»Wenn wir noch lange hierbleiben«, sagte Michael Wireman über die Schulter, »haben wir eine feindliche Patrouille auf dem Hals.«
»Ja, aber wenn wir weggehen, wird Hammil uns nicht finden. Ich weiß wirklich nicht, was wir machen sollen.«
Michael Wireman hörte das Rauschen der Bäume, aber sonst nichts. »Warten wir noch zehn Minuten. Hören wir dann noch immer niemanden kommen, gehen wir ein Stück weiter. Hören wir aber jemanden, so müssen wir verdammt gut aufpassen, wer es ist.«
»Ich glaube, eine feindliche Patrouille würde wahrscheinlich per Hubschrauber kommen. Sie können nicht gut auf jedem Berg der Welt ständig Streifen stationiert haben.«
»Außer, sie erwarten uns.«
Als plötzlich geräuschlos eine Gestalt vor ihm auftauchte, erschrak er. »Freiheit«, krächzte der Fremde.
»Waffen«, flüsterte Michael Wireman mit erstickter Stimme.
»Gut«, sagte der große Mann mit noch immer heiserer Stimme. »Ich heiße Ladislas. Lassen Sie mich das Bündel tragen.« Mit klobigen Händen öffnete er geschickt die Riemen.
»Es — es freut mich, Sie getroffen zu haben«, sagte Michael Wireman beklommen.
»Gehen wir jetzt. Hände schütteln wir später«, ertönte eine fremde und entschlossene Stimme neben Potter. »Nun, kleiner Mann, ich werde Ihr Gepäck nehmen.« In der Dunkelheit konnte Michael Wireman nur Umrisse ausnehmen, aber die Gestalt schien noch etwas kleiner als Potter zu sein. »Ich heiße Newsted. Gehen wir.«
Schnell schritten sie zwischen den Bäumen aus. Ladislas ging voran, Newsted kam als letzter hinter Potter. Sie bewegten sich auf einer dicken Schicht von Föhrennadeln und verursachten beinahe kein Geräusch. Gelegentlich ließen Michael Wireman oder Potter einen Fuß nachschleifen. Weder Ladislas noch Newsted beanstandeten das, wenn es passierte, aber man sah ihnen den Ärger an.
Einmal blieben sie stehen. Newsted flatterte wie ein Geist an Michael Wireman vorbei und berührte Ladislas’ Arm. Der Riese legte seinen Mund an Newsteds Ohr und flüsterte ihm offensichtlich etwas zu, obwohl Michael Wireman ihn aus einer Entfernung von nur einem viertel Meter nicht hören konnte. Newsted nickte, glitt zurück, berührte zuerst Michael Wiremans und dann Potters Schulter und ließ sie kehrtmachen. Zwei Minuten lang marschierten sie zurück. Newsted hielt sie wieder an und erklärte ihnen flüsternd: »Dort vorne sind Menschen. Wir wußten nicht, daß welche da sind, aber sie haben keine Ahnung von uns.« Sie umgingen die Stelle in einem weiten Halbkreis und erreichten dann ein kurzes, flaches Tal. Andere Menschen umgaben sie nun, verborgen vom buschigen Unterholz, welches das Tal überwucherte. Man konnte sie mehr fühlen als sehen. Ladislas stoppte sie, zog an etwas und hob eine Menge Gesträuch weg. Newsted stieß sie weiter. Ladislas legte das Buschwerk wieder auf seinen Platz zurück. Irgend jemand knipste eine Taschenlampe an, die auf einem Funkgerät stand, und Michael Wireman sah sich in einer Höhle einem Mann mit kugelrundem Kopf gegenüber, der einen Waffenrock mit Goldborten, eine dunkelblaue Reithose und polierte Stiefel trug.
Der Kopf war mit Haarstoppeln bedeckt, als hätte er ihn vor etwa fünf Tagen kahlgeschoren. Auch sein Kinn sah so aus. Das Gesicht war hübsch, wenn auch derb, die Augenbrauen hatten die Farbe gebleichten Strohs, die Augen waren eisblau. Über der Oberlippe wuchs ein rötlicher Bart. Er richtete eine automatische Pistole auf Michael Wiremans Gürtel, den Finger am Abzug.
»Wer sind Sie?« fragte er mit verdrossener Stimme.
