»Keine Ahnung.«
»Dann wollen wir mal auf der Karte nachsehen.«
Als Fester J. MacWilliams, amerikanischer Tramp-Pilot der Palestine Central, vormals Arctic Circle, vom Flugplatz Lydda startete, begab er sich in ein Abenteuer des zwanzigsten Jahrhunderts, das so phantastisch war wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Er flog das Rote Meer hinunter, zum britischen Protektorat Aden am Südende der Arabischen Halbinsel. Genaugenommen hatte dieses Abenteuer vor dreitausend Jahren in dem alten Königreich Saba begonnen. Zur Zeit der Königin von Saba war der südliche Teil der Arabischen Halbinsel ein reiches Land gewesen. Die Bewohner dieses Landes hatten die Kunst erlernt, Abflußkanäle, Dämme und Zisternen zu bauen, um das Regenwasser aufzufangen, und hatten mit diesem Wasser das Land in einen blühenden Garten verwandelt.
Nach dem Besuch der Königin von Saba bei König Salomon machten sich einige von Salomons Leuten auf den Weg nach Saba, um längs des Roten Meeres eine Handelsstraße durch die Wüste zu eröffnen und in Saba eine Kolonie zu gründen. Diese Juden kamen schon in biblischer Zeit nach Saba, Jahrhunderte vor der Zerstörung des ersten Tempels.
Jahrhundertelang ging es den Juden in Saba sehr gut. Sie wohnten als wohlhabende Kolonisten in eigenen Siedlungen, und sie nahmen regen Anteil am Leben ihrer Umwelt. Sie stellten die obersten Richter und gehörten mit zu den angesehensten Bürgern des Landes. Doch dann kamen die schrecklichen Jahre. Der Sand der Wüste verschlang langsam und unaufhaltsam die fruchtbaren Böden. Die Wadis trockneten aus, und das Regenwasser verschwand spurlos in der verdorrten Erde. Menschen und Tiere schmachteten unter der erbarmungslosen Sonne, und der Kampf um einen Schluck Wasser wurde gleichbedeutend mit dem Kampf ums Leben. Das blühende Saba und die benachbarten Staaten zerfielen in feindliche Stämme, die sich ständig untereinander befehdeten. Als der Islam siegreich die Welt überzog, respektierte er zunächst die religiöse und kulturelle Eigenart der Juden. Die Gesetze, die Mohammed erließ und an die alle Moslems gebunden waren, ordneten an, den Juden freundlich zu begegnen.
Doch diese Gleichberechtigung der Juden war nur von kurzer Dauer. Bald sah man in allen islamischen Ländern auf jeden, der kein Moslem war, mit Geringschätzung herab wie auf einen Ungläubigen. Die Araber zollten den Juden, wenn auch widerwillig, einen gewissen Respekt und behandelten sie auch, auf arabische Weise, mit einer gewissen Toleranz. Trotzdem kam es auch hier zu blutigen Ausschreitungen, doch niemals in der Form planmäßigen Massenmords wie in Europa. Es handelte sich mehr um plötzliche Ausbrüche der Gewalttätigkeit. Auch waren die Araber viel zu sehr damit beschäftigt, sich untereinander zu befehden, als daß sie den freundlichen kleinen Juden in dem Teil des Landes, der inzwischen nicht mehr Saba, sondern Jemen hieß, allzuviel Aufmerksamkeit hätten schenken können.
Wie in allen arabischen Ländern waren auch die Juden im Jemen Bürger zweiter Ordnung. Sie unterlagen den üblichen Beschränkungen, man legte ihnen höhere Steuern auf und räumte ihnen geringere Rechte ein als den Moslems. Sie waren Verfolgungen ausgesetzt, wobei die Art und der Grad dieser Verfolgungen in den verschiedenen Gebieten und unter den verschiedenen Herrschern unterschiedlich waren.
Ein Jude durfte in Gegenwart eines Moslems seine Stimme nicht erheben, er durfte kein Haus bauen, das höher war als das Haus eines Moslems, er durfte einen Moslem nicht berühren und auch nicht an seiner rechten Seite vorbeigehen. Ein Jude durfte nicht auf einem Kamel reiten, weil er dabei das Haupt höher getragen hätte als ein Moslem. In einem Land, in dem das Kamel das entscheidende Fortbewegungsmittel war, war das eine sehr spürbare Einschränkung. Die meisten Juden lebten in »Mellahs«, der orientalischen Art des Ghettos.
