Seew Gilboa wäre beinahe geplatzt, als er das britische Waffenarsenal sah. All die Jahre, seit er beim Palmach war, hatte es ihnen immer an Waffen gefehlt, und der Anblick dieser Massen wunderschöner Maschinengewehre, Granatwerfer und Karabiner zerriß ihm schier das Herz.
Das »Arbeitskommando« arbeitete mit der Präzision eines Uhrwerks. Ari wußte aus Mandrias Liste genau, wo die einzelnen Dinge lagerten. Als sie am Nachmittag alles beisammen hatten, lud Joab Yarkoni zum Schluß noch einige Kisten mit Whisky, Brandy und Gin und ein paar Flaschen Wein auf — für medizinische Zwecke.
Zwölf funkelnagelneue Lastwagen verließen das Depot, vollgepackt bis an den Rand, angeblich in Richtung Famagusta, wo die Waren und die Lastwagen auf die SS Achab verladen werden sollten. Ari bedankte sich bei dem Depotchef für die ausgezeichnete Zusammenarbeit, und das »Arbeitskommando« fuhr sechs Stunden nach seiner Ankunft wieder ab.
Die Palmach-Männer waren begeistert, mit welcher Leichtigkeit sie ihren ersten Sieg errungen hatten, doch Ari ließ ihnen keine Zeit, um sich auszuruhen oder stolz zu sein. Dies war nur der Anfang.
Der nächste Schritt des Unternehmens Gideon bestand darin, eine Stelle ausfindig zu machen, wo sie mit den Lastwagen und allem anderen, was sie gestohlen hatten, bleiben konnten. Ari hatte auch hierfür einen Vorschlag bereit. Er hatte am Stadtrand von Famagusta ein britisches Camp entdeckt, das nicht mehr benutzt wurde. Offensichtlich war früher einmal eine kleinere Einheit dort stationiert gewesen. Die Abzäunung, zwei Dienstbaracken und die Nebengebäude standen noch. Auch die elektrische Zuleitung war intakt geblieben.
In den folgenden drei Nächten kamen alle Palmach-Angehörigen von Caraolos zu diesem Camp. Sie waren fieberhaft damit beschäftigt, Zelte aufzustellen, das Lager in Ordnung zu bringen und dem Ganzen den Anstrich zu geben, das Camp sei wieder in Betrieb genommen.
Die zwölf Lastwagen und die zwei Jeeps wurden in der Khaki-Farbe der britischen Armee angestrichen. Auf die Türen der Fahrzeuge malte Joab Yarkoni ein Zeichen, das man für eines der tausend Abzeichen der Army halten konnte, und darunter stand: 23. Transportkompanie SMJSZ.
Im Dienstraum der »Kompanie« lagen auf den Schreibtischen echte und gefälschte britische Dienstpapiere herum, um dem Ganzen authentisches Aussehen zu verleihen.
Nach vier Tagen sah das kleine Camp mit den zwölf Lastwagen ganz normal und unauffällig aus. Sie hatten aus dem Depot eine genügende Anzahl britischer Uniformen mitgenommen, um den Palmach in angemessener Weise einkleiden zu können, und auch sonst war genug von allem da, um das Camp vollständig auszustatten.
Als Krönung des Ganzen befestigte Joab Yarkoni über dem Tor ein Schild mit der Inschrift: 23. Transportkompanie SMJSZ. Alles seufzte erleichtert auf, als das Schild hing und das Lager seinen offiziellen Namen hatte.
Seew sah die Tafel an und kratzte sich am Kopf. »Was soll das eigentlich heißen — SMJSZ?« »Das heißt: Seiner Majestät jüdische Streitkräfte auf Zypern — was denn sonst?« antwortete Joab.
Die Fassade zur Durchführung des Unternehmens Gideon stand. Ari ben Kanaan hatte die Stirn gehabt, seine Gruppe als Einheit der britischen Armee zu tarnen. In der Uniform eines englischen Offiziers hatte er selbst das Hauptquartier von Mossad Aliyah Bet in aller Öffentlichkeit an der Straße nach Famagusta aufgeschlagen, und er war entschlossen, für die Endphasen seines Planes ausschließlich britische Heeresausrüstung zu benützen. Das war ein gewagtes Spiel, doch er hielt sich an den einfachen Grundsatz: Die beste Tarnung für einen Geheimagenten ist, sich so normal wie möglich zu benehmen.
Die nächste Phase des Unternehmens Gideon lief an, als drei amerikanische Seeleute von der Crew eines Frachtdampfers in Famagusta ihr Schiff verließen. Es waren Mossad-Leute, die im Krieg bei der amerikanischen Flotte gedient hatten. Von einem anderen Schiff kamen zwei Spanier, die nach der Machtübernahme durch Franco ins Exil gegangen waren. Es kam häufig vor, daß rotspanische Seeleute auf Aliyah-Bet-Schiffen arbeiteten. Damit hatte die Exodus eine Besatzung, die durch Ari, David, Joab und Seew vervollständigt wurde.
