»Ich glaube, ich hatte keine andere Wahl, Vater«, antwortete Michael. Obwohl es Ralph Wireman freute, daß sein Sohn die Frage verstanden und ihm geantwortet hatte, während all die andern verblufft dastanden, so war es doch eine sonderbare Antwort, und Ralph Wireman überlegte, ob sie einander wirklich verstanden hatten.
Er grübelte darüber nach, während er und Harmon anderen Leuten vorgestellt wurden, die ihn gar nicht interessierten. Da waren Anhänger des gestürzten Vorgängers oder neu beförderte Männer, die die klassischen Funktionen einer Interimsregierung ausübten: Männer ohne Schliff und Praxis, die wichtige Arbeiten gut bewältigten, nicht weil sie entsprechend geschult worden waren, sondern weil sie sich mit Leib und Seele darauf konzentrierten. Monomanie hätte eine stabilere Regierung das genannt und sie eben deswegen entfernt und wegen all der anderen Fehler, die eine erfahrene Regierung nie tolerieren könnte.
Da waren dieser Newsted, dieser Hobbs, dieser Morganson, dieser Lopert, dieser Ladislas — das ruhige, unerschütterliche Ausgleichsgewicht zum ungestümen, jungen Kommandanten …
»Ladislas Danko!« Ralph Wireman schaute entgeistert drein.
»Alter Freund«, brummte Professor Danko, ihm freundlich auf die Schulter klopfend.
»Ich war nie Ihr Freund!« sagte Wireman schrill und zog die Schulter weg.
»Ich hatte gedacht, vielleicht …« Danko zuckte die Achseln und wandte sich unangenehm berührt ab.
Erst jetzt wurde Ralph Wireman klar, daß sein früherer Gegner erschrocken war, ihn so alt zu sehen, und in guter Absicht versucht hatte, die längst vergangenen Zwistigkeiten zu begraben. Und nun war ihm Wiremans Unhöflichkeit peinlich.
Ach, laß ihn, dachte Ralph Wireman. Zu dumm, daß nicht jeder jedes Gespräch beherrschen kann; tatsächlich ist es so, daß immer nur einer die Richtung bestimmt, oder niemandem wäre gedient. Danko hatte trotz aller Freundlichkeit, versucht, ihre Bekanntschaft in eine Bahn seiner Wahl zu zwingen. Natürlich hatte er da erklären müssen, daß er nicht damit einverstanden war.
»Vater«, fragte Michael Wireman sanft, »hast du der Erde damit gedient, so mit Professor Danko zu verfahren?«
»Der Erde gedient? Natürlich, ich …« Er unterbrach sich plötzlich. Das war ja nicht so wichtig. Der springende Punkt bestand darin: Wer war hier das Oberhaupt? War das einmal geregelt und der entsprechende Zuständigkeitsbereich für jeden einzelnen genau festgelegt, dann konnte die Regierung ihre Arbeit ungehindert fortsetzen.
Oder war das bereits erledigt worden?
»Michael, hast du mir die Präsidentschaft, genommen? Du hast mir keinen Platz gelassen, nicht wahr?«
»Das ist schwer zu beantworten, Vater«, sagte Michael.
Ladislas Danko begann: »Die gesetzliche Lage ist äußerst unklar. Da ist einmal die Frage, ob der C.S.O.-Vertrag mit Hammil dem Internationalen Gesetz nach gültig war, das heißt, die weitere Frage, ob Hammil diesen Status unabhängig vom Vertrag erworben hat, wenn man bedenkt, daß seine Aktionen einen Staatsstreich gegen die Regierung im Exil dargestellt haben.
Nehmen wir an, Hammil wäre rechtmäßiger Präsident gewesen, dann taucht die Frage auf, ob Michael den Titel als legitimer Erbe erhalten hat, denn er tötete den General im Zweikampf. Oder ob er die Ordnung auf der Erde im Namen der Regierung im Exil wiederherstellte, womit er Ihre Autorität aufrechterhalten hätte; oder ob er die Macht einfach an sich gerissen oder ob er eine Gegenrevolution ausgeführt hat …«
Aber Ralph Wireman hörte gar nicht zu. Er war auch nicht schockiert oder enttäuscht. Er hatte natürlich schon lange gewußt, daß seine Position nur ein Blatt Papier war, das hinwegflattern würde beim ersten Wind, der über die Erde fegte. Aber daß Michael es sein mußte, den er nicht verstand, dessen Beweggründe er nicht kannte, dessen Führungsgrundsätze er nicht geprüft hatte, kurz und gut, nicht zu wissen, in welche Hände seine Autorität gefallen war, das verwirrte ihn und machte ihn unsicher.
