»Ich habe nein gesagt. Es sind Juden. Ich glaube zwar, daß jüdische Kinder kaum anders sind als irgendwelche anderen, aber ich möchte doch lieber nichts mit ihnen zu tun haben. Bei diesen Lagern scheint eine ganze Menge Politik mit im Spiele zu sein, und sie unterstehen nicht der Aufsicht der UNO.«
Mark schwieg nachdenklich. Kitty blinzelte ihn verschmitzt an und wedelte mit dem Zeigefinger vor seiner Nase hin und her. »Mach nicht so ein ernstes Gesicht. Willst du wissen, was der andere Grund war, weshalb ich dich nicht abholen konnte?«
»Du tust, als ob du einen kleinen Schwips hättest.«
»Ich glaube, so allmählich kriege ich auch einen. Also hören Sie, Mr. Parker: ich war in Famagusta, um meinen Freund ans Schiff zu bringen. Du kennst mich ja — der eine Mann reist ab, der nächste kommt an.«
»Solange du sie nicht durcheinanderbringst! Und was war das für ein Knabe, mit dem du hier nach Zypern gefahren bist?«
»Möchtest du wohl gerne wissen, wie?«
»Mhm.«
»Colonel Howard Hillings, von der britischen Armee.«
»Irgendwas gewesen zwischen euch beiden?«
»Halt den Mund! Er war so korrekt, daß es geradezu widerlich war.«
»Und woher kennst du ihn?«
»Er war Chef der britischen Militärmission in Saloniki. Als ich die Leitung des Heims übernahm, fehlte es uns an allem — Betten, Medikamenten, Verpflegung, Decken — einfach alles. Kurz und gut, ich wandte mich an ihn. Er hat einen gewaltigen Papierkrieg für mich geführt, und wir wurden gute Freunde für immer und ewig. Er ist wirklich ein guter Kerl.«
»Erzähl weiter. Die Sache fängt an, außerordentlich interessant und spannend zu werden.«
»Vor ein paar Wochen erfuhr er, daß er nach Palästina versetzt würde und vorher in Urlaub gehen sollte, und da bat er mich, seinen Urlaub hier mit ihm zu verbringen. Weißt du, ich steckte so in der Arbeit drin, daß mir völlig entgangen war, seit achtzehn Monaten nicht einen einzigen freien Tag gehabt zu haben. Na, kurz und gut, sein Urlaub wurde abgeblasen, und heute mußte er sich in Famagusta melden, um dort das Schiff nach Palästina zu besteigen.« »Irgendwelche Zukunftspläne als Mrs. Hillings?«
Kitty schüttelte den Kopf. »Ich mag ihn sehr. Er hat extra die weite Reise mit mir nach Zypern gemacht, nur um die richtige Umgebung für die Frage zu finden, ob ich ihn heiraten wollte —.«
»Na und?«
»Ich habe Tom geliebt. Ich werde nie wieder etwas Ähnliches für einen Mann empfinden.«
»Du bist inzwischen achtundzwanzig, Kitty. Das ist ein gutes Alter, sich zur Ruhe zu setzen.«
»Ich beklage mich ja gar nicht. Ich habe etwas gefunden, was mir Befriedigung gewährt. — Mark, du gehst auch nach Palästina. So viele von den Offizieren hier werden jetzt nach Palästina versetzt.« »Es gibt Krieg, Kitty.«
»Krieg? Aber warum denn? Das verstehe ich nicht.«
»Oh, aus allen möglichen Gründen. Es gibt überall auf der Welt eine Menge Leute, die entschlossen sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Kolonien kommen in unserer Zeit aus der Mode. Die Engländer reiten einen toten Gaul. Das da, das ist der Soldat des neuen Weltreichs«, sagte Mark und zog eine Dollarnote aus der Tasche. »Wir haben Millionen dieser grünen Soldaten in Marsch gesetzt, überallhin, in jeden Winkel der Welt. Es ist die größte Armee, die es je gegeben hat, und sie erobert die Welt ohne Blutvergießen. Aber Palästina — da liegen die Dinge wieder anders. Das ist eine Sache, Kitty, die fast etwas Erschreckendes hat. Da gibt es Leute, die ernstlich entschlossen sind, eine Nation wiedererstehen zu lassen, die seit zweitausend Jahren tot ist. So etwas hat es noch nie gegeben. Und das Tollste ist — ich glaube, sie werden es schaffen. Die Leute, von denen ich spreche, sind die Juden, die du nicht leiden kannst.«
»Das habe ich nicht gesagt«., widersprach Kitty, »daß ich die Juden nicht leiden könnte.«
»Ich möchte jetzt nicht mit dir streiten. Aber denk doch mal scharf nach, Liebling — hast du in der Zeit, seit du hier in Zypern bist, irgend etwas gehört oder gesehen, das vielleicht, sagen wir mal, auffällig oder ungewöhnlich zu nennen wäre?«
Kitty biß sich nachdenklich auf die Unterlippe und holte tief Luft. »Nein«, sagte sie dann, »nur die Flüchtlingslager. Wie ich höre, sind sie überfüllt und in jämmerlichem Zustand. Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht. Ich hab' halt nur so eine Ahnung, daß hier auf Zypern irgendwas los ist, irgendeine ganz dicke Sache.«
»Warum sagst du nicht lieber, daß du einfach von Beruf neugierig bist?«
»Nein, das allein ist es nicht. Kennst du einen Major Caldwell? Er ist der Adjutant von Brigadier Sutherland.«
»Ja, ein schrecklich langweiliger Kerl. Ich habe ihn beim Gouverneur kennengelernt.«
»Er suchte mich im Hotel in meinem Zimmer auf, kurz bevor du kamst. Warum sollte mir der Adjutant eines Generals zehn Minuten nach meiner Ankunft auf die Bude rücken wegen einer Sache, die anscheinend ganz belanglos ist? Nein, Kitty, glaube mir, die Engländer sind wegen irgendeiner Sache hier nervös. Ich kann es nicht beweisen, aber ich gehe jede Wette ein, daß es mit diesen Flüchtlingslagern zusammenhängt. Sag mal — könntest du nicht ein paar Wochen in diesen Lagern arbeiten, mir zuliebe?«
»Natürlich, Mark, wenn du das möchtest.«
»Ach, hol's der Teufel!« sagte Mark und stellte das Glas aus der Hand. »Wir sind im Urlaub. Du hast ganz recht, ich bin neugierig und mißtrauisch von Beruf. Denk nicht mehr dran, tanzen wir lieber.«
VI.
