In den beiden darauffolgenden Nächten unternahm die Brigade zwei weitere Angriffe, die jedoch ebenso erfolglos blieben. Darauf trat die Hügelbrigade des Palmach, die schon sehr durch die Aufgabe überanstrengt war, die lange Strecke des Bab el Wad, der Straße nach Jerusalem, zu sichern, zu einem Angriff auf Latrun an, der beinahe zum Erfolg führte.
Ein ehemaliger Colonel der amerikanischen Armee, Mickey Marcus, der sich aus Gründen der Tarnung Stone nannte, war in die israelische Armee eingetreten. Man schickte ihn in den Korridor, wo seine taktischen Erfahrungen und organisatorischen Fähigkeiten dringend benötigt wurden. Es gelang ihm in allerkürzester Zeit, den Nachschub neu zu organisieren und die motorisierte Jeep-Kavallerie zu verbessern, die die Israelis bei dem Unternehmen ,Eiserner Besen' verwendet hatten. Vor allem aber richtete er sein ganzes Bemühen darauf, möglichst rasch eine gut ausgebildete und gut geführte Truppe zu bilden, die in der Lage war, strategisch zu operieren und das Hindernis von Latrun zu beseitigen. Dieses Ziel war fast erreicht, als sich ein weiteres tragisches Unglück für Israel ereignete:
Marcus fand den Tod und Jerusalem blieb abgeriegelt.
HULE-TAL — SEE GENEZARETH
Die syrische Armee drang von der Ostseite des Sees Genezareth und vom Jordan her in mehreren Kolonnen vor, von Panzern und durch Luftstreitkräfte unterstützt.
Die erste syrische Kolonne richtete ihren Angriff gegen die drei ältesten Kollektivsiedlungen in Palästina: Schoschana, wo Ari ben Kanaan geboren war, Dagania A und B, die dicht beieinander am Einfluß des Jordan in den See lagen.
Die Juden hatten dort so wenig Leute, daß sie täglich mit Lastwagen zwischen Tiberias und diesen Siedlungen hin- und herfuhren, um bei den Syrern den Eindruck zu erwecken, daß sie Verstärkung heranbrachten.
Die Leute von Schoschana hatten so wenig Waffen, daß sie eine Abordnung zu Ari ben Kanaan schickten. Die drei Siedlungen der Schoschana-Gruppe lagen an sich nicht mehr in seinem Befehlsbereich, doch hoffte man, daß er bereit sein werde, etwas für seinen Geburtsort zu tun. Doch Ari, der mit Kassi bei Gan Dafna, in Safed und mit einer der anderen syrischen Kolonnen alle Hände voll zu tun hatte, erklärte der Delegation, das einzige, das sie möglicherweise retten könnte, sei die Wut. Er gab ihnen den Rat, Molotow-Cocktails herzustellen und die Syrer in das Innere der Ortschaften hereinzulassen. Wenn irgend etwas imstande sei, den Kampfgeist der Juden aufs äußerste zu steigern, dann würde es der Anblick von Arabern auf ihrem geliebten Grund und Boden sein.
Als erstes griffen die Syrer Dagania an. Die Hagana-Kommandeure gaben den Verteidigern den Befehl, nicht eher zu schießen, als bis die Panzer, in deren Schutz die feindliche Infanterie herankam, im Zentrum der Siedlung angelangt waren. Der Anblick syrischer Panzer, die ihre Rosengärten niederwalzten, versetzte die Juden in so erbitterte Wut, daß sie ihre Molotow-Cocktails aus einer Entfernung von nur wenigen Metern mit tödlicher Sicherheit warfen und die Panzer erledigten. Die syrische Infanterie, die hinter den Panzern herankam, war für die Siedler kein ernst zu nehmender Gegner. Sie floh.
Die zweite syrische Kolonne griff weiter südlich an, im Jordantal und im Beth-Schäan-Tal. Es gelang ihnen, Schaar Hagolan und den Kibbuz Massada am Yarmuk-Fluß einzunehmen. Als die Juden zum Gegenangriff antraten, steckten die Syrer die Häuser in Brand, plünderten alles, was nicht niet- und nagelfest war, und flohen. Fort Gescher, das die Hagana schon zu einem früheren Zeitpunkt erobert hatte, hielten die Juden, genau wie die übrigen Siedlungen dieses Gebietes.
Die dritte Kolonne ging über den Jordan in das Hule-Tal vor, in den Kommandobereich Ari ben Kanaans. Sie eroberte Mischmar Hajarden — den Wächter des Jordan. Dann formierte sie sich neu zu einem Angriff, der sie in das Zentrum des Hule-Gebietes bringen sollte, um sich hier mit den Irregulären Kawukys zu vereinigen. Doch Yad El, Ayelet Haschachar, Kfar Szold, Dan und die anderen Wehrsiedlungen leisteten dem Gegner zähen Widerstand. Sie ließen das Artilleriefeuer, das sie nicht erwidern konnten, über sich ergehen und kämpften wie die Tiger, sobald die Syrer näher herankamen.
