Ari nickte. »Und wie steht es mit unseren Verwundeten?«
»Zwei von den Kindern werden wohl kaum durchkommen. Bei den übrigen besteht keine Gefahr. Da — ich habe Ihnen ein bißchen Cognak mitgebracht«, sagte Kitty.
»Danke — danke —.«
Ari nahm einen Schluck und blieb stumm.,
»Und hier habe ich ein paar Sachen von Seew Gilboa«, sagte Kitty. »Es ist nicht viel — nur ein paar persönliche Dinge.«
»Ein Kibbuzbewohner hat nur wenig, was ihm selbst gehört. Nicht einmal sein Leben ist sein Eigentum«, sagte Ari sarkastisch.
»Ich habe Seew sehr gern gehabt«, sagte Kitty. »Gerade gestern abend erzählte er mir noch, wie er sich darauf freue, wieder seine Schafe zu hüten. Ich könnte mir denken, daß seine Frau Wert darauf legt, diese Dinge zu bekommen. Sie wissen vielleicht, daß sie wieder ein Kind erwartet.«
»Seew war ein verdammter Idiot!« stieß Ari zwischen den Zähnen hervor. »Er hatte nicht die geringste Veranlassung dazu, dieses Fort einnehmen zu wollen.«
Ari ergriff das Taschentuch, das die magere Hinterlassenschaft Seew Gilboas enthielt, und warf es in den Kerosinofen. »Liora ist ein feiner Kerl, und sie ist zäh. Sie wird darüber hinwegkommen. Aber mir wird es schwer werden, einen Ersatz für ihn zu finden.«
Kitty musterte Ari aus schmalen Augen. »Ist das Ihr einziger Gedanke — daß es schwer für Sie sein wird, einen Ersatz für ihn zu finden?«
Ari stand auf und zündete sich eine Zigarette an. »Leute wie Seew, die kann man nicht aus dem Boden stampfen.«
»Ist Ihnen eigentlich überhaupt nichts heilig?«
»Sagen Sie mal, Kitty — als damals Ihr Mann gefallen war, bei Guadalcanal, hat da sein Kommandeur etwa Totenwache für ihn gehalten?«
»Ich hatte gedacht, daß die Sache hier doch etwas anders sei, Ari.
Sie kennen Seew seit Ihrer Kindheit. Seine Frau ist ein Mädchen aus Yad El. Sie ist in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aufgewachsen.« »Na und? Was sollte ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Weinen sollten Sie, weinen um dieses arme Mädchen!«
Einen Augenblick zuckte es in Aris Gesicht, und seine Lippen zitterten; doch dann war sein Gesicht wieder starr und unbeweglich. »Es ist für mich nichts Neues, einen Mann auf dem Schlachtfeld sterben zu sehen. Und jetzt verschwinden Sie hier —.«
VII.
Die Belagerung von Safed hatte genau einen Tag nach der Abstimmung der UNO-Vollversammlung vom 29. November 1947 begonnen, bei der die Mehrheit für die Teilung Palästinas gestimmt hatte. Als die Engländer im Frühling 1948 aus Safed abzogen, übergaben sie, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, den Arabern die drei Schlüsselpositionen: das unmittelbar oberhalb des jüdischen Viertels gelegene Gebäude der Polizei, die Akropolis, die die gesamte Stadt beherrschte, und das vor der Stadt am Berge Kanaan gelegene Teggart-Fort.
Safed hatte die Form eines umgekehrten Kegels. Das jüdische Viertel bildete ein schmales Segment, das etwa ein Achtel der Oberfläche dieses Kegels ausmachte, und dieses Segment war oben und unten auf beiden Seiten von Arabern umgeben. Die Juden verfügten nur über zweihundert Mann Hagana, die noch dazu mangelhaft ausgebildet waren. Ihre Weigerung, sich evakuieren zu lassen, und ihr Entschluß, bis zum letzten Mann zu kämpfen, entsprach der heroischen Tradition der alten Hebräer. Die Juden von Safed, die ihr Leben dem Studium der Kabbala gewidmet hatten und am wenigsten dazu fähig gewesen waren, sich zur Wehr zu setzen, waren die ersten Opfer der vom Mufti inszenierten blutigen Ausschreitungen gewesen. Es war nicht das erste Mal, daß eine fanatisierte arabische Meute über sie hergefallen war, und sie hatten sich stets geduckt und ängstlich verkrochen. Diesmal aber waren sie entschlossen, sich zum Kampf zu stellen und nötigenfalls kämpfend zu sterben. Einen Tag, nachdem die Engländer abgezogen waren, schleuste Ari Joab Yarkoni mit dreißig jungen Männern und zwanzig jungen Frauen vom Palmach heimlich in das jüdische Viertel von Safed. Ihre Ankunft wurde mit einem ausgelassenen Fest gefeiert. Es war Sabbat, Yarkonis Leute waren vom Marsch durch feindliches Gebiet erschöpft und hungrig. Zum erstenmal seit Jahrhunderten brachen die strenggläubigen Kabbalisten die Vorschriften des Sabbats, indem sie für die Männer und Frauen, die zu ihrer Verstärkung gekommen waren, eine warme Mahlzeit bereiteten. Kawuky, der Safed als vorläufigen Sitz des Mufti sicherzustellen wünschte, gab seinen Streitkräften den Befehl, das jüdische Viertel zu erobern. Wiederholt versuchten die Araber einzudringen, aber jedesmal wurden sie wieder hinausgeworfen. Sie waren sich sehr bald darüber klar, daß sie das jüdische Viertel nur in einem harten Kampf um jede Straße und jedes Haus besetzen konnten. Sie überlegten sich die Sache noch einmal, verlegten sich dann wieder auf ihre alte Taktik der Belagerung und schossen nur aus sicherer Entfernung.
