Hinter dem Rücken knetete Michael Wireman seine Hände. »Ich ergebe mich.«
»Das sehe ich. Aber warum?« Es stellte sich heraus, daß er ehrlich verdutzt war. Wie neunundneunzig Prozent der Feinde, die sich auf der Erde befanden, war auch er ganz offensichtlich zu jung, um den Krieg mitgemacht zu haben. Er war Schwierigkeiten nicht gewöhnt. Er wußte, daß Widerstandskämpfer in den Wäldern lebten, aber auch mit denen hatte er noch nie Unannehmlichkeiten gehabt.
Paradoxerweise war ihm auch nie der Gedanke gekommen, einer dieser Leute würde sich ergeben.
Verspätet, während er auf Antwort wartete, kam ihm in den Sinn, daß dies alles ein Trick sein könnte. Beunruhigt beobachtete er die Wälder zu beiden Seiten. Aber eine Falle hätte sich wohl schon längst als eine solche herausgestellt. Irritiert schnauzte er: »Nun?«
Es gelang Michael Wireman nicht, seine komplizierte seelische Verfassung in Worten auszudrücken. Er hatte impulsiv gehandelt, und nun war er da. »Ich hatte genug«, sagte er monoton. »Ich gebe auf.«
»Öffnen Sie Ihren Mund«, sagte der Offizier plötzlich. »Ich möchte Ihre Zähne sehen.« Grimmig starrte er auf Michael Wireman. »Los! Tun Sie es!«
Michael Wireman öffnete den Mund. Der Offizier jedoch griff schnell zu und befühlte den Stoff seines Schutzanzugs. Anscheinend zog er irgendwelche Schlüsse aus alledem, und zu spät erkannte Michael Wireman den Grund. Der Offizier betrachtete ihn aufmerksam.
»Sie waren nicht sehr lange in den Wäldern. Und was Sie da anhaben, stammt nicht von der Erde. Woher kommen Sie?«
Michael Wireman fand noch immer keine Worte. Er war erschrocken darüber, daß er nicht überlegt hatte, was seine freiwillige Auslieferung alles nach sich ziehen könnte. Aber jetzt gab es kein Zurück.
»Ich bin von Cheiron«, gab er zu. »Vor zehn Tagen landete ich in den Bergen.«
»Ein centaurischer Spion also.«
»Ein freier Erdenbürger«, gab Michael Wireman zurück.
Der feindliche Offizier mußte erst einige Zeit nachdenken, ehe er begriff.
»Oho!« rief er dann aus und lehnte sich wieder zurück. »Von der Regierung im Exil?«
Michael Wireman nickte.
»Und Sie ergeben sich.« Der Offizier spielte mit dem Schalter des Funkgeräts. »Das ist sehr interessant.« Er betätigte den Schalter. »Geben Sie mir das regionale Hauptquartier«, sagte er. »Hier spricht Leutnant Boros.« Während er wartete, trommelte er mit den Fingern der freien Hand auf einem Knie und ließ Michael Wireman nicht aus den Augen.
»Hauptquartier? Leutnant Boros. Patrouille auf Route 209 zur Unterstützung des Kommandopostens. Ich bringe einen Gefangenen.« Es folgte eine Pause. »Nein, Sir. Leutnant Laram hätte mich über einen Kontakt mit der Haupttruppe informiert. Der hier war allein, hat sich freiwillig ergeben und ist bereit auszusagen. Ja, Sir. Werde ihn sofort bringen.«
Er legte das Mikrophon zurück und öffnete die rückwärtige Wagentür. Er stieg aus, nahm das Seitengewehr in die Hand und zwängte sich auf den hinteren Sitz. Mit eisiger Miene deutete er auf den freigewordenen Platz neben dem teilnahmslos dreinschauenden Fahrer. Leutnant Boros sah jetzt gar nicht mehr wie ein Soldat in Friedenszeiten aus.
»Steig ein, Verräter«, sagte er.
Michael Wireman spürte, wie ihm das Blut in den Wangen brannte.
Der verhörende Offizier war wesentlich älter als Leutnant Boros, hätte aber dem Aussehen nach leicht dessen Bruder sein können. Es müßte doch auch dicke, kleine Feinde geben, dachte Michael Wireman. Aber es schien, als hätten alle hohle Wangen, Adlernasen, kurzes, gekraustes Haar und große, sehnige Körper. Mit ihren dunklen Gesichtern und tiefliegenden braunen Augen bildeten sie eine einzige große Familie. Gerade diese Einheit unterschied sich so wesentlich von den Erdenbürgern, denen sie ähnelten: jeder war vom andern in gleicher Weise abhängig, sie wiesen ebenbürtige Leistungsfähigkeit auf, perfekte Bruderschaft.
