Karen und Dov gingen zu den Mauerresten eines alten Tempels, und dort warteten sie, bis der Posten außer Sicht war. Karen spähte durch den Stacheldraht nach vorn. Alles war ruhig.
Beide lehnten ihre Gewehre gegen die Mauer und umarmten und küßten sich.
»Oh, Dov!« sagte Karen atemlos. »Endlich!«
»Ich bin vor Sehnsucht nach dir fast gestorben!« sagte er.
Sie küßten sich wieder und wieder, spürten die mittäglich brennende Wüstensonne nicht mehr, spürten nur noch die Nähe des anderen. Dov ging mit Karen in eine Ecke des Tempels. Sie setzten sich auf die Erde, und Karen lag in seinen Armen.
Nach einer Weile sagte Dov: »Ich muß dir etwas erzählen — eine großartige Sache.«
»Was denn?«
»Du weißt, daß ich zu diesem Wasserbauprojekt im Hule-Tal abkommandiert bin?«
»Ja, natürlich.«
»Also, gestern mußte ich mich beim Stab melden. Ich soll nur bis zum Ende des Sommers im Hule-Tal bleiben — dann soll ich nach Amerika gehen, um dort mein Studium fortzusetzen! An der Technischen Hochschule von Massachusetts!«
Karen machte große Augen. »Nach Amerika? Um zu studieren?«
»Ja. Für zwei Jahre. Ich konnte es kaum erwarten, herzukommen, um es dir zu erzählen.«
Karen faßte sich rasch und zwang sich, zu lächeln. »Wie wunderbar, Dov. Ich bin so stolz auf dich. Dann wirst du also in sechs bis sieben Monaten nach Amerika gehen.«
»Ich habe noch keine Zusage gegeben«, sagte er. »Ich wollte es erst mit dir besprechen.«
»Zwei Jahre, das ist ja nicht für immer«, sagte Karen. »Und was meinst du, wie unser Kibbuz hier aussehen wird, wenn du zurückkommst. Wir werden dann zweitausend Dunam Land unterm Pflug haben, und eine Bibliothek, und ein Kinderheim voller Babys.« »Sachte, sachte«, sagte Dov. »Ich gehe nicht nach Amerika oder sonstwohin ohne dich. Wir heiraten, und du gehst mit. Es wird natürlich nicht ganz einfach werden in Amerika. Man wird mir kein großes Stipendium geben können. Ich werde nebenbei arbeiten müssen, aber du kannst Kurse in Krankenpflege nehmen und auch praktisch arbeiten — wir werden es schon schaffen.«
Karen sagte nichts. Sie sah in die Ferne, wo sich Gaza erhob, und sie sah die Wachttürme und die Schützengräben.
»Ich kann nicht fort von Nahal Midbar«, sagte sie leise. »Wir haben gerade erst angefangen. Die Jungens arbeiten zwanzig Stunden täglich.«
»Karen — du mußt Urlaub nehmen.«
»Nein, Dov, das kann ich nicht. Wenn ich weggehe, wird es für alle anderen hier um so schwerer.«
»Du mußt mitkommen. Ich gehe nicht ohne dich. Verstehst du denn gar nicht, was das bedeutet? Wenn ich in zwei Jahren wieder hierherkomme, dann werde ich ein Fachmann auf dem Gebiet des Wasserbaues sein. Wir werden zusammen in Nahal Midbar wohnen, und ich werde hier in der Nähe an den Bewässerungsprojekten arbeiten. Begreife doch, Karen — ich werde dann für Israel fünfzigmal mehr wert sein als jetzt.«
Karen stand auf. »Für dich ist das richtig. Es ist wichtig, daß du nach Amerika gehst. Ich bin im Augenblick hier wichtiger.«
Dov wurde blaß und ließ die Arme hängen. »Ich dachte, du würdest dich darüber freuen —.«
Karen, die mit dem Rücken zu ihm stand, drehte sich um und sah ihn an. »Du weißt genau, daß du nach Amerika mußt, und ebenso genau weißt du, daß ich hierbleiben muß.«
»Nein, verdammt noch mal! Ich kann nicht zwei Jahre lang von dir getrennt sein. Ich halte es nicht einmal mehr aus, zwei Tage ohne dich zu sein.« Er riß sie an sich, bedeckte ihr Gesicht mit seinen Küssen, und sie erwiderte Kuß um Kuß, und beide flüsterten immer wieder: »Ich liebe dich«; ihre Gesichter waren naß vor Schweiß und naß vor Tränen, und ihre Hände waren ruhelos und hungrig, und eng umklammert sanken sie auf die Erde.
»Ja!« rief Karen.
»Nein!« Dov sprang auf. Er ballte die Hände zur Faust und zitterte. »Wir müssen aufhören damit.«
Dann waren beide stumm, und nur das leise Schluchzen von Karen war zu hören. Dov kniete sich zu ihr. »Bitte weine nicht, Karen«, sagte er.