Es war Ari gelungen, die Vereinigung arabischer Streitkräfte im Hule-Gebiet zu verhindern. Und als eine neue Waffenlieferung bei ihm eintraf, ging er rasch zur Offensive über. Er entwickelte einen »Defensiv-Offensiv-Plan«: diejenigen Siedlungen, die nicht unmittelbar vom Gegner bedrängt wurden, gingen ihrerseits zum Angriff vor, statt dazusitzen und abzuwarten, bis sie angegriffen wurden. Durch diese Methode gelang es Ari, die Syrer völlig durcheinanderzubringen. Er konnte jeweils an die Stellen, wo der Druck besonders heftig war, Verstärkungen zur Unterstützung der Verteidiger heranbringen. Er baute sein Nachrichten- und Transportwesen so weit aus, daß das Hule-Gebiet zu einer der stärksten jüdischen Positionen in Israel wurde. Die einzige strategisch wichtige Stellung in seinem Befehlsbereich, die sich noch in der Hand des Feindes befand, war Fort Esther.
Die ganze syrische Invasion verpuffte wirkungslos. Mit Ausnahme von Mischmar Hajarden und ein oder zwei kleineren Siegen war sie ein Fiasko. Die Syrer beschlossen daher, ihre Bemühungen auf einen einzelnen Kibbuz zu konzentrieren. Ziel ihres Angriffes war Ejn Gev am östlichen Ufer des Sees von Genezareth, der Ort der winterlichen Konzerte.
Die Syrer beherrschten die Höhen, die Ejn Gev auf drei Seiten umgaben. Die vierte Seite war der See. Ejn Gev war völlig abgeschnitten, bis auf die Bootsverbindung bei Nacht, von Tiberias her quer über den See. Als die Artillerie der Syrer den Kibbuz erbarmungslos bombardierte, waren die Juden gezwungen, in Bunkern unter der Erde zu leben. Dennoch führten sie den Schulunterricht weiter, gaben eine Zeitung heraus, und sogar ihr Symphonie-Orchester übte und spielte weiter. Nachts kamen sie aus den Bunkern heraus und bestellten ihre Felder. Der Ausdauer der Verteidiger von Ejn Gev konnte nur die heldenhafte Verteidigung von Negba an die Seite gestellt werden.
Die Syrer legten sämtliche Gebäude in Trümmer. Sie steckten die Felder in Brand. Die Juden besaßen nicht ein einziges Geschütz, mit dem sie das Feuer hätten erwidern können.
Nach wochenlanger Artillerievorbereitung gingen die Syrer zum Angriff vor. Zu Tausenden stießen sie von ihren Höhenstellungen herunter. Dreihundert Kibbuz-Bewohner in kampffähigem Alter standen ihnen entgegen. Sie eröffneten ein gezieltes, zusammengefaßtes Abwehrfeuer, und Scharfschützen nahmen sich die syrischen Offiziere aufs Korn. In immer neuen Wellen griffen die Syrer an und drängten die Juden an das Ufer des Sees zurück. Doch die Verteidiger gaben nicht auf. Sie hatten noch zwölf Schuß Munition, als der syrische Angriff zusammenbrach. Ejn Gev — und damit der Anspruch des Staates Israel auf den See Genezareth .— war siegreich verteidigt worden.
SCHARON, TEL AVIV, DAS DREIECK
Ein ausgedehnter Landstrich in Samaria, an dessen drei Enden die rein arabischen Orte Jenin, Tulkarem und Ramleh lagen, bildete das »Dreieck«. Nablus, von Anfang an Stützpunkt für Kawukys Irreguläre, wurde Hauptstützpunkt der irakischen Armee. Die Iraker hatten versucht, den Jordan zu überschreiten und in das Bet-Schäan-Tal vorzudringen, waren aber heftig zurückgeschlagen worden und hatten sich dann im arabischen Teil von Samaria festgesetzt. Westlich von dem Dreieck lag das Scharon-Tal. Dieses Gebiet war sehr verwundbar; in der Hand der Juden befand sich nur ein zehn Meilen schmaler Landstreifen längs der von der jordanischen Grenze bis zur Mittelmeerküste verlaufenden Straße von Tel Aviv nach Haifa. Gelang es den Irakern hier durchzustoßen, dann hatten sie Israel in zwei getrennte Hälften zerschnitten. Doch die Iraker waren nicht geneigt, zu kämpfen. Der Gedanke, das dichtbesiedelte Scharon-Tal angreifen zu sollen, war ihnen zuwider.