In diesem Augenblick aber nahm die Sache eine verblüffende Wendung: die Araber erklärten plötzlich und völlig überraschend, daß die gesamte Bevölkerung wünsche, die Stadt zu verlassen. Das Ganze ging auf die gleiche sonderbare Weise vor sich wie in Safed und vielen der kleineren Ortschaften. Es war ein seltsames Schauspiel, zu sehen, wie die gesamte arabische Bevölkerung in Richtung auf die libanesische Grenze flüchtete, ohne daß sie verfolgt wurde.
Akko, eine rein arabische Stadt, dazu überfüllt von arabischen Flüchtlingen, fiel nach einer mit halbem Herzen geführten Verteidigung, die nur drei Tage dauerte, in die Hand der Hagana. Wie eine ansteckende Krankheit griff die Mutlosigkeit auf den arabischen Teil der Stadt Jaffa über, wo die Makkabäer, die den mittleren Frontabschnitt innehatten, einen Angriff vortrugen, durch den dieser älteste Hafen der Welt in die Hand der Juden fiel. Auch aus Jaffa flohen die Araber.
Im Korridor von Jerusalem gelang es Abdul Kader, die Juden aus der entscheidenden Höhenstellung von Kastei zu vertreiben, doch Hagana und Palmach griffen sofort wieder an und warfen die Araber hinaus. Kader sammelte seine Leute und griff Kastei abermals an. Bei diesem Angriff fand er den Tod. Der Verlust ihres einzigen wirklich befähigten Kommandeurs war ein weiterer schwerer Schlag für die demoralisierten Araber.
So kam der Mai des Jahres 1948 heran. Die Engländer hatten nur noch zwei Wochen Zeit, um das Land zu räumen und das Mandat aufzugeben.
An den Grenzen von Palästina standen die rachelüsternen Armeen Syriens, des Yemen, des Libanon, Transjordaniens, Ägyptens, SaudiArabiens und des Irak auf dem Sprung, um einzumarschieren und die siegreichen Juden zu vernichten.
Die Stunde der Entscheidung — ob die Juden einen unabhängigen Staat proklamieren sollten oder nicht — war gekommen.
VIII.
In der Zeit vom November 1947 bis zum Mai 1948 hatten die Juden Palästinas der Welt das erstaunliche Schauspiel geliefert, daß sie sich, mit nur wenig mehr als gar nichts, erfolgreich gegen eine überwältigende Übermacht zur Wehr setzen konnten. Im Verlauf dieses Zeitabschnittes hatten sie aus der Hagana, die bis dahin eine illegale Heimwehr gewesen war, die Keimzelle einer regulären Armee gemacht. Sie hatten weitere Soldaten und Offiziere ausgebildet, taktische Lehrgänge eingerichtet, Kommandostäbe organisiert, Nachschublager, Transportkolonnen, und Hunderte weitere Dinge, wie sie der Übergang vom Partisanenkampf zur staatlich organisierten Kriegführung einer regulären Armee erforderte. Sie besaßen eine Luftwaffe, die über einige Maschinen vom Typ Spitfire verfügte; ihre Bemannung bestand aus Juden, die im Krieg bei der amerikanischen, britischen oder südafrikanischen Luftwaffe gedient hatten. Ihre Flotte, die im Anfang aus einigen baufälligen Blockadebrechern bestanden hatte, war inzwischen durch einige Korvetten und PT-Boote ergänzt worden.
Die Juden hatten die Herausforderung des Gegners angenommen und sich siegreich behauptet. Dennoch waren sie sich darüber klar, daß sie bisher nur einen Kleinkrieg gegen einen Gegner geführt hatten, der kein allzu großes Verlangen danach gehabt hatte, zu kämpfen. Zwar hatten die leichten Waffen, die der alte Bomber aus Europa herangebracht hatte, den Juden dabei geholfen, sich gegen die Araber von Palästina und Kawukys Irreguläre zu behaupten, doch als jetzt die Stunde der Entscheidung herankam, wurde es den Juden klar, daß sie mit diesen leichten Waffen den Kampf gegen reguläre Armeen würden aufnehmen müssen, gegen Armeen, die mit Tanks und schwerer Artillerie ausgerüstet waren und die auch über eine moderne Luftwaffe verfügten.