Das Gefühl von Hilflosigkeit in Michael Wireman wurde noch verstärkt, als er sah, mit welcher Schnelligkeit sein Akt, fernfotokopiert von der Zentralstelle in Genf, in die Hände des Offiziers gelangt war.
»Michael Wireman«, las der verhörende Offizier mit sanfter Stimme aus der geöffneten Mappe. »Michael Wireman«, wiederholte er, als interessiere ihn das am meisten. »Ihr Vater ist Präsident der Exil-Regierung.«
Michael Wireman nickte. Das Zimmer war kahl, ohne Einrichtung oder Dekoration, auf der sein Blick hätte ruhen können. Da waren zwei Stühle und dazwischen ein Tisch. Michael Wireman hatte keine andere Wahl, als den Offizier anzuschauen.
»Vor zehn Tagen kamen Sie hier an?«
»Mit Hilfe eines Raumschiffs, natürlich.«
»Ja.«
Der Offizier schaute auf. »Dieses Raumschiff gehört wohl den C.S.O.-Streitkräften?«
Michael Wireman wehrte ab. »Es gehörte nicht der C.S.O.« Er hielt es für wichtig, diesen heiklen Punkt klarzustellen.
Der Offizier lächelte ironisch. »Ist es nicht faszinierend, wie man ein internationales Gesetz umgehen kann?«
»Ich nehme an, ja«, antwortete Michael Wireman, und aus irgendeinem Grund wechselte der Offizier das Thema.
»Sprechen wir einmal über Sie«, begann er. Er durchblätterte die Mappe. »Sie verließen die Erde im Alter von einem Jahr, als Ihre Familie nach Cheiron flüchtete. Sie wuchsen auf Cheiron auf, unter Centaurern. Diese stammen zwar von Erdenbürgern ab, sind aber schon seit Generationen unabhängig; in ihrem Bereich wurden sie reich und mächtig, und ihre Bindungen zur Erde sind mehr als dürftig. Waren Sie dort glücklich?«
»Glücklich genug.«
»Wirklich? Ich hätte gedacht, Sie wären ausschließlich mit Ihren Hoffnungen beschäftigt gewesen, vielleicht doch einmal zur Erde zurückkehren zu können.«
»Sie sind sehr klug«, flüsterte Michael Wireman.
»Sie haben nichts Anziehendes an sich«, fuhr der Offizier fort. »Sie haben sonderbar aussehende Ohren und sind unbeholfen. Sie sind nicht so überaus geistreich, um damit beeindrucken zu können. Sagen Sie mir noch einmal, Michael, waren Sie glücklich.?«
Michael Wireman schüttelte den Kopf.
»Nun gut«, sagte der Offizier mild. »Als man beschloß, Sie herzuschicken, war das die Erfüllung Ihrer Träume, nicht wahr? Endlich konnten Sie dorthin gehen, wohin Sie gehörten.«
Einen Augenblick lang war es ruhig. »Ich freute mich darüber«, sagte Michael Wireman langsam.
Der Offizier betrachtete Michael Wiremans Gesicht. »Ja, das glaube ich Ihnen.« Eine Weile blätterte er in den Akten und sagte dann: »Aber jetzt sind Sie unglücklich. Innerhalb von zehn Tagen hat sich Freude in Elend verwandelt. Wurden Sie von Hammils Leuten nicht akzeptiert?« Er blickte auf. »Oder entsprach Hammil nicht Ihren Vorstellungen?«
Michael Wireman antwortete nicht. Er sah, wie der Offizier lächelte.
»Sie mögen Hammil nicht, oder seine Methoden«, sagte er dann. »Das Aussehen der Freiheitskämpfer gefiel Ihnen nicht, wie?«
»Nein.« Welchen Sinn hatte es, jetzt noch etwas zu verschweigen.
»Und ich wette, Sie sagten ihnen genauso wenig zu. Sie können froh sein, daß Sie noch am Leben sind, wissen Sie das?«
»Ich weiß. Sicher freut er sich, daß ich weg bin.«
»Ja. Sagen Sie maclass="underline" glaubt er, Ihrer Meinung nach, Diktator über die ganze Erde werden zu können?«
»Ja.«
Der Offizier nickte bedächtig. »Gar nicht so unvorstellbar«, murmelte er. »Aber darauf kommen wir noch zurück. Sie sind vorläufig interessanter.«
Michael Wireman begann zu verstehen, wieder zu spät, daß diese Fremden niemals ohne Grund, eine Frage stellten. Er fürchtete sich davor, welche Schlüsse der Offizier ziehen würde.
Dieser schüttelte den Kopf. »Sie passen nicht, Michael Wireman. Sie passen nicht auf Cheiron; da hinauf in die Berge gehören Sie auch nicht. Ich mache mir Gedanken … Ihr Vater muß sehr beschäftigt sein …«