Die militärische Führung der Juden lag bei Remez und Joab Yarkoni. Brigadier Sutherland hatte seine Villa auf dem Berge Kanaan verlassen. Er war der einzige Gast in dem Touristenhotel von Remez. Man holte ihn gelegentlich heran, um ihn um seinen Rat zu bitten, doch er stellte fest, daß die Juden ihre Sache auch ohne ihn sehr gut machten.
Remez hielt es für seine erste Aufgabe, eine bestimmte Zone als Gefechtsfront und Schußfeld freizulegen. Das jüdische Viertel und die anschließenden arabischen Wohnviertel lagen so dicht beieinander, daß es für arabische Spähtrupps leicht war, sich einzuschleichen und die ohnehin schwache Defensive aufzusplittern. Remez wollte einen klaren Zwischenraum zwischen seinen eigenen Leuten und dem arabischen Gegner schaffen. Yarkoni drang mit einem Stoßtrupp in das arabische Viertel ein, besetzte ein Dutzend der an der Grenze gelegenen Häuser und begann, aus den Fenstern dieser Häuser auf die Araber zu schießen. Dann zog er sich wieder zurück. Sobald die Araber in die eroberten Häuser zurückkamen, griff Yarkoni von neuem an und eroberte dieselben Häuser am Rande des arabischen Viertels zurück. Schließlich sprengten die Araber diese Häuser in die Luft, damit die Juden sie nicht weiter als Schießstände benutzen konnten. Das war genau das, was Remez gewollt hatte — dadurch entstand zwischen den beiden Sektoren ein freier Raum, der für die Juden besser und leichter zu verteidigen war. Dann inszenierten Remez und Yarkoni die zweite Phase ihres Planes. Yarkoni machte sich daran, die Araber Tag und Nacht zu beunruhigen. Jeden Tag schickte er drei oder vier Patrouillen in den arabischen Sektor, die plötzlich zuschlugen und sich dann sofort wieder zurückzogen. Der Angriff erfolgte jedesmal an einer anderen Stelle. Wann immer die Araber ihre Leute an einem bestimmten Platz konzentriert hatten, waren die Juden durch ihr Spionagesystem genau darüber unterrichtet. Sie wußten stets, wo sie anzugreifen und welche Orte sie zu meiden hatten.
Doch was die Araber in geradezu hysterische Angst versetzte, waren die Nachtpatrouillen des Palmach. Yarkoni, der in Marokko aufgewachsen war, kannte seinen Gegner genau. Die Araber waren zumeist abergläubische Menschen, die eine übertriebene Furcht vor der Dunkelheit hatten. Das machte sich Yarkoni zunutze. Seine Nachtpatrouillen, die nichts weiter taten, als mit harmlosen Feuerwerkskörpern zu knallen, hielten die arabische Bevölkerung in beständiger Furcht.
Remez und Yarkoni waren sich darüber klar, daß ihre Taktik aus Verzweiflungsmaßnahmen bestand. Sie waren nicht in der Lage, dem Gegner ernsthaften Schaden zuzufügen, und das rein zahlenmäßige Übergewicht der Araber, ihre bessere Ausrüstung und Positionsvorteile machten sich immer bedrohlicher bemerkbar. Wenn Palmach oder Hagana einen Mann verloren, so konnte er nicht ersetzt werden. Fast genauso schwierig war es, Nahrung heranzuschaffen. Die Munition war so knapp, daß jeder Soldat, der unüberlegt einen Schuß abgab, bestraft werden mußte.
Ungeachtet dieser absoluten Überlegenheit des Gegners verteidigten und hielten die Juden jeden Zentimeter ihres Viertels, und ihr großartiger Kampfgeist blieb unverändert. Ihre einzige Verbindung mit der Außenwelt stellte ein Funkgerät dar; dennoch ging der Schulunterricht unverändert und regelmäßig weiter, jeden Tag erschien eine Ausgabe der kleinen Zeitung, und die Frommen versäumten keine Minute in der Synagoge.