Выбрать главу

HUNGERSTREIK: 82 STUNDEN

Karen Hansen-Clement wurde bewußtlos auf das Vorderdeck gebracht.

HUNGERSTREIK: 83 STUNDEN

Kitty kam in das Ruderhaus und sank erschöpft auf einen Stuhl. Sie hatte fünfunddreißig Stunden lang pausenlos gearbeitet; sie war erschöpft und halb betäubt. Ari goß ihr einen kräftigen Schluck Brandy ein.

»Da«, sagte er, »trinken Sie das mal. Sie befinden sich ja nicht im Hungerstreik.«

Sie schluckte den Brandy hinunter, und ein zweites Glas ließ sie wieder zu sich kommen. Sie sah Ari ben Kanaan lange und eindringlich an. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Kraft. Die Belagerung schien ihm so gut wie gar nicht zugesetzt zu haben. Sie sah in seine kalten Augen und fragte sich, was für Gedanken, was für Pläne, was für Anschläge ihm wohl durch den Kopf gehen mochten. Sie fragte sich, ob er Angst hätte, ob er überhaupt wußte, was Angst war. Sie fragte sich, ob er bekümmert oder erschüttert sei.

»Ich hatte erwartet, daß Sie viel eher hierherkommen würden«, sagte er.

»Ich komme nicht, um etwas von Ihnen zu erbitten, Ari ben Kanaan. Ich will nur Meldung erstatten, wie ein Soldat, der seine Pflicht tut. Ben Kanaan und Gott — ist das so richtig, in dieser Reihenfolge? Wenigstens zehn der Kinder schweben in Lebensgefahr. Wenn der Hungerstreik weitergeht, werden sie sterben. Wie entscheiden Sie als oberster Richter über Leben und Tod?«

»Es ist nicht das erstemal, daß man mich beschimpft, Kitty. Das läßt mich kalt. Wie aber steht es bei Ihnen: ist Ihr menschliches Mitgefühl so groß, daß Ihnen beim Anblick all dieser Kinder das Herz bricht, oder gilt Ihr Appell nur dem Leben eines dieser Kinder?« »Sie haben kein Recht, mich das zu fragen.«

»Ihnen geht es um das Leben eines Mädchens. Mir geht es um das Leben einer Viertelmillion Menschen.«

Kitty stand auf. »Ich glaube, es ist besser, ich gehe wieder an meine Arbeit. Hören Sie, Ari — Sie haben gewußt, aus welchem Grund ich an Bord kommen wollte. Warum haben Sie es mir erlaubt?«

Er wandte ihr den Rücken zu und sah durch das Fenster hinaus auf das Meer, wo die Kreuzer und Zerstörer Wache hielten. »Vielleicht, weil ich Sie gern sehen wollte.«

HUNGERSTREIK: 85 STUNDEN

General Sir Clarence Tevor-Browne ging unruhig in Sutherlands Büro auf und ab. Die Luft im Raum war blau vom Rauch seiner Zigarre. Von Zeit zu Zeit blieb er am Fenster stehen und sah gespannt durch die schmutzigen Scheiben nach draußen in die Richtung von Kyrenia.

Sutherland klopfte seine Pfeife aus und musterte die reichhaltige Auswahl von belegten Broten auf dem Teetisch. »Möchten Sie nicht Platz nehmen, Sir Clarence, einen Schluck Tee trinken und etwas essen?«

Tevor-Browne sah auf seine Armbanduhr und seufzte. Er setzte sich, nahm ein Stück Brot, starrte es an, biß hinein und legte es hastig wieder aus der Hand. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich esse«, sagte er.

»Ja, das ist kein gutes Geschäft für einen Mann, der ein Gewissen hat«, sagte Sutherland. »Zwei Kriege, elf Posten in den Kolonien, sechs Auszeichnungen und drei Orden — und jetzt scheitere ich an einem Häufchen unbewaffneter Kinder. Prächtiger Abschluß einer dreißigjährigen Dienstzeit, finden Sie nicht auch, Sir Clarence?« Tevor-Browne sah zu Boden.

»Oh, ich wußte, daß Sie mit mir darüber reden wollten«, sagte Sutherland.

Tevor-Browne schenkte sich Tee ein und seufzte halb verlegen. »Ja, sehen Sie, Bruce — wenn die Entscheidung bei mir läge —.« »Unsinn, Sir Clarence. Sie brauchen sich doch keine Vorwürfe zu machen. Ich mache mir Vorwürfe. Denn ich war es, der versagt und Ihr Vertrauen enttäuscht hat.« Sutherland stand auf. Seine Augen brannten. »Ich bin müde«, sagte er, »sehr müde.«

»Wir werden Ihre Pensionierung so unauffällig wie möglich in die Wege leiten, mit vollem Ruhestandsgehalt«, sagte Tevor-Browne.