Immer wußte ich, was ich tat, dachte er. Ich plante und führte die Pläne aus, meistens. Wollte ich nicht schon einmal aufgeben, vor Jahren, an Bord des Raumschiffs? Aber jeder Mensch hat Totpunkte im Leben, dann verliert er das Vertrauen zu seinen Plänen.
Aber nur vorübergehend. Er macht weiter. Wer kann sagen, warum ich meine Meinung änderte?
Änderte ich sie wirklich? Wenn ich mich nicht erinnern kann, ist es dann überhaupt geschehen, oder vermute ich das nur? Wer kann sagen, ob ich immer wußte, was ich tat? Wer kann sagen, daß alles immer so war, wie ich es mir dachte? Ich habe nur mein Gedächtnis zur Unterstützung. Ist es perfekt, oder kommt mir das nur so vor? Hat mein Gedächtnis die Vergangenheit so aufbewahrt, daß alle unebenen Stellen mit Moos bedeckt sind und grün aussehen, schöner als sie wirklich waren?
O Gott! dachte Ralph Wireman. Ich bin der Gefangene meines Gehirns, und mein Gehirn ist menschlich — nur zu menschlich. Es versucht, Dinge freundlicher zu machen, es versucht, alles so zu arrangieren, daß mein letzter Gedanke der Freude gelten wird und nicht dem Leid. Oh! Wie wichtig mir das geworden ist! Hätte ich das nur gewußt, als ich noch jünger war. Jetzt ist es zu spät. Zuviel Vergangenheit liegt hinter mir. Wie kann ich sie jetzt ändern?
Oder habe ich sie geändert? Habe ich die Wahrheit übergangen, so daß die zeitlose Welt, in die ich eingehen werde, falsch und hohl sein wird, wo ich nicht werde ruhen können?
»Mr. Wireman«, sagte Captain Lemby zu Michael, nicht zu Ralph. »Wir haben einiges zu besprechen. Der Feind ist aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Wir müssen jetzt rasch einen Kordon errichten, um Verstärkungen abzuwehren, während der Rest hier geschlagen wird.«
Michael hörte Lemby geduldig zu. »Sicherlich, Captain«, sagte er. »Aber während Ihre Gedanken sich mit Raumschiffen beschäftigen, muß ich Sie daran erinnern, daß es mein Vater war, der es euch ermöglicht hat, diesen Sektor frei zu machen. Eben erst hat er erfahren, daß er entlastet ist und nun das Recht hat, ein wenig Atem zu holen. Spazieren wir langsam zu meinem Zelt. Bis dahin sind wir sicher soweit, uns wieder der Politik zuwenden zu können.«
Sanft legte er seine Hand auf Ralph Wiremans Arm. »Laß uns gemeinsam gehen.«
Sie saßen um den langen Tisch in Michael Wiremans Zelt, und Ralph Wireman beobachtete schläfrig seinen Sohn, der mit dem C.S.O.-Bevollmächtigten verhandelte.
»Schauen Sie«, ereiferte sich Lemby gereizt, »wir sagten gewisse Ding zu: die Blockade, die Versorgungsgüter, den Rücktransport der Mitglieder der früheren Regierung, die Anerkennung eurer Regierung. Nun, auch ihr müßt uns etwas geben. Handelskonzessionen, Entschädigungen, irgend etwas, um Himmel willen!«
»Nun, ja«, sagte Michael Wireman. »Wir sind euch für eure Hilfe dankbar. Aber ohne uns würdet ihr euren Krieg nie gewinnen.«
»Unseren Krieg? Es ist auch euer Krieg!«
»Dann sind wir Verbündete. Betrachten Sie es als ehrenhaft, unser Territorium wirtschaftlich beherrschen zu wollen, als Entschädigung für eine Hilfe, die Freunde und Verbündete normalerweise selbstverständlich gewähren? Sie selbst wiesen darauf hin, Captain; es ist auch euer Krieg. Auch ihr werdet davon profitieren.«
»Wireman, Sie werden bestimmt nicht profitieren, wenn wir die Blockade aufheben und den Feind wieder ins Land lassen! Dann würden Sie uns bestimmt gern wiederhaben und auf jeder Basis verhandeln.«
»Das können Sie nicht tun, Captain«, sagte Michael, langsam den Kopf schüttelnd. »Was erzählten Sie Ihrem Volk, zu Hause, als der Krieg begann? Daß ihr mit einem Rivalen in wirtschaftlichen Konflikt gekommen seid — oder daß ihr der unterdrückten Erde zu Hilfe eilen würdet? Ich kenne Ihre Regierung, Captain. Es ist eine gute Regierung, aber sie ist der Meinung, daß man dem gewöhnlichen Volk eine edle Absicht vortäuschen und die harte Wirklichkeit verbergen soll. Nein, Captain, Sie dürften den Feind nicht wieder hereinlassen. Ihr Volk würde sich vor Entrüstung erheben und die Regierung stürzen.«