»Zum Pessach-Fest sollte ich eigentlich hier sein.«
»Du kannst noch so oft zum Pessach-Fest hier sein. Und diesmal wäre es ein Abschiedsgeschenk für mich.«
Karen lächelte. »Ich werde kommen.« »Gut. Und jetzt — wie steht es denn mit dir und deinem jungen Mann?«
»Alles in Ordnung — nehme ich an«, meinte Karen. Es klang nicht sehr glücklich.
»Habt ihr Streit miteinander gehabt?«
»Nein. Er würde nie mit mir streiten. Ach, Kitty, er ist ja so schrecklich anständig und korrekt — ich könnte manchmal direkt schreien.«
»Ach, so ist das also«, sagte Kitty. »Du bist die typische erwachsene Frau von achtzehn Jahren.«
»Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Kitty, ich — ich werde verrückt, wenn ich an ihn denke. Und wenn wir uns endlich einmal sehen, dann bekommt er es jedesmal mit dem Anstand. Man — vielleicht schickt man ihn eines Tages fort. Es kann zwei Jahre dauern, ehe wir heiraten können. Ich glaube, ich halte das einfach nicht mehr aus.«
»Du liebst ihn sehr, nicht wahr?«
»Ich sterbe vor Sehnsucht nach ihm. Ist es sehr schlimm von mir, daß ich so rede?«
»Aber nein, Karen. Jemanden so sehr zu lieben, ist das Schönste, was es auf der Welt gibt.«
»Kitty, ich — ich wünsche mir so sehr, ihm meine Liebe geben zu können. Ist das etwas Unrechtes?«
Etwas Unrechtes? Wer konnte wissen, wieviel Zeit den beiden blieb, sich zu lieben? Dieser haßerfüllte Feind auf der anderen Seite des Stacheldrahtes — würde er den beiden erlauben, zu leben?
»Liebe ihn, Karen«, sagte Kitty. »Gib ihm all die Liebe, die du in dir hast.«
»Oh, Kitty! Aber er hat solche Angst.«
»Dann hilf ihm, seine Angst zu überwinden. Du gehörst zu ihm, und er gehört zu dir.«
Kitty fühlte sich leer und einsam. Sie hatte Karen, ihre Karen, endgültig fortgegeben. Plötzlich spürte sie Karens Hand auf ihrer Schulter.
»Und du, Kitty — kannst du Ari nicht helfen?«
Kitty stockte einen Augenblick das Herz. »Das ist nicht Liebe, wenn nur der eine liebt und der andere nicht«, sagte sie.
Lange saßen beide schweigend. Kitty ging an den Eingang des Zeltes und sah nach draußen. Schwärme von Fliegen schwirrten durch die Luft. Kitty drehte sich plötzlich um und sah Karen an.
»Ich kann nicht fortgehen, ohne dir zu sagen, daß es mich krank macht, dich hier zu wissen.«
»Die Grenzen müssen verteidigt werden. Es ist sehr leicht, zu sagen: sollen es doch die anderen machen.«
»Drei Monate ist diese Siedlung alt, und schon habt ihr einen Jungen und ein Mädchen auf eurem Friedhof liegen, die von Arabern ermordet wurden.«
»Wir denken anders darüber, Kitty. Zwei haben wir verloren, aber fünfzig sind neu nach Nahal Midbar gekommen, und weitere fünfzig sind gekommen, um fünf Kilometer von hier eine Siedlung zu errichten — weil wir den Anfang gemacht haben. In einem Jahr werden wir ein Kinderheim haben und tausend Dunam Ackerland.« »Und du wirst in einem Jahr anfangen, alt zu werden. Du wirst täglich achtzehn Stunden arbeiten und die Nächte im Schützengraben verbringen. Und alles, was ihr beide, Dov und du, von dieser ganzen Schufterei haben werdet, wird ein kleines Zimmerchen sein, zweifünfzig mal drei Meter. Nicht einmal die Sachen, die ihr anhabt, werden euch gehören.«
»Du irrst dich, Kitty. Dov und ich werden alles haben, was wir uns wünschen.«
»Einschließlich einer Viertelmillion Araber, die nur darauf versessen sind, euch die Kehle durchzuschneiden.«
»Wir können diesen armen Menschen gegenüber keinen Haß empfinden«, sagte Karen. »Tag für Tag und Monat für Monat sitzen sie da, eingesperrt wie Tiere im Käfig, und müssen zusehen, wie unsere Felder grün werden.«
Kitty ließ sich auf ein Feldbett sinken und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
»Kitty, hör doch zu —.«
»Ich kann nicht.«