»Michael Wireman. Das ist Isaac Potter.«
Der Mann nickte kurz. »Gut. Woher kommen Sie?«
»Von Cheiron, im Centaurus-System.«
»Und was haben Sie für mich?«
»Waffen. Sind Sie General Hammil?«
»Vorläufig selbst ernannt, ja. Mein offizieller Rang lautet: Leutnant Hammil, Reservearmee der Erde.«
Nun, da alle Formalitäten erledigt waren, legte Hammil seine Grimmigkeit ab und nahm eine irgendwie irreführende Herzlichkeit an. Lässig warf er die Pistole auf das Funkgerät. »Des Präsidenten eigener Sohn, wie?« fragte er. »Ich fühle mich geehrt!« Es war zweifelhaft, ob er sich wirklich so fühlte. »Nun, wir werden versuchen, es Ihnen so angenehm wie nur möglich zu machen.«
»Ich kam her, um zu kämpfen«, erwiderte Michael Wireman, ein wenig gereizt durch Hammils Haltung. Der Mann hatte gewußt, wer kommen würde. Michael Wireman hätte die Überlegenheit Hammils auch ohne diese kleine Szene anerkannt. Hammil war hier der Erfahrenere. Das einzige, was Michael Wireman erwartete, war die Möglichkeit, eine automatische Waffe zu tragen, sie einzusetzen, und erst dann eine verantwortungsvollere Position zu übernehmen, wenn er sie verdient hatte.
»Ja, natürlich«, meinte Hammil und schmunzelte ungemütlich. Ein nicht sehr sympathischer Mann, entschied Michael Wireman. »Haben Sie meine Bevollmächtigung gebracht?«
»Ich habe sie hier.« Michael Wireman nahm das Kuvert aus seinem Schutzanzug, und Hammil riß es ihm fast aus der Hand. Er brach es auf, zog das Pergament heraus, entfaltete es rasch und hielt es gegen das Licht. Mit gespreizten Beinen stand er da und schien einen Augenblick lang zu wachsen. Der Schatten, den er warf, war riesig. Michael Wireman erkannte, daß dieser Mann von Natur aus einen beherrschenden Charakter besaß. Man hatte den Eindruck, als wäre die Höhle zu klein für ihn, als müßten Boden und Felsen bersten und er zum Herrscher über die ganze Welt werden. Dann grinste er, seine schlechten Zähne enthüllend.
»General«, kicherte er. »General, bei Gott!« Mit dem dicken Zeigefinger fuhr er eine Zeile entlang. »Kommandierender General der Befreiungsarmee! Ha!« Er schnaufte zufrieden. »Dreißig Jahre kann es dauern, bis man befördert wird, aber dann zahlt es sich aus! Unterzeichnet und versiegelt vom Präsidenten im Exil und überreicht von seinem Sohn. Ladislas! Newsted! Schaut euch das an!«
Er warf ihnen das Pergament zu. Ausdruckslos schaute Newsted hin. »General, wirklich«, pflichtete er bei. Ladislas grunzte.
Hammil nahm das Blatt zurück, faltete es sorgfältig zusammen und steckte es in die Brusttasche seines Waffenrocks. »Schauen wir uns jetzt die Gewehre an.«
»Ich habe auch noch einen Brief für Sie«, sagte Michael Wireman. Er nahm ein weiteres, diesmal umfangreicheres Kuvert aus der Tasche. »Es enthält einen allgemeinen politischen Überblick und Befehle.«
Hammil schnitt Grimassen, nahm es und stopfte es in eine Seitentasche. »Danke«, sagte er kurz, »das werde ich später durchlesen.«
Isaac Potter hatte ein Bündel zerlegter Gewehre geöffnet. Er zog die Plane mit schnellem Griff zurück, wie ein Zauberer, der etwas Wunderbares enthüllt. Bestandteile automatischer Gewehre schimmerten im Licht. Gut verpackt lagen auch flache Stahlflaschen komprimierten Treibstoffs dabei. Während des Trainings hatte man Michael Wireman aufgeklärt, daß eine plötzliche komplette Entleerung einer der kleinen Viertelliterflaschen flüssigen Gases ausreiche, ein Ziegelgebäude etwa sechs Meter weit wegzublasen.
O ja, sie hatten Waffen auf Cheiron.
»Schauen Sie, General«, sagte Isaac Potter. »Fünfzig in diesem Bündel, fünfzig im andern. Wenn ich dem Raumschiff ein Signal gebe, werden Sie heute nacht oder morgen den Rest bekommen.« Er nahm zwei Hälften, steckte eine Flasche in den Kolben; ein leichter Druck, und das Gewehr war einsatzbereit. Er reichte es Hammil. »Die zusammengesetzte Waffe wiegt siebenhundert Gramm, inklusive Magazin und Treibstoff, ohne Munition. Jede Flasche reicht für fünfhundert Schuß, und Sie haben gesehen, wie schnell man sie austauschen kann.
Dieses Modell wurde für Munition vom Kaliber 23,5 hergerichtet, da Sie sagten, dies sei die gängigste Type. Die angepaßten Magazine fassen fünfzig Kugeln dieser Größe, nachdem man Hülse und Treibladung entfernt hat. Das ist natürlich keine richtige automatische Waffe in dem Sinn, daß das Gewehr automatisch nachlädt und feuert. Es ist vielmehr ein ununterbrochen feuernder, durch flüssiges Gas angetriebener, mehrschüssiger Infanterie-Karabiner mit geringer Schußweite.«