Im King George, das wie das Dom-Hotel direkt am Meer lag, sah er Kitty an einem Tisch auf der Terrasse sitzen, die zum Meer ging.
»Hallo, Mark«, sagte sie lächelnd und gab ihm, als er neben ihr Platz nahm, einen Kuß auf die Wange.
Er bestellte etwas zu trinken, gab Kitty eine Zigarette und zündete sich selbst eine an. Kitty sah großartig aus; sie schien um zehn Jahre jünger.
Die Cocktails kamen.
»Du machst keinen besonders glücklichen Eindruck«, sagte Kitty. »Ist es die Spannung?«
»Natürlich«, sagte er ärgerlich. »Meinst du vielleicht, ich wäre nicht gespannt?«
Sie erhoben die Gläser und sahen sich an. Kitty stellte ihr Glas rasch wieder hin. »Hören Sie, Mr. Parker — Sie funkeln ja wie ein Warnungsschild vor einer Kurve. Mach deinem Herzen Luft, ehe du explodierst.«
»Was hast du denn? Bist du böse? Magst du mich nicht mehr?« »Mein Gott, Mark — ich wußte gar nicht, daß du so empfindlich bist. Ich habe viel Arbeit gehabt. Außerdem waren wir uns doch einig, daß wir uns in diesen zwei Wochen lieber nicht so oft sehen wollten, nicht wahr?«
»Gestatten Sie: mein Name ist Mark Parker. Wir haben uns früher mal ziemlich gut gekannt. Es war bei uns üblich, daß wir über alles miteinander sprachen.«
»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ich meine Karen — Karen Clement-Hansen. Ein kleines Flüchtlingsmädchen aus Deutschland, via Dänemark.«
»Ich wüßte nicht, was es darüber zu reden gäbe.«
»Ich glaube doch.«
»Sie ist einfach ein reizendes Mädchen, und ich habe sie gern. Sie mag mich, und ich mag sie.«
»Lügen war nie deine Stärke.«
»Ich mag nicht darüber reden!«
»Du läßt dich da auf etwas ein, was zwangsläufig schiefgehen muß. Das letztemal bist du nackt im Bett eines Matrosen gelandet. Diesmal wirst du vermutlich draufgehen.«
Sie sah zur Seite und sagte: »Dabei bin ich immer so vernünftig gewesen, mein ganzes Leben lang.«
»Willst du etwa versuchen, alles, was du in dieser Beziehung versäumt hast, jetzt auf einmal nachzuholen?«
Sie legte die Hand auf seine Hand. »Ich verstehe es auch nicht — aber mir ist, als wäre ich neu geboren. Sie ist ein so ungewöhnliches Mädchen, Mark.«
»Und was machst du, wenn sie auf die Exodus geht? Hast du vor, sie nach Palästina zu begleiten?«
Kitty zerdrückte ihre Zigarette im Aschenbecher und trank ihren Cocktail aus. Ihre Augen wurden schmal, und ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck, den Mark an ihr kannte. »Was hast du getan?« fragte er.
»Karen geht nicht mit auf die Exodus. Das war die Bedingung, unter der ich mich bereit erklärte, für Ari ben Kanaan zu arbeiten.«
»Was für ein Blödsinn, Kitty — was für ein verdammter Blödsinn!« »Hör auf!« sagte sie. »Hör auf, so zu tun, als ob irgend etwas dabei nicht in Ordnung wäre. Ich bin einsam gewesen, habe gehungert nach einer Zuneigung, einer Liebe, wie sie dieses Mädchen mir geben kann. Und ich kann für sie der Mensch sein, nach dem sie verlangt.«
»Du willst gar nicht ,ein Mensch' sein — du möchtest ihre Mutter sein.«
»Na, und wenn? Auch das wäre ganz in Ordnung.«
»Also, hör mal, wir wollen uns hier nicht weiter anschreien. Wir wollen in aller Ruhe darüber reden. Ich weiß nicht, was du dir da ausgedacht hast, aber ihr Vater ist vermutlich noch am Leben. Und wenn nicht, dann hat sie die Hansens in Dänemark. Und drittens: dieses Mädchen ist von den Leuten aus Palästina genauso verrückt gemacht worden wie alle anderen auch. Sie will unbedingt nach Palästina.«
Kittys Augen bekamen einen traurigen Ausdruck, und Mark bereute, was er gesagt hatte.