»Bitte — hör mich bitte an. Du weißt, daß ich mich schon als kleines Mädchen in Dänemark gefragt habe, was es eigentlich zu bedeuten hat, daß ich als Jüdin zur Welt gekommen bin. Jetzt weiß ich die Antwort auf diese Frage. Gott hat die Juden nicht deshalb auserwählt, weil sie vor der Gefahr davonlaufen. Wir haben sechstausend Jahre lang Verfolgung und Erniedrigung ertragen und sind unserem Glauben treu geblieben. Wir haben jeden überlebt, der versuchte, uns zu vernichten. Begreifst du denn gar nicht, Kitty — dieses kleine Land hier wurde uns bestimmt, weil sich hier die Wege der Welt scheiden und die Wildnis beginnt. Hier an dieser Stelle wünschte Gott Sein Volk zu sehen — an den Grenzen, damit es über Seine Gesetze wache, die das Rückgrat der moralischen Existenz der Menschen darstellen. Wo sollten wir sein, wenn nicht hier?«
»Israel steht mit dem Rücken gegen die Wand«, sagte Kitty heftig. »So hat es immer gestanden, und so wird es immer stehen — und immer werdet ihr von unversöhnlichen Gegnern umgeben sein, die entschlossen sind, euch zu vernichten.«
»Nein, Kitty, nein! Israel ist die Brücke zwischen der Finsternis und dem Licht.«
Und auf einmal begriff Kitty, sah es so deutlich — so wunderbar klar. Das also war die Antwort: Israel, die Brücke zwischen der Finsternis und dem Licht.
V.
Einen Abend gibt es, der sich für jeden Juden von allen anderen unterscheidet und von besonderer Bedeutung ist: der Beginn des Pessach-Festes. Das Pessach-Fest wird zur Erinnerung an die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten begangen. Die damaligen Unterdrücker, die alten Ägypter, wurden zum Symbol für alle Unterdrücker der Juden durch die Jahrtausende.
Der Höhepunkt dieses Festes ist der Seder — die Feier der Befreiung, die am Vorabend des Pessach-Festes begangen wird, um dem Dank für die Freiheit Ausdruck zu geben und um denen Hoffnung zu verleihen, die in der Unfreiheit leben. In der Verbannung und in der Diaspora, vor der Wiedergeburt des Staates Israel, endete diese Feier stets mit den Worten: »Nächstes Jahr in Jerusalem.«
An diesem Abend wird aus der Haggada vorgelesen, einem Buch, das besondere Gebete, Erzählungen und Lieder für das Pessach-Fest enthält, die zum Teil dreitausend Jahre alt sind. Das Oberhaupt der Familie liest die Geschichte vom Auszug der Kinder Israels aus Ägypten.
Die Seder-Feier war immer und überall der Höhepunkt des Jahres. Wochenlang waren die Hausfrauen mit den Vorbereitungen für diesen Abend beschäftigt. Das Haus mußte peinlich gesäubert werden, die Räume wurden geschmückt, und besondere Passach-Speisen wurden bereitet.
Überall in Israel war man fieberhaft mit den Vorbereitungen für den Seder beschäftigt. In Yad El, im Haus der Familie Ben Kanaan, sollte der Seder in diesem Jahre in einem verhältnismäßig kleinen Kreis gefeiert werden. Dennoch mußte Sara die rituellen Vorschriften bis auf das I-Tüpfelchen erfüllen. Diese Arbeit war ihr eine Herzenspflicht, die sie sich nicht nehmen ließ. Das Haus wurde innen und außen gescheuert. Am Tage der Feier schmückte sie die Räume mit riesigen Galiläarosen. Der siebenarmige Menora-Leuchter war glänzend geputzt. Alle besonderen Pessach-Speisen standen bereit: verschiedene Kuchen, Plätzchen und Süßigkeiten, und Sara hatte ihr bestes Kleid angelegt.
Sutherland fuhr mit Kitty im Wagen von seinem Haus in Safed nach Yad El.
»Daß Sie Israel verlassen wollen, gefällt mir gar nicht«, brummte Sutherland. »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.«
»Ich habe lange darüber nachgedacht, Bruce. Es ist das Beste so. Und jetzt scheint mir der richtige Augenblick dafür zu sein.« »Meinen Sie wirklich, daß die Einwanderung ihren Höhepunkt überschritten hat?«
»Der erste Ansturm ist jedenfalls vorbei. Es gibt noch viele kleinere jüdische Gruppen, die hierherkommen wollen, aber in Europa festsitzen — wie etwa die Juden in Polen. Für die Juden in Ägypten kann die Lage jederzeit unhaltbar werden. Doch die Hauptsache ist, daß die entsprechenden Organisationen in Israel jetzt soweit sind und so fest auf eigenen Füßen stehen, daß man allen Schwierigkeiten gewachsen ist.«