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Ein Donnerschlag ließ das Haus bis in seine Grundfesten erzittern, Sturm erhob sich auf dem Meer, hohe Wogen brachen sich donnernd am Strand, kamen höher und höher, fast bis an das Haus heran. Sutherland schleuderte die Bettdecke fort und taumelte wie betrunken durch den Raum. Erstarrt blieb er am Fenster stehen, es blitzte und donnerte! Höher und höher stieg das tobende Meer!

»O Gott — Gott — Gott —!«

»Brigadier! Brigadier Sutherland. Wachen Sie auf, Sir! Wachen Sie auf!«

Der griechische Boy stand bei ihm und rüttelte ihn heftig.

Sutherland öffnete die Augen und blickte wild um sich. Er war schweißgebadet, und sein Herz schlug hämmernd. Er schnappte nach Luft. Der Boy brachte ihm rasch einen Brandy.

Sutherland sah hinaus auf das Meer. Die Nacht war still, das Wasser lag spiegelglatt und spülte sanft gegen den Strand.

»Es ist schon wieder gut«, sagte er. »Alles in Ordnung.«

»Bestimmt, Sir?«

»Ja.«

Die Tür schloß sich.

Bruce Sutherland sank auf einen Stuhl, barg das Gesicht in seinen Händen, weinte und flüsterte immerzu: »Mutter ... Mutter ...«

VIII.

Brigadier Bruce Sutherland schlief den quälenden Schlaf des Verdammten.

Mandria, der Zyprer, wälzte sich im Schlaf unruhig hin und her, doch seine Unruhe war frohe Erregtheit.

Mark Parker schlief den Schlaf eines Mannes, der eine Mission erfüllt hat.

Kitty Fremont schlief mit einem Seelenfrieden, wie sie ihn jahrelang nicht mehr gekannt hatte.

David ben Ami schlief erst, nachdem er Jordanas Brief so oft gelesen hatte, daß er ihn auswendig wußte.

Ari ben Kanaan schlief nicht. Für einen solchen Luxus war vielleicht später einmal Zeit, nicht jetzt. Er mußte so vieles wissen und hatte so wenig Zeit, es zu lernen. Die ganze Nacht hockte er über Karten, Dokumenten und Berichten, machte sich mit allen Einzelheiten vertraut, die mit Zypern zusammenhingen, mit den Maßnahmen der Engländer, und mit den Leuten seines Volkes, die hier in Zypern saßen. Er arbeitete sich durch Stöße von Material durch, unablässig rauchend oder Kaffee trinkend, und sein Geist war ruhig und zuversichtlich.

Die Engländer hatten häufig geäußert, daß die Juden von Palästina, was den geheimen Nachrichtendienst betraf, es mit jedem anderen Volk aufnehmen könnten. Die Juden hatten dabei den Vorteil, daß jeder Jude in jedem beliebigen Lande der Welt für einen Mossad-Agenten eine potentielle Informationsquelle darstellte und ihm Schutz gewährte.

Der Tag brach an. Ari weckte David, und nach einem raschen Frühstück fuhren sie in einer von Mandrias Taxen hinaus zu dem Internierungslager bei Caraolos.

Das Lager zog sich mit seinen einzelnen Unterabteilungen meilenweit am Rande der Bucht entlang, etwa auf halbem Wege zwischen Famagusta und den Ruinen von Salamis. Nur an den Stellen, an denen die Lagerabfälle zusammengetragen und nach draußen abgefahren wurden, konnten die Internierten und die Zyprer miteinander Kontakt aufnehmen. Die Engländer bewachten diese Stellen nicht besonders scharf, weil das Müllkommando aus sogenannten »Vertrauensleuten« bestand. Dadurch entwickelten sie sich zu Orten mit lebhaftem Handel, wo Lederwaren und andere im Lager hergestellte Dinge gegen Brot und Kleidungsstücke getauscht wurden. Hier, wo das morgendliche Feilschen zwischen Griechen und Juden schon in vollem Gange war, schleuste David Ari ins Lager; und sie betraten die erste Sektion.

Ari musterte die hohe Wand aus Stacheldraht, die sich Meile um Meile hinzog. Selbst jetzt im November war es heiß und stickig durch den Staub, der beständig durch die Luft wirbelte. Die einzelnen Sektionen des Lagers mit ihren Gruppen von Zelten erstreckten sich in langer Reihe durch das mit Akazien bestandene Gelände am Rande der Bucht. Jede Sektion war von drei bis dreieinhalb Meter hohen Stacheldrahtwänden eingefaßt. An den Ecken standen Wachtürme mit Scheinwerfern und Maschinengewehren. Ein abgemagerter Hund schloß sich ihnen auf ihrem Rundgang an. Auf seine Flanken war das Wort ,Bevin' gemalt — eine Verbeugung vor dem englischen Außenminister.

In jeder Sektion, zu der sie kamen, der gleiche Anblick: elende und verbitterte Menschen, auf engem Raum zusammengepfercht. Fast alle trugen primitiv genähte rote Hosen und Hemden, hergestellt aus dem Stoff, mit dem die Zelte innen abgefüttert waren. Ari betrachtete die Gesichter, aus denen das Mißtrauen sprach, der Haß und die Hoffnungslosigkeit.

