Die Unterredung war beendet, und der Botschafter mußte Whitehall davon unterrichten, daß es nicht möglich gewesen sei, den Zug anzuhalten. Er rollte nach Preßburg weiter und näherte sich der österreichischen Grenze.
Die Engländer unternahmen erneut den Versuch, den Zug anzuhalten, doch diesmal überquerte er unter dem Schutz eines hohen amerikanischen Offiziers die Grenze.
In Wien gab es einen Aufenthalt, den die Überlebenden von Auschwitz dringend nötig hatten. In einem riesigen Ausrüstungslager, das von amerikanischen Juden zur Unterstützung der überlebenden europäischen Juden eingerichtet worden war, wurden sie neu eingekleidet.
Von Österreich ging es nach Italien, und dort genoß Mossad Aliyah Bet die uneingeschränkte Unterstützung der Öffentlichkeit und der amtlichen Stellen. Die Freizügigkeit war nur dadurch behindert, daß das Land von den Engländern besetzt war.
Paradoxerweise bestanden die britischen Besatzungstruppen zum Teil aus Einheiten palästinischer Juden. Die Palästina-Brigade der britischen Armee, deren Einheiten überall im besetzten Italien verteilt waren, hatte beim britischen Oberkommando lange Zeit als Elitetruppe gegolten. Doch dann gingen Agenten von Aliyah Bet zur Palästina-Brigade, und es dauerte nicht lange, da waren die palästinischen Soldaten eifrig damit beschäftigt, Flüchtlingslager zu errichten, die Flüchtlinge auf illegale Einwanderungsschiffe zu schmuggeln und dergleichen mehr. Theoretisch unterstanden die Einheiten britischen Offizieren, praktisch aber unterstanden sie dem Kommando des Palmach und der Aliyah Bet. Schimschon Bar Dror war Sergeant in einer dieser Einheiten und seine britischen Armeepapiere dienten ihm zur Einreise nach Polen und zur Rückkehr von dort, nachdem er die Flüchtlinge in Marsch gesetzt hatte. Es war Frühling, als der Zug mit den Flüchtlingen aus Auschwitz, unter denen sich auch Dov befand, in der Nähe des Comersees auf einem sehr abgelegenen Nebengleis außerhalb von Mailand anhielt. Man hatte den Flüchtlingen zwar vorsorglich mitgeteilt, daß sie von Leuten in Empfang genommen würden, die englische Uniformen trugen, doch es hätte nicht viel gefehlt, daß trotzdem eine Panik ausgebrochen wäre. Soldaten, Männer in Uniform, mit dem Judenstern am Ärmel? Das war für die Überlebenden aus Auschwitz nicht zu fassen. Der Judenstern war immer das Abzeichen des Ghettos gewesen. Mit Ausnahme der Aufstände in den Ghetti hatte seit annähernd zweitausend Jahren kein Jude mehr unter diesem Zeichen gekämpft.
Die polnischen Juden stiegen zögernd und mißtrauisch aus. Die Soldaten, die sie in Empfang nahmen, waren freundlich, sprachen hebräisch, einige von ihnen sogar jiddisch. Doch sie schienen eine ganz andere Art von Juden zu sein.
Eine Woche nach der Ankunft in Mailand wurde eine Gruppe von hundert Leuten, darunter auch Dov, mitten in der Nacht aus dem Lager geholt und auf englische Lastwagen verladen, die von Angehörigen der Palästina-Brigade gefahren wurden. Die Wagenkolonne begab sich in rascher Fahrt zu einem geheimen Treffpunkt an der Küste, wo weitere dreihundert Flüchtlinge aus anderen Lagern dazustießen.
Aus dem nahegelegenen Hafen von Spezia kam ein kleines Fahrzeug heran, das vor der Küste Anker warf. Die Flüchtlinge wurden in Schlauchbooten an Bord gebracht, das Schiff lichtete Anker, ließ die Drei-Meilen-Zone hinter sich und wurde alsbald von der englischen Flotte gesichtet, die beständig auf der Lauer lag.
Doch mit diesem Schiff, der Zinnen von Zion, ging irgend etwas Ungewöhnliches vor. Im Gegensatz zu allen anderen Flüchtlingsschiffen nahm dieses Schiff nicht Kurs auf Palästina, sondern auf den Golfe du Lion. Weder die Engländer noch die Flüchtlinge an Bord der Zinnen von Zion hatten die leiseste Ahnung, daß dieses kleine Fahrzeug nur ein Rädchen in einem gigantischen Plan war.
XXVII.