»Ach, Dov, was sollen wir bloß machen? Es ist, als ob ich gar nicht lebte, wenn du nicht da bist, und jedesmal, wenn wir uns wie jetzt sehen, ist es dasselbe. Wenn du wieder wegfährst, bin ich tagelang krank vor Sehnsucht nach dir.«
»Für mich ist es genauso schlimm« sagte er. »Aber es ist meine Schuld. Wir müssen vorsichtiger sein.«
Er ergriff ihre Hand und half ihr, aufzustehen.
»Sieh mich nicht so an, Karen. Ich werde nie etwas tun, was nicht gut für dich wäre.«
»Ich liebe dich, Dov. Ich schäme mich nicht, daß ich Sehnsucht nach dir habe, und ich habe auch keine Angst davor.«
»Es ist wohl besser, wir gehen jetzt wieder zurück«, sagte er.
Kitty Fremont war in fast ganz Israel herumgefahren und hatte Siedlungen besucht, die mit den denkbar schwierigsten Bedingungen zu kämpfen hatten. Als sie jetzt nach Nahal Midbar fuhr, ahnte sie, was sie zu erwarten hatte. Doch obwohl sie auf das Schlimmste gefaßt gewesen war, sank ihr Herz beim Anblick von Nahal Midbar, dieses Backofens am Rande der Hölle, der von haßerfüllten arabischen Horden bedroht war.
Karen führte Kitty überall herum und zeigte ihr mit spürbarem Stolz, was in drei Monaten hier erreicht worden war. Trotz der hölzernen Hütten und einem kleinen Stück bebauten Landes bot das Ganze noch einen bedrückenden Anblick. Was hier entstand, war das Werk junger Männer und junger Frauen, die von früh bis spät über ihre Kräfte arbeiteten und nachts Wache standen. Ihr ganzes Leben war diesem Aufbau gewidmet.
»In ein paar Jahren«, sagte Karen, »werden hier überall Blumen sein und Sträucher und Bäume, wenn wir nur genug Wasser bekommen.« Sie gingen aus der glühenden Sonne in Karens Lazarettzelt, und beide tranken ein Glas Wasser. Kitty sah durch den Eingang des Zeltes nach draußen. Ihr Blick fiel auf Schützengräben und Stacheldrahtverhaue. Draußen auf den Feldern arbeiteten Männer und Frauen in der Hitze, während andere mit Gewehren in ihrer Nähe standen und Wache hielten. Die eine Hand am Schwert und die andere am Pflug.
Kitty sah zu Karen hinüber. Das Mädchen war so jung und schön. Hier an diesem Ort würde es innerhalb weniger Jahre vorzeitig altern.
»Du willst also wirklich nach Amerika zurück?« sagte Karen. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Ich habe den Leuten gesagt, ich wollte ein Jahr Urlaub nehmen. Ich habe seit einiger Zeit großes Heimweh. Und jetzt, wo du nicht mehr da bist — möchte ich es mir einfach mal für eine Weile etwas leichter machen. Vielleicht komme ich wieder nach Israel zurück, wer weiß.«
»Und wann willst du fahren?«
»Nach dem Pessach-Fest.«
»So bald schon? Es wird schrecklich sein, Kitty, wenn du nicht mehr bei mir bist.«
»Du bist inzwischen erwachsen, Karen, und hast dein eigenes Leben vor dir.«
»Ich kann es mir ohne dich nicht vorstellen.«
»Oh, wir werden uns schreiben. Wir werden uns immer nahe sein. Und wer weiß, vielleicht wird es für mich auf der ganzen übrigen Welt viel zu langweilig sein, nachdem ich vier Jahre hier in diesem Hexenkessel gelebt habe.«
»Du mußt zurückkommen, Kitty.«
»Das wird die Zeit lehren«, sagte Kitty. »Und was macht Dov? Wie ich höre, ist er mit seiner Ausbildung fertig.«
Karen vermied es, Kitty zu erzählen, daß man Dov vorgeschlagen hatte, nach Amerika zu gehen. Sie wußte, daß sich Kitty auf Dovs Seite stellen würde.
»Er ist am Hule-See. Man plant dort ein großes Projekt zur Senkung des Wasserspiegels, um Neuland zu gewinnen. Er hat einen Auftrag bekommen, daran mitzuarbeiten.«
»Dov ist ein sehr bedeutender junger Mann geworden. Ich habe erstaunliche Dinge über ihn gehört. Wird es ihm möglich sein, zum Pessach-Fest herzukommen?«
»Es sieht nicht danach aus.«
Kitty schnippte mit den Fingern. »Hör mal! Ich habe eine großartige Idee. Jordana hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, zu Pessach nach Yad El zu kommen, und ich habe zugesagt. Dov arbeitet ganz in der Nähe. Wie wäre es, wenn auch du nach Yad El kämst?«