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»Man sagt mir, du könntest eines Tages Chef des Generalstabs werden, wenn du dich nur entschließen wolltest, aus der Wüste herauszukommen.«

»Es gibt viel zu tun in der Negev-Wüste, Vater. Irgend jemand muß es schließlich machen. Die Ägypter stellen Mörderbanden auf, die über die Grenze herüberschleichen und unsere Siedlungen überfallen.«

»Ja, Ari — aber du bist nicht glücklich.«

»Glücklich? Du kennst mich doch, Vater. Es ist mir nun einmal nicht gegeben, mein Glück offen zu zeigen, wie das die neuen Einwanderer tun.«

»Warum hast du dich zwei Jahre lang von mir und deiner Mutter ferngehalten?«

»Ja, das war falsch, und das tut mir auch leid.« »Weißt du, Ari, in diesen letzten beiden Jahren habe ich mir zum erstenmal in meinem ganzen Leben den Luxus leisten können, einfach dazusitzen und nachzudenken. Es ist etwas Wunderbares, wenn man die Möglichkeit hat, in Ruhe und Frieden zu meditieren. Und in den letzten Wochen habe ich noch mehr Zeit dazu gehabt. Ich habe über alles nachgedacht. Und ich bin mir klar geworden, daß ich dir und Jordana kein guter Vater gewesen bin.«

»Vater, was redest du denn da. Hör doch auf mit diesen unsinnigen Selbstvorwürfen.«

»Nein, es ist etwas Wahres daran, was ich sage. Ich sehe jetzt alles so deutlich. Wenn ich daran denke, wie wenig Zeit ich dir und Jordana widmen konnte — und Sara. Glaub mir, Ari, für eine Familie ist das nicht gut.«

»Ich bitte dich, Vater. Kein Sohn hat so viel Liebe und Verständnis erfahren wie ich. Vielleicht sind alle Väter der Meinung, sie hätten mehr tun können.«

Barak schüttelte den Kopf. »Du warst noch ein kleiner Junge, da mußtest du schon ein Mann sein. Mit zwölf Jahren hast du neben mir in den Sümpfen gearbeitet. Du hast mich nicht mehr gebraucht, seit ich dir einen Ochsenziemer in die Hand gab.«

»Ich will nichts mehr davon hören. Unser Leben in diesem Lande ist dem gewidmet, was wir für die Zukunft tun können. So hast du leben müssen, und so lebe ich jetzt. Du hast keinerlei Grund, dir irgendeinen Vorwurf zu machen. Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als so zu leben.«

»Das versuche ich mir ja auch zu sagen, Ari. Denn, sage ich mir, was denn sonst? Ein Ghetto? Konzentrationslager? Gaskammern? Das, was wir hier haben, sage ich mir, lohnt jeden Einsatz. Und doch, diese unsere Freiheit — der Preis dafür ist hoch.«

»Kein Preis ist zu hoch für Israel«, sagte Ari.

»Doch, er ist zu hoch — wenn ich die Trauer in den Augen meines Sohnes sehe.«

»Es ist nicht deine Schuld, wenn deiner Tochter der Geliebte genommen wurde. Es ist der Preis, den man dafür zahlt, als Jude geboren zu sein. Aber ist es nicht besser, kämpfend für das Vaterland zu sterben, als so zu sterben, wie dein Vater starb, in einem Ghetto, unter den Händen einer wütenden Meute?«

»Doch die Trauer meines Sohnes ist meine Schuld, Ari.« Barak machte eine kleine Pause und fuhr dann zögernd fort: »Jordana hat sich mit Kitty Fremont sehr angefreundet.«

Ari blinzelte bei der Erwähnung ihres Namens.

»Sie besucht uns jedesmal, wenn sie im Hule-Tal ist. Schade, daß du dich gar nicht mehr um sie gekümmert hast.«

»Vater, ich —.«

»Meinst du, ich würde nicht sehen, wie sich diese Frau vor Sehnsucht nach dir verzehrt? Und ist das die Art, wie man als Mann seine Liebe zeigt, indem man sich in der Wüste versteckt? Ja, Ari, laß uns endlich einmal darüber reden. Du bist vor ihr davongelaufen und hast dich versteckt. Gestehe es doch ein. Sage es mir, und sage es auch dir selber.«

Ari stand vom Bettrand auf und ging an das andere Ende des Zimmers.