»Sie können sich da ganz auf mich verlassen. Und hören Sie mal, Bruce — ich habe auf dem Wege hierher in Paris Station gemacht und ein langes Gespräch mit Neddie gehabt. Ich habe ihr von Ihren Schwierigkeiten erzählt. Wenn Sie ihr ein gutes Wort geben, dann könnten Sie beide wieder zusammenkommen. Neddie möchte gern zu Ihnen zurück, und Sie werden sie nötig haben.«

Sutherland schüttelte den Kopf. »Zwischen Neddie und mir ist es seit Jahren aus. Das einzig sinnvolle Bindeglied, das es jemals zwischen uns gab, war die Armee.«

»Haben Sie schon irgendwelche Pläne?«

»Diese Monate hier auf Zypern haben in mir etwas bewirkt, Sir Clarence, besonders die letzten Wochen. Sie mögen da vielleicht anderer Ansicht sein, aber ich habe nicht das Gefühl, eine Niederlage erlitten zu haben. Ich habe ganz im Gegenteil das Gefühl, vielleicht etwas sehr Wertvolles gewonnen zu haben. Etwas, das ich vor langer Zeit verloren hatte.«

»Und was ist das?«

»Das Recht. Erinnern Sie sich? Als ich diesen Posten übernahm, da sagten Sie mir, das einzige Reich, das auf Gerechtigkeit beruhe, sei das Reich Gottes, während die Reiche dieser Welt auf dem Öl beruhen.«

»Ich erinnere mich noch sehr genau«, sagte Tevor-Browne.

»Ich habe sehr oft daran denken müssen«, sagte Sutherland, »seit dieser Sache mit der Exodus. Mein ganzes Leben lang habe ich den Unterschied zwischen Recht und Unrecht gekannt. Die meisten von uns kennen ihn. Ihn zu kennen, ist noch nicht dasselbe, wie danach zu leben. Wie oft im Leben tut jemand Dinge, die sein Gewissen belasten, um seine Existenz nicht zu gefährden. Wie habe ich die seltenen Ausnahmemenschen bewundert, die die Kraft hatten, für ihre Überzeugung einzutreten, selbst wenn dies Schande, Folter oder sogar ihren Tod bedeutete. Was für ein wunderbares Gefühl inneren Friedens müssen diese Menschen haben, so ein Mann wie Gandhi. Sie fragten mich nach meinen Plänen. Ich habe die Absicht, mich in diesen armseligen Landstrich zu begeben, den die Juden ihr Himmelreich auf Erden nennen. Ich möchte das alles kennenlernen —    Galiläa — Jerusalem — alles.«

»Ich beneide Sie, Bruce.«

»Vielleicht werde ich mich in der Nähe von Safed zur Ruhe setzen —    auf dem Berge Kanaan.«

Major Alistair kam herein. Er war bleich, und seine Hand zitterte, als er Tevor-Browne eine Meldung überreichte. Tevor-Browne las sie. »Gott sei uns allen gnädig«, sagte er leise und gab die Meldung an Bruce Sutherland weiter.

DRINGEND

Ari ben Kanaan, der Sprecher der Exodus, hat bekanntgegeben, daß ab morgen mittag 12 Uhr täglich zehn Freiwillige auf der Brücke des Schiffes in aller Öffentlichkeit und vor den Augen der Engländer Selbstmord begehen werden. Diese Protestaktion wird solange fortgesetzt, bis man der Exodus erlaubt, nach Palästina auszulaufen, oder bis an Bord niemand mehr am Leben ist.

Bradshaw, begleitet von Humphrey Crawford und einem halben Dutzend Adjutanten, verließ London und begab sich eilig in die Stille eines abgelegenen kleines Hauses auf dem Lande. Es blieben ihm noch vierzehn Stunden.

Bei der ganzen Sache hatte er sich schwer verrechnet. Erstens hatte er nicht mit einer solchen Zähigkeit und Entschlossenheit der Kinder an Bord des Schiffes gerechnet. Zweitens hatte er nicht gedacht, daß die Geschichte in der Öffentlichkeit soviel Staub aufwirbeln würde, und schließlich hatte er es nicht für möglich gehalten, daß Ben Kanaan zum Angriff übergehen und ihn derartig unter Druck setzen würde. Bradshaw war ein sturer Bursche, doch er wußte, wann er verloren hatte. Jetzt suchte er krampfhaft nach einem Kompromiß, der es den Engländern ermöglichen sollte, ihr Gesicht zu wahren.

Er gab Crawford und seinen Adjutanten den Auftrag, sich telegrafisch oder telefonisch mit einem Dutzend der einflußreichsten jüdischen Bürger Englands, Palästinas und der Vereinigten Staaten in Verbindung zu setzen und sie um ihre Intervention zu bitten. Besonders die führenden Köpfe in Palästina konnten Ben Kanaan raten, von seinem Vorhaben abzusehen oder ihn zumindest veranlassen, den Beginn der Aktion so lange zu verzögern, bis Bradshaw Kompromißvorschläge machen konnte. Wenn es ihm gelang, Ben Kanaan an den Verhandlungstisch zu bringen, dann konnte er die Exodus zu Tode reden. Innerhalb von sechs Stunden antworteten alle führenden Juden übereinstimmend: WERDEN NICHT INTERVENIEREN.