Jedesmal, wenn sie eine neue Sektion betraten, stürzte ein junger Mann oder ein Mädchen von etwas über oder unter Zwanzig auf Ari zu. Es waren Palmach-Mitglieder, die von Palästina hierhergebracht und ins Lager geschleust worden waren, um unter den Internierten zu arbeiten. Sie fielen ihm um den Hals und wollten wissen, wie es zu Hause aussah. Doch Ari vertröstete sie jedesmal mit der Zusage, er werde in den nächsten Tagen für alle Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Palmach-Treffen abhalten. Jeder Palmach-Offizier führte Ari durch die Sektion, für die er verantwortlich war, und gelegentlich stellte Ari dabei eine Frage.

Doch die meiste Zeit sagte er nichts. Schweigend musterte er Meile um Meile des Stacheldrahts, auf der Suche nach einer Möglichkeit, dreihundert Leute auf einmal herauszubekommen.

Von den einzelnen Sektionen waren viele mit Menschen eines bestimmten Herkunftslandes belegt. Es gab polnische, französische und tschechische Sektionen. Es gab orthodoxe Juden, und es gab andere, die durch eine gemeinsame politische Überzeugung zusammengehalten wurden. Bei den meisten aber handelte es sich einfach um Überlebende, denen nichts anderes gemeinsam war, als daß sie Juden waren, die nach Palästina wollten. Und alle waren einander ähnlich durch das gleiche Elend.

David führte Ari zu einer hölzernen Brücke, die oben über die Wände aus Stacheldraht hinüberführte und die beiden Hauptabteilungen des Lagers miteinander verband. An der Brücke war eine Tafel angebracht mit der Aufschrift: WILLKOMMEN IN BERGEN-BEVIN. »Das ist übrigens eine verdammt bittere Ironie, Ari, mit dieser Brücke. Genauso eine Brücke gab es in Polen, im Ghetto von Lodz.«

David geriet mehr und mehr in Wut. Er war empört über die menschenunwürdigen Zustände, die in diesem englischen Lager herrschten, über die vergleichsweise größere Freiheit der deutschen Kriegsgefangenen auf Zypern, über die ungenügende Verpflegung, die mangelnde ärztliche Betreuung und ganz allgemein das schwere an ihnen begangene Unrecht. Ari hörte kaum, was David in seiner Erregung äußerte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich die örtlichen Gegebenheiten einzuprägen. Schließlich bat er David, ihm die unterirdischen Gänge zu zeigen.

David führte Ari zu einer Gruppe orthodoxer Juden, die unmittelbar am Rande der Bucht lag. Nahe am Stacheldraht stand eine Reihe von Latrinen. An der ersten war ein Schild angebracht mit der Inschrift: BEVINGRAD. David zeigte Ari, daß das fünfte und sechste Häuschen in der Reihe nur dem Schein nach Latrinen waren. Die Löcher unter den Sitzen bildeten den Eingang zu unterirdischen Gängen, die unter dem Stacheldraht hindurch zur Bucht führten. Ari schüttelte den Kopf. Ein paar Leute mochten durch diese Gänge entkommen können, aber für eine Massenflucht waren sie nicht geeignet.

Mehrere Stunden waren vergangen. Sie hatten fast das ganze Lager besichtigt. Ari hatte die letzten beiden Stunden kaum ein Wort gesprochen. Schließlich fragte David, der es vor Ungeduld nicht mehr aushielt: »Nun, was ist dein Eindruck?«

»Mein Eindruck?« sagte Ari. »Mir scheint, daß Bevin hier nicht besonders populär ist. Was gibt es hier sonst noch zu sehen?«

»Das Jugendlager habe ich für zuletzt aufgespart. Wir haben dort unser Palmach-Hauptquartier.«

Als sie diesen Teil des Lagers betraten, stürzte auch hier ein Palmach-Angehöriger auf Ari zu. Diesmal aber erwiderte er die Umarmung herzlich, denn dieser junge Mann, Joab Yarkoni, war ein guter alter Freund. Er wirbelte Yarkoni im Kreis herum, stellte ihn auf die Füße und drückte ihn wieder an sich. Joab Yarkoni war ein dunkelhäutiger marokkanischer Jude, der als kleiner Junge nach Palästina emigriert war. Seine schwarzen Augen funkelten, und ein mächtiger Schnurrbart schien die Hälfte seines Gesichts einzunehmen. Joab und Ari hatten schon viele Abenteuer gemeinsam bestanden, denn obwohl Joab erst Anfang Zwanzig war, so war er doch einer der fähigsten Agenten von Mossad Aliyah Bet und verfügte über eine genaue Kenntnis der arabischen Länder. Von Anfang an war Yarkoni einer der gerissensten und wagemutigsten Mossad-Leute gewesen. Seine größte Leistung war ein Bravourstück gewesen, das es den Juden in Palästina ermöglicht hatte, mit dem Anbau von Dattelpalmen zu beginnen. Die Araber bewachten ihre Dattelpalmen eifersüchtig, doch Yarkoni hatte es fertiggebracht, hundert Schößlinge vom Irak nach Palästina hereinzuschmuggeln. David ben Ami hatte Joab Yarkoni das Kommando in diesem Teil des Lagers übertragen, weil die Jugendsektion der wichtigste Teil des gesamten Lagers von Caraolos war.