»Was in dir ist es eigentlich, das es dir unmöglich macht, zu dieser Frau hinzugehen und ihr zu sagen, daß dir vor Sehnsucht nach ihr das Herz bricht.«

Ari fühlte den brennenden Blick seines Vaters im Rücken. Er wandte sich langsam um und schlug die Augen nieder. »Sie hat einmal zu mir gesagt, ich müßte solche Sehnsucht nach ihr haben, daß ich auf den Knien zu ihr krieche.«

»Dann tue es doch! Krieche zu ihr!«

»Das kann ich nicht! Ich weiß gar nicht, wie man das macht! Verstehst du denn nicht, Vater — ich kann doch niemals der Mann sein, den sie sich wünscht.«

»Und das ist der Punkt, wo ich unrecht an dir gehandelt habe, Ari«, sagte Barak und seufzte bekümmert. »Siehst du, ich wäre zu deiner Mutter auf den Knien gekrochen, tausendmal. Ich würde zu ihr kriechen, weil ich ohne sie nicht leben kann. Gott verzeih mir, Ari — ich habe ein Geschlecht von Männern und Frauen gegründet, die so hart sind, daß sie nicht mehr wissen, was es heißt, weinen zu können.«

»Dasselbe hat sie mir auch einmal gesagt«, sagte Ari leise.

»Für euch ist Zärtlichkeit gleichbedeutend mit Schwäche. Ihr haltet Tränen für etwas Unehrenhaftes. Doch das ist ein Irrtum, und in diesem Irrtum befindest du dich auch. Du bist so verblendet, daß du nicht einmal fähig bist, deine Liebe zu zeigen.«

»Wenn ich es nicht kann, dann kann ich es eben nicht«, rief Ari heftig.

»Und mir tut es leid um dich, Ari. Es tut mir leid um dich und um mich.«

Am nächsten Tag trug Ari seinen Vater auf seinen Armen zum Wagen und fuhr mit ihm nach Tel Chaj hinauf, dem Ort, über den Barak mit seinem Bruder Akiba vor mehr als einem halben Jahrhundert vom Libanon her nach Palästina gekommen war. Dort befanden sich die Gräber der Wächter, der ersten bewaffneten Juden, die um die Wende des Jahrhunderts die jüdischen Siedlungen gegen die Beduinen verteidigt hatten. Die Grabsteine der Toten bildeten zwei Reihen, und ein Dutzend weiterer Grabstellen erwartete diejenigen Wächter, die noch am Leben waren. Auch die sterblichen Überreste von Akiba waren hierhergebracht und auf diesem Ehrenhain beigesetzt worden. Der Platz neben Akiba war für Barak reserviert.

Ari trug seinen Vater an den Gräbern vorbei zu einer Stelle, wo ein riesiger steinerner Löwe stand, der in das Tal hinabblickte, Symbol eines Königs, der das Land beschützt. Auf dem Sockel standen die Worte: »ES IST EHRENVOLL, FÜR SEINE HEIMAT STERBEN ZU KÖNNEN.«

Barak sah ins Tal hinunter. Überall lagen Ortschaften, und überall entstanden neue Siedlungen. »Es ist schön, eine Heimat zu haben, für die man sterben kann«, sagte Barak.

Ari trug seinen Vater vom Gipfel wieder hinunter zum Wagen. Zwei Tage später entschlummerte Barak ben Kanaan. Man brachte ihn nach Tel Chaj und bestattete ihn neben Akiba.

IV.

Dov Landau, der gegen Ende des Freiheitskrieges in die israelische Armee eingetreten war, nahm am Kampf gegen die ägyptischen Streitkräfte teil. Auf Grund seiner Tapferkeit bei der Erstürmung von Fort Suweidan war er zum Offizier befördert worden. Dann blieb er mehrere Monate lang als einer der Wüstenwölfe Colonel Ben Kanaans in der Negev-Wüste. Ari, der Dov Landaus ungewöhnliche Begabung erkannte, schickte ihn zum Oberkommando, um ihn testen zu lassen. Das Oberkommando schickte Dov auf die Technische Hochschule in Haifa, wo er an Speziallehrgängen teilnehmen konnte, die mit den großen Projekten der Bewässerung und Erschließung der Negev-Wüste zusammenhingen. Dov zeigte dabei eine außerordentliche Befähigung für wissenschaftliche Arbeit. Er hatte seine Menschenscheu völlig überwunden. Er war jetzt aufgeschlossen, voller Humor und von tiefem Mitgefühl für das Leiden anderer. Er war ein ausgesprochen gut aussehender junger Mann geworden, noch immer sehr schlank und mit sensiblen Gesichtszügen; er und Karen liebten sich heiß und innig und verbrachten so viel Zeit miteinander wie möglich.

Doch das junge Paar litt unter der ständigen Trennung, der Ungewißheit und der ewig gespannten Lage. Wie das Land, so befanden auch sie sich in ständigem Aufruhr: jeder von ihnen hatte seine eigenen schweren Pflichten. Es war die alte Geschichte in Israel, die Geschichte von Ari und Dafna, die Geschichte von David und Jordana. Jedesmal, wenn sie sich sahen, wuchs ihre Sehnsucht und zugleich ihre Enttäuschung. Dov, der Karen geradezu anbetete, wurde zum Stärkeren von ihnen.