Hank Schlosberg, der amerikanische Skipper, und Joab gingen ans Werk, die Exodus als Blockadebrecher umzubauen. Larnaca war ein kleiner Hafen, und Mandria wußte es zu bewerkstelligen, daß nichts über eine ungewöhnliche Aktivität an Bord der Aphrodite bekannt wurde, die am Ende der Pier lag.
Zunächst wurden auf und unter Deck sämtliche Schränke, Fächer, Bretter und Borde abgebaut. Das ganze Schiff wurde von vorn bis achtern ein leerer Raum.
Dann wurden an Deck zwei hölzerne Häuschen errichtet, eins für die Jungen und eins für die Mädchen. Die Mannschaftsmesse wurde zum Lazarettraum umgestaltet. Man würde auf der Exodus weder Messe noch Kombüse brauchen. Die gesamte Verpflegung würde aus Konserven bestehen, und essen würde man aus der Büchse. Die Kombüse wurde zu Waffenkammer und Lagerraum umgebaut. Auch die Mannschaftskajüten wurden ausgebaut. Die Crew sollte oben auf der kleinen Brücke schlafen. Die Lautsprecheranlage wurde eingebaut, die uralte Schiffsmaschine sorgfältig überholt. Ein Mast wurde aufgerichtet und ein Segel vorbereitet für den Fall, daß die Maschine ausfallen sollte.
Unter den dreihundert ausgesuchten Jugendlichen waren auch Kinder strenggläubiger Juden, und daraus ergab sich ein Problem besonderer Art. Yarkoni mußte das Oberhaupt der jüdischen Gemeinde von Zypern mit der Bitte aufsuchen, für diese Strenggläubigen »koscheres« Büchsenfleisch herstellen zu lassen. Dann wurde der Raum unter Deck und über Deck genau ausgemessen. Trennungswände wurden eingebaut, mit einem Zwischenraum von jeweils fünfundvierzig Zentimetern. Diese fünfundvierzig Zentimeter sollten als Kojen dienen und es jedem Kind gestatten, entweder auf dem Rücken oder auf dem Bauch zu liegen — allerdings nicht den Luxus, sich von einer Seite auf die andere zu drehen.
Die Rettungsboote wurden repariert. In die Bordwand wurden große Löcher geschnitten und Windfänge mit Ventilatoren eingebaut, damit Luft in den Raum unter Deck komme. Auch die aus dem britischen Depot gestohlenen Frischluftanlagen wurden eingebaut. Die Arbeit ging glatt vonstatten. Daß auf einem alten SeelenVerkäufer wie der Aphrodite ein halbes Dutzend Leute beschäftigt waren, war im Hafen von Larnaca ein ganz normaler Anblick. Schwieriger war schon die Frage, wie man die Verpflegung und die übrige Ausrüstung an Bord bringen sollte. Ari fand es zu riskant, mit den khakifarbenen Lastwagen an den Hafen zu fahren, weil das bestimmt einiges Aufsehen erregt hätte. Daher lief die Exodus, als der Umbau im wesentlichen beendet war, Nacht für Nacht heimlich aus Larnaca aus und begab sich zu einem unbeobachteten Treffpunkt in der Südbucht, einige Meilen von Larnaca entfernt. Dorthin kamen die Lastwagen der 23. Transportkompanie SMJSZ, mit all den guten Dingen beladen, die man in dem britischen Depot geklaut hatte. Die ganze Nacht hindurch fuhren die Schlauchboote zwischen der Küste und dem Schiff hin und her, bis die Exodus so beladen war, daß nichts mehr in ihre Vorratskammern hineinging.
Inzwischen führte Seew Gilboa in der Jugendsektion des Lagers Caraolos die Aufgabe aus, die er im Rahmen des Unternehmens Gideon hatte. Er wählte sorgfältig dreihundert der kräftigsten Jungen und Mädchen aus und führte sie in Gruppen auf den Spielplatz, wo sie fit gemacht wurden durch gymnastische Übungen, Unterricht bekamen im Kampf mit Messern und Stöcken, wo sie lernten, wie man mit einem Gewehr umgeht und wie man Handgranaten wirft. Rings um den Spielplatz standen Aufpasser; sobald ein englischer Wachtposten auftauchte, ertönte ein Warnungs-Signal, aus dem kriegerischen Spiel wurde ein friedliches Spiel. Die Kinder, die eben noch geschossen hatten, sangen drei Sekunden später Kinderlieder. Bei dem Unternehmen Gideon ergab sich eine gewisse Schwierigkeit, die jedoch nur Aris engste Mitarbeiter betraf: David, Seew und Joab.