Die Welt veränderte und entwickelte sich. Im Jemen stand die Zeit still. Das Land blieb so primitiv wie der Dschungel, so fern und unerreichbar wie Nepal oder die äußere Mongolei. Es gab im Jemen kein Krankenhaus, keine Schule und keine Zeitung, weder Radio noch Telefon oder Autostraßen. Es war ein Land wüster Einöden und unzugänglicher Hochgebirge. Einsame Ortschaften lagen in mehr als dreitausend Meter Höhe, rings umgeben von völliger Wildnis. Fast alle Bewohner waren Analphabeten. Nicht einmal alle Grenzen dieses rückständigen, von Gott und der Welt verlassenen Landes waren genau festgelegt worden.
Regiert wurde Jemen von einem Imam, der ein Verwandter Mohammeds und der Stellvertreter Allahs, des Barmherzigen, war. Der Imam von Jemen war ein absoluter Herrscher. Er hatte die Macht über Leben und Tod aller seiner Untertanen. Er war keinem Kabinett verantwortlich. Er hielt sich an der Macht, indem er geschickt die einzelnen Stämme gegeneinander ausspielte, die beständig miteinander im Streit lagen. Er hatte an seinem Hof Hunderte von Sklaven. Er verabscheute die Zivilisation und tat alles, was in seiner Macht stand, um zu verhindern, daß zivilisatorische Neuerungen Eingang in sein Reich fanden, obwohl er gelegentlich, aus Angst vor seinem mächtigen saudi-arabischen Nachbarn im Norden, dessen Herrscher sich aus Liebhaberei am internationalen Ränkespiel beteiligten, Konzessionen machen mußte.
Die Furcht des Imam vor der Zivilisation hatte ihren Grund teilweise darin, daß die Zivilisation ein begehrliches Auge auf sein Land geworfen hatte. So verlassen dieses Land auch war, so lag es doch an einer Ecke der Welt, die einen Zugang zum Orient durch das Rote Meer darstellte.
Den Juden gegenüber spielte der Imam die Rolle des wohlwollenden Despoten. Solange die Juden unterwürfig und dienstwillig waren, genossen sie einen gewissen Schutz; denn die Juden stellten die besten Handwerker, die es im Jemen gab. Sie waren Silberschmiede, Juweliere, Kürschner, Tischler und Schuhmacher, und sie überlieferten von Generation zu Generation alle möglichen handwerklichen Künste, die die meisten Araber nicht erlernt hatten. Daß die Juden von Jemen Juden blieben, war allerdings erstaunlich. Dreitausend Jahre lang lebten diese Menschen ohne jeden Kontakt mit der äußeren Welt. Sie hätten es sehr viel einfacher gehabt, wenn sie Moslems geworden wären. Doch die jemenitischen Juden hielten durch alle Jahrhunderte der Isolierung hindurch an der Thora fest, befolgten die Gesetze und hielten den Sabbat ein. Viele von ihnen verstanden kein Arabisch, doch alle sprachen Hebräisch. Es gab keine Möglichkeit, Bücher zu drucken; alle heiligen Schriften wurden mit der Hand geschrieben und von Generation zu Generation überliefert.
Ihrer äußeren Erscheinung, ihrem Verhalten und ihrer Denkweise nach hätte man die heutigen Juden von Jemen für Propheten aus biblischen Zeiten halten können. Wie in den Tagen der Bibel betrieben sie noch immer Vielweiberei. Sie glaubten an den bösen Blick, an feindliche Winde und an alle möglichen Dämonen, gegen die sie sich durch das Tragen von Amuletten schützten. Die Bibel befolgten sie buchstabengetreu. Niemals hörten sie auf, mit Sehnsucht ihre Blicke nach Jerusalem zu richten. Jahrhundertelang warteten sie geduldig und ergeben auf das Wort des Herrn, durch das er ihnen befehlen würde, sich aufzumachen und nach Jerusalem zurückzukehren. Von Zeit zu Zeit gelang es kleinen Gruppen oder einzelnen, den Weg aus Jemen hinaus nach Palästina zu finden.
Und dann kam eines Tages das erwartete Wort, genau, wie es die Propheten vorausgesagt hatten.
Nach der Unabhängigkeitserklärung des jüdischen Staates erklärte Jemen Israel den Krieg.
Das war für die Juden von Jemen die Bestätigung, daß die Wiedergeburt Israels Wirklichkeit geworden war. Ihre Rabbis verkündeten ihnen, dies sei Gottes Botschaft; König David sei nach Jerusalem zurückgekehrt! Die lange Zeit des Wartens sei vorbei! Die Chachamim — die Weisen — sagten dem Volk, der Tag des Aufbruchs sei gekommen, um auf Adlerflügeln in das Gelobte Land heimzukehren.
Als die erste Kunde dieses Auszugs der Juden vom Jemen nach Israel drang, war der Freiheitskrieg noch in vollem Gang. Man wußte wenig darüber, wie groß die Anzahl dieser Jemeniten war, wie man sie aus Jemen herausbekommen und was man mit ihnen anfangen sollte.