Bill Fry saß an einem Tisch des Restaurants von Miller Brothers in Baltimore, Maryland, und stocherte in seinem Essen. Er hatte keinen rechten Appetit. Mein Gott, dachte er, ich möchte wirklich wissen, ob ich mit diesem Krautdampfer über den Atlantik komme. Bill Fry galt als der fähigste Kapitän von Mossad Aliyah Bet. Durch seine Landung mit der Stern Davids bei Cäsarea, war die illegale Einwanderung in ein neues Stadium eingetreten. Die Engländer hatten sich gezwungen gesehen, die Internierungslager auf Zypern zu errichten. Das war ein Wendepunkt geworden, denn Mossad Aliyah Bet hatte ein Flüchtlingsschiff nach dem andern nach Palästina fahren lassen, und die Engländer hatten einen Transport Flüchtlinge nach dem andern nach Zypern gebracht. Jetzt war ein neues kritisches Stadium erreicht: die Internierungslager auf Zypern konnten die Massen der illegalen Einwanderer nicht mehr fassen. Mossad Aliyah Bet, stolz auf diesen Erfolg und wild entschlossen, die englische Politik der Einwanderungsbeschränkung zu boykottieren, hatte einen abenteuerlichen Plan gefaßt und Bill Fry dazu ausersehen, ihn durchzuführen.
Das bisher größte Schiff der illegalen Flotte war die Stern Davids gewesen, die fast zweitausend Passagiere befördert hatte. Die anderen Schiffe hatten höchstens tausend Passagiere an Bord gehabt. Die Leute von Mossad Aliyah Bet meinten nun, daß es für die Engländer ein Schlag sein müßte, wenn es gelänge, die Blockade mit einem Schiff zu durchbrechen, das mehr als fünftausend Flüchtlinge an Bord hatte.
Bill wurde beauftragt, hierfür ein geeignetes Schiff ausfindig zu machen und es zum Einwandererschiff umbauen zu lassen. Damit sollte er fünftausend Flüchtlinge aus dem Sammellager La Ciotat in Südfrankreich abholen und nach Palästina bringen. Man fand, es sei das beste, ein solches Schiff in den Vereinigten Staaten oder in Südamerika zu kaufen, wo die Engländer nicht alle Häfen so genau überwachten, wie dies in Europa der Fall war.
Agenten von Mossad Aliyah Bet bereisten Südamerika, während Bill in den Häfen im Golf von Mexiko und an der Ostküste auf die Suche ging. Es zeigte sich bald, daß für das Geld, das zur Verfügung stand, kein brauchbares Schiff zu haben war. Deshalb hatte Bill ein gewagtes Spiel gespielt, und jetzt machte er sich Sorgen. Er hatte einen uralten, altmodischen Dampfer gekauft, der nie den Ozean zu sehen bekommen hatte, sondern immer nur durch die Chesapeake Bay zwischen Baltimore und Norfolk gefahren war. Der einzige Vorzug, den Bill an diesem Schiff, der General Stonewall Jackson, entdecken konnte, war der niedrige Preis, den man für den Dampfer verlangt hatte.
Ein Ober in weißer Jacke kam an den Tisch und fragte Bilclass="underline" »Ist mit dem Essen irgend etwas nicht in Ordnung, mein Herr?«
»Hm? Nein, nein — das Essen ist prima«, brummte Bill und schob sich einen Löffel voll in den Mund.
War es ein Fehler gewesen, den alten Kasten zu kaufen? Im Augenblick befand er sich auf einer Werft in Newport News, Virginia, und wurde umgebaut, um 6850 Flüchtlinge aufnehmen zu können.
Bill seufzte. Er dachte an die andere Seite der Sache. Angenommen, es gelang ihm, siebentausend Flüchtlinge auf einen Schlag aus Europa wegzubringen! Das würde die bisherige britische Politik praktisch auffliegen lassen!
Bill schob den Teller zurück und verlangte die Rechnung. Er fischte sich den ausgegangenen Zigarrenstummel aus dem Aschenbecher, brannte ihn an und las zum soundsovielten Male das Telegramm aus Newport News: JACKSON FERTIGGESTELLT. In Newport News versammelte Bill am nächsten Tag seine Crew, die aus Palmach- und Aliyah-Bet-Leuten, amerikanischen Juden, sympathisierenden spanischen Loyalsten, Italienern und Franzosen bestand. Er besichtigte das Schiff und machte eine kurze Probefahrt durch die Bucht, dann stellte er den Hebel auf »Volle Kraft voraus« und steuerte auf den Atlantischen Ozean hinaus.
Schon nach drei Stunden hatte die Jackson Maschinenschaden und mußte nach Newport News zurück.
Im Verlauf der nächsten vierzehn Tage unternahm Bill drei weitere Versuche. Sobald sich der alte Kasten etwas weiter aus den ruhigen Gewässern entfernte, an die er gewöhnt war, streikte er, und Bill mußte in den Hafen zurücksteuern.