»Es war falsch von mir«, sagte Kitty, »daß ich sie nicht auf die Exodus gehen lassen will. Ich wollte sie ein paar Monate um mich haben, wollte ihr Vertrauen gewinnen, wollte ihr allmählich beibringen, wie wunderbar es wäre, wenn sie mit mir nach Amerika käme. Ich dachte, wenn ich ein paar Monate mit ihr zusammen sein könnte, dann wüßte ich genau —.«
»Kitty, Kitty! Karen ist nicht Sandra. Du hast die ganze Zeit nach Sandra gesucht, von dem Augenblick an, als der Krieg zu Ende war. Du hast nach ihr gesucht in diesem Waisenheim in Saloniki. Vielleicht war das der Grund, weshalb du Ben Kanaans Herausforderung annehmen mußtest; denn in Caraolos waren Kinder, und du dachtest, eins von diesen Kindern könnte vielleicht Sandra sein.«
»Bitte, Mark — hör auf.«
»Schon gut. Und was kann ich für dich tun?«
»Versuche festzustellen, ob ihr Vater am Leben ist. Wenn er nicht lebt, möchte ich Karen adoptieren und sie nach Amerika mitnehmen.«
»Ich werde mein möglichstes tun«, sagte er. Er sah Ari ben Kanaan, der, als Captain Caleb Moore verkleidet, rasch herankam und bei ihnen am Tisch Platz nahm. Sein Gesicht war kühl und beherrscht wie immer. Kittys Gesicht leuchtete, als sie ihn sah.
»Ich habe eben eine Nachricht von David aus Caraolos bekommen. Ich muß sofort hin. Und es scheint mir das Beste, Sie kommen mit«, sagte er zu Kitty.
»Was ist los?« fragten Mark und Kitty voller Aufregung im gleichen Atemzug.
»Genau weiß ich es auch nicht. Dieser Landau, der Junge, der die gefälschten Papiere für uns herstellt — er arbeitet im Augenblick an den Listen für die Überführung der dreihundert Kinder. Er weigert sich, weiterzumachen, ehe er nicht mit mir gesprochen hat.«
»Und was soll ich dabei?« fragte Kitty.
»Ihre Freundin Karen ist so ziemlich der einzige Mensch, der mit ihm reden kann.«
Kitty wurde blaß.
»Diese Papiere müssen innerhalb der nächsten sechsunddreißig Stunden fertig sein«, sagte Ari. »Es könnte notwendig werden, daß Sie Karen veranlassen, mit dem Jungen zu reden.«
Kitty stand schwankend auf und folgte Ari widerstandslos. Mark schüttelte bekümmert den Kopf und sah noch lange zu der Tür, durch die sie verschwunden waren.
XXI.
Karen stand in dem Klassenzimmer, das als Palmach-Hauptquartier diente. Wütend starrte sie auf den Jungen mit dem sanften Gesicht und dem blonden Haar. Er war etwas klein für einen Siebzehnjährigen, und sein sanftes Äußeres war eine Täuschung. In seinen kalten blauen Augen brannten Qual, Verwirrung und Haß. Er stand bei einer kleinen Nische, die die Papiere und Instrumente enthielt, die er für seine Fälschungen verwendete. Karen ging zu ihm hin und fuhr ihm mit dem Finger unter der Nase hin und her. »Dov? Was hast du wieder angestellt?« Er schob die Unterlippe vor und brummte. »Hör auf, mich anzuknurren wie einen Hund«, sagte sie. »Ich will wissen, was du angestellt hast.«
Er blinzelte nervös. Es hatte keinen Sinn, mit Karen streiten zu wollen, wenn sie wütend war. »Ich habe ihnen gesagt, daß ich mit Ben Kanaan sprechen will.«
»Und warum?«
»Weißt du, was das da ist? Das sind gefälschte englische Formulare. Ben Kanaan hat mir eine Liste mit den Namen von dreihundert Jungens und Mädchen aus unserer Sektion gegeben, die auf diesen Papieren hier aufgeführt werden — und dann in das neue Lager bei Larnaca verlegt werden sollen. In Wirklichkeit kommen sie aber gar nicht in das neue Lager. Sie sollen auf ein Mossad-Schiff, das irgendwo liegt. Und dieses Schiff fährt nach Palästina.«