Wer geglaubt hatte, daß die arabischen Staaten nur blufften, dem wurde durch die Arabische Legion von Transjordanien bald demonstriert, daß er sich geirrt hatte. Die Legion war in Palästina als britische Polizeitruppe eingesetzt. Diese »Polizeitruppe« ging zum offenen Angriff gegen die an der Straße nach Bethlehem gelegenen isolierten Siedlungen der Ezion-Gruppe vor. Die vier Dörfer der Ezion-Gruppe wurden von orthodoxen Juden bewohnt, die, genau wie die Bewohner aller anderen jüdischen Siedlungen, entschlossen waren, sich ihrer Haut zu wehren. Die Arabische Legion, die von britischen Offizieren geführt wurde, bombardierte erbarmungslos die vier Siedlungen und schnitt sie völlig von jeder Hilfe von außen ab. Erstes Angriffsziel der Legion war der Kibbuz Ezion. Nach heftiger Artillerievorbereitung griff die Legion diese Siedlung an, deren Verteidiger durch die Belagerung erschöpft und halb verhungert waren. Die orthodoxen Juden des Kibbuz Ezion hielten stand, bis sie ihre letzten Patronen verschossen hatten; erst dann ergaben sie sich. Arabische Zivilisten, die sich der Legion angeschlossen hatten, stürmten die Siedlung und massakrierten fast sämtliche Überlebenden. Die Legion unternahm einen Versuch, dem Blutbad Einhalt zu gebieten, doch nur vier Juden blieben am Leben.
Die Hagana richtete daraufhin sofort einen Appell an das Internationale Rote Kreuz, mit der Bitte, die Kapitulation der anderen drei Siedlungen der Ezion-Gruppe, in denen die Munition gleichfalls zu Ende ging, zu überwachen. Nur dadurch konnte verhindert werden, daß es auch dort zu einem Blutbad kam.
Danach griff die Arabische Legion von neuem in der Negev-Wüste an, in der Nähe des Toten Meeres. Diesmal richtete sich der Angriff gegen einen Kibbuz, den die Juden am niedrigsten und heißesten Punkt der Erde errichtet hatten. Er hieß Beth Ha'Arava — Haus in der Schlucht. Im Sommer betrug die Temperatur hier über fünfzig Grad im Schatten. In dem alkalischen Erdreich war im Verlauf der gesamten Geschichte noch nie irgend etwas gewachsen. Die Juden wuschen das Erdreich, Morgen um Morgen, um es von Salzen zu reinigen, und durch diese mühsame Arbeit und durch die Anlage von Kanälen, Dämmen und Zisternen hatten sie hier eine moderne Farm erstehen lassen.
Da die nächsten Juden hundert Meilen entfernt waren und sie sich einer unüberwindlichen Übermacht gegenübersahen, ergaben sich die Siedler von Beth Ha'Arava der Arabischen Legion. Als sie das »Haus in der Schlucht« verließen, steckten sie es an und verbrannten die Felder, die sie der Wüste mit übermenschlicher Anstrengung abgewonnen hatten.
Die Araber hatten schließlich also doch noch die Siege errungen, mit denen sie schon so lange geprahlt hatten.
Am Abend des 13. Mai 1948 verließ der britische Hohe Kommissar für Palästina in aller Stille das umkämpfte Jerusalem. Der Union Jack, an dieser Stelle ein Symbol des Mißbrauchs der Macht, wurde eingeholt — für immer.
Am 14. Mai 1948 versammelten sich in Tel Aviv die Führer des Jischuw und der Zionistischen Weltorganisation im Hause von Meir Dizengoff, dem Gründer und ersten Bürgermeister der Stadt. Vor dem Haus standen mit Maschinenpistolen ausgerüstete Posten, die die ungeduldig drängende Menschenmenge in Schach hielten. In Kairo, New York, Jerusalem, in Paris, London und Washington richteten sich die Augen und die Ohren der Menschen auf dieses Haus.
»Hier spricht Kol Israel — die Stimme Israels«, sagte der Sprecher des Rundfunks langsam und gewichtig. »Man hat mir soeben ein mit der Beendigung des britischen Mandats zusammenhängendes Dokument übergeben, dessen Wortlaut ich Ihnen jetzt zu Gehör bringe.«
»Ruhe!« sagte Dr. Liebermann zu den Kindern, die sich in seiner Wohnung versammelt hatten. »Ruhe!«
»Das Land Israel«, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher, »ist die Geburtsstätte des jüdischen Volkes. Hier entwickelte sich seine geistige, religiöse und nationale Besonderheit. Hier erreichte es seine Unabhängigkeit und schuf eine Kultur von nationaler und universaler Bedeutung. Hier schrieb es die Bibel und überlieferte sie der Welt.«
Im Hotel in Safed unterbrachen Bruce Sutherland und Joab Yarkoni ihre Schachpartie und hörten, gemeinsam mit Remez, in atemloser Spannung auf die Worte des Sprechers.