eine Anzahl von Raketen über den Rasen schlittern, die zuerst wie Wachposten dastanden und dann explodierten. Er wußte, daß eine gegen Personen gerichtete Rakete vorher explodieren müßte. Andernfalls wäre der Sprengkopf schon zu tief im Boden, um den gewünschten Schaden anrichten zu können. Vielleicht waren das panzerdurchdringende Geschosse, für ein ganz anderes Ziel bestimmt. Für das Raumschiff vielleicht …
Isaac Potter kroch übers Gras, die Hände gegen den Bauch gepreßt. Michael Wireman eilte auf ihn zu. Er lief sehr schnell, aber Hammil hatte ihn, aus größerer Entfernung, schon früher erreicht. Er fingerte an der Brusttasche seines Waffenrocks, versuchte den Knopf zu öffnen, riß ihn schließlich ab und zog als erstes Stück Papier seine Beförderung heraus. Ungeduldig warf er sie beiseite. Das nächste war ein gefaltetes Dokument. Er öffnete es, legte es über die Knie und durchsuchte seine Taschen nach einem Schreibzeug.
Isaac Potter lag am Rücken und versuchte angestrengt zu sprechen. Sein Mund öffnete und schloß sich einige Male.
»Nicht Geheimdienst«, brachte er endlich hervor. »Abteilung für äußere Angelegenheiten. Diplomatisches Korps.«
Hammil hatte etwas gefunden. Er nahm das Dokument und drückte den Bleistift in Potters rechte Hand. »Unterzeichnen Sie«, drängte er mit beunruhigter Stimme. »Unterzeichnen Sie. Im Falle eines Erfolgs wollten Sie das doch tun.«
Potters Körper zuckte. »Erfolg, ja. Aber in Zukunft halten Sie Ausschau nach Flugzeugen, wie?« Er unterschrieb sehr sorgfältig. Dann reichte er Michael Wireman den Bleistift. Etwas, was kein körperlicher Schmerz war, überlief seine Züge. »Unterzeichnen Sie ebenfalls. Zeuge.«
Ohne sich viel Gedanken zu machen, unterzeichnete Michael Wireman das Dokument. Potter gab es Hammil zurück. »Nun suchen Sie Ladislas. Sie benötigen zwei gute, ehrbare Zeugen. Des Präsidenten Sohn, des Präsidenten Gegner. Gehen Sie, Mann. Wir sind fertig.«
Hammil nickte mit leuchtenden Augen.
Potter sammelte sich. »Was … ich da unterschrieb … ist ein Vertrag. Zwischen der Centaurus-System Organisation und Franz Hammil, dem vorläufigen Präsidenten der Erde. Gegenseitiger Beistand. Er schützt uns vor allen Versuchen, die rechtmäßige centaurische Regierung zu stürzen, und wir erweisen ihm ähnliche Dienste. Wir haben — Ihre Leute vollkommen übergangen, Michael. Ein wenig zu intelligent für uns. Mit Hammil können wir fertigwerden. Schauen Sie, wir könnten der Erde nicht vollständige Unabhängigkeit zugestehen. Wäre ein zu großes Risiko. Wir müssen jetzt dauernd Leute und Stützpunkte hier haben.«
»Potter …«
»Politik, Michael. Müssen eine Generation voraus planen, müssen unsere Freiheit sicherstellen.«
Nachdem Isaac Potter das gesagt hatte, starb er.
Michael Wireman spürte Ladislas’ Hand auf der Schulter. »Wir werden ihn mitnehmen«, sagte er. »Ihn oben am Berg begraben. Jeden Augenblick kann der Feind mit gepanzerten Fahrzeugen hier sein.«
Michael Wireman schaute um sich. Außer Ladislas war niemand mehr da. Hammil hatte die Leute zurückgezogen und Potter dort gelassen, wo er gestorben war.
Michael Wireman atmete tief ein und dann noch einmal. Er nahm Ladislas’ Hand von der Schulter, streifte das Gewehr ab und ging weg, über den Rasen und den Highway hinunter, dem Feind entgegen, mit erhobenen Händen.
3
Ein Offizier, schmuck und gebieterisch in seiner schwarzen mit Silberborten verzierten Uniform, schaute neugierig aus seinem Panzerwagen. »Ergibst du dich, Junge?«
Michael Wireman nickte.
Der Offizier gab dem Lenker einen Wink, der Wagen fuhr an den Straßenrand, und sechs gepanzerte Lastkraftwagen brausten vorüber. Dann sprach er kurz in ein Mikrophon, worauf ein Panzerwagen am Schluß der Kolonne plötzlich beschleunigte, die Lastkraftwagen überholte und die Führung übernahm. Die Patrouille verschwand in Richtung Kommandoposten.
Der Offizier lehnte sich im Sitz zurück, blickte stirnrunzelnd auf Michael Wireman, wobei er dessen Gesicht und Kleidung begutachtete, und sagte endlich ungeduldig: »Sie können die Hände heruntergeben. Nun — was ist los?«