An der Arsinos-Straße in Famagusta, gegenüber der alten Stadtmauer, lag das große und prächtige Haus eines griechischen Zyprers namens Mandria, dem die Zyprisch-Mittelmeerische Schiffahrtsgesellschaft gehörte und außerdem die meisten Taxen der Insel. In einem Raum dieses Hauses warteten Mandria und David ben Ami voll ungeduldiger Spannung auf Ari ben Kanaan, der seine nassen Kleider wechselte.
Beiden war klar, daß das Auftauchen Ari ben Kanaans in Zypern auf einen besonders wichtigen Auftrag der illegalen Organisation Mossad Aliyah Bet hinwies. Seit vielen Jahren ging die Politik der Engländer dahin, die jüdische Einwanderung nach Palästina zu verhindern oder auf ein Mindestmaß zu beschränken. Zum Vollzug dieser Politik hatte man die Royal Navy eingesetzt. Mossad Aliyah Bet war eine Organisation der in Palästina ansässigen Juden, deren Aufgabe es war, andere Juden heimlich nach Palästina zu schmuggeln. Jedesmal aber, wenn die englische Flotte eines der Mossad-Schiffe aufbrachte, das die Blockade zu durchbrechen versuchte, wurden die illegalen Einwanderer in die Internierungslager auf Zypern überführt.
Ari ben Kanaan, der sich inzwischen umgezogen hatte, betrat den Raum und nickte Mandria und David ben Ami zu. Ben Kanaan war ein stattlicher, kräftig gebauter Mann von gut über ein Meter achtzig. Er und Ben Ami waren seit langem gute Freunde; doch im Beisein von Mandria, dem Zyprer, der kein Mitglied ihrer Organisation war, sondern mit ihr nur sympathisierte, gaben sie das nicht zu erkennen. Ari steckte sich eine Zigarette an und kam ohne Umschweife zur Sache. »Die Zentrale hat mich hierhergeschickt mit dem Auftrag, eine Massenflucht aus den Lagern zu organisieren. Die Gründe dafür sind uns wohl allen klar. Was ist deine Meinung dazu, David?«
Der junge Mann mit dem schmalen Gesicht ging nachdenklich hin und her. Er war schon vor Monaten nach Zypern gekommen, im Auftrag der geheimen Armee der Juden in Palästina, Palmach genannt. Er und Dutzende weiterer Palmach-Angehöriger hatten sich ohne Wissen der Engländer in die Flüchtlingslager eingeschlichen und dort Schulen eingerichtet, Lazarette und Synagogen, hatten sanitäre Anlagen gebaut und eine Kleinindustrie organisiert. Die illegalen Einwanderer, die man von Palästina nach Zypern gebracht hatte, waren Menschen ohne Hoffnung. Das Auftauchen junger Männer, die der jüdischen Armee in Palästina angehörten, gab ihnen neue Hoffnung und stärkte die Moral des Lagers. David ben Ami und die anderen Palmach-Mitglieder gaben Tausenden von Männern und Frauen in den Lagern eine militärische Ausbildung, wobei sie an Stelle von Gewehren Stöcke und als Ersatz für Handgranaten Steine verwendeten. David ben Ami war, obwohl nicht älter als zweiundzwanzig, der Palmach-Kommandeur auf Zypern. Falls die Engländer Wind davon bekommen hatten, daß sich Leute aus Palästina in die Lager eingeschlichen hatten, ließen sie sich jedenfalls nichts davon anmerken. Denn sie hatten kein Verlangen danach, sich in das Innere der von Haß erfüllten Lager zu begeben, und beschränkten sich darauf, sie von außen zu bewachen.