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»Etwas mitgegeben?« sagte Ari und strich sich das Kinn, als müßte er überlegen. »Warte mal —.«

»Komm, Ari — es ist Monate her, seit ich einen Brief bekommen habe —.«

Ari seufzte und holte einen Brief aus der Tasche, den David ihm aus der Hand riß. »Ich habe ihn in einen Gummibeutel gesteckt.

Als ich heute abend an Land schwamm, war mein einziger Gedanke, daß du mir den Kopf abreißt, wenn dein blöder Brief naß wird.«

Doch David hörte nicht zu. Er hielt sich in dem dämmrigen Licht den Brief dicht vor die Augen und las langsam die Worte einer Frau, die Sehnsucht nach dem hatte, den sie liebte. Dann faltete er den Brief vorsichtig zusammen und verwahrte ihn sorgsam in seiner Brusttasche, um ihn später wieder und wieder zu lesen. Denn bis zum nächsten Brief konnten Monate vergehen. »Wie geht es ihr?« fragte er.

»Ich verstehe nicht, was meine Schwester eigentlich an dir hat. Jordana? Die ist unverändert. Sie ist wild und schön, und sie liebt dich sehr.« »Und meine Eltern — meine Brüder — unsere Palmach-Gruppe — was macht —.«

»Sachte, sachte. Ich bleibe ein Weilchen hier. Immer eins nach dem andern.«

David holte den Brief wieder heraus und las ihn noch einmal, und die beiden Männer schwiegen. Sie starrten durch die Scheiben der Balkontür auf die alte Stadtmauer jenseits der Straße. »Wie sieht es aus bei uns zu Hause?« fragte David mit leiser Stimme. »Bei uns? Wie immer. Es wird geschossen, und es fallen Bomben. Genau, wie es Tag für Tag gewesen ist, seit wir Kinder waren. Es bleibt immer dasselbe. Jedes Jahr nähern wir uns einer Krise, die mit Sicherheit das Ende bedeutet — und dann bewegen wir uns auf die nächste Krise zu, die noch bedrohlicher ist als die letzte. Nein«, sagte Ari, »bei uns zu Haus ist alles beim alten. Nur — diesmal wird es Krieg geben.« Er legte dem kleineren David, seinem Freund, die Hand auf die Schulter. »Wir alle sind verdammt stolz auf das, was du in den Internierungslagern geleistet hast.«

»Ich habe mich bemüht, alles zu erreichen, was möglich ist, wenn man versucht, Soldaten mit Besenstielen auszubilden. Palästina ist für diese Leute unerreichbar fern. Sie haben keine Hoffnung mehr.

— Ari, ich möchte dich bitten, kein Mißtrauen mehr gegen Mandria zu hegen. Er ist ein großartiger Mann und wirklich unser Freund.« »Ich vertrage es nun einmal nicht, David, wenn Leute meinen, sie müßten uns beschützen.«

»Wir könnten unsere Arbeit hier nicht leisten ohne ihn und die Hilfe der Griechen.«

»Fall bitte nicht auf die Mandrias herein, die es überall auf der Welt gibt. Sie weinen blutige Tränen über die Millionen von uns, die man umgebracht hat, doch wenn es ernst wird, dann werden wir allein sein. Mandria wird uns genauso im Stich lassen wie alle andern. Wir werden verraten und verkauft sein, wie wir es stets gewesen sind. Wir haben keinerlei Freunde außer unseren eigenen Leuten, vergiß das nicht.«

»Und du irrst dich doch«, gab David heftig zurück.

»David, David, David. Ich bin schon so lange beim Palmach und Mossad-Mitglied, daß ich die Jahre nicht mehr zählen mag. Du bist noch jung. Das hier ist dein erster großer Auftrag. Laß dir den Verstand nicht durch dein Gefühl verdunkeln.«

»Ich will aber, daß das Gefühl meinen Verstand verdunkelt«, antwortete David. »Mein Inneres brennt jedesmal, wenn ich so etwas wie diese Wagenkolonne sehe. Unsere Leute, Menschen unseres Volkes, eingesperrt wie Tiere im Käfig!«

»Wir versuchen es mit den verschiedensten Methoden«, sagte Ari, »und wir müssen dabei einen klaren Kopf behalten. Manchmal haben wir Erfolg, und manchmal mißlingt er uns. Hauptsache, daß man immer klar und nüchtern bleibt.«

Noch immer war aus der Ferne das Geräusch der Sirenen zu hören. David zündete sich eine Zigarette an und sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin. »Ich darf nie den Glauben daran verlieren«, sagte er feierlich, »daß ich an dem neuen Abschnitt einer Geschichte mitschreibe, deren Anfang über viertausend Jahre zurückliegt.« Er drehte sich um und sah aufgeregt nach oben in das Gesicht des Größeren.

»Ari, denken wir zum Beispiel an die Stelle, wo du heute abend an Land gekommen bist. Einstmals stand dort die Stadt Salamis. Und dieses Salamis war es, von wo die Erhebung ausging, deren Führer Bar Kochba war. Er vertrieb die Römer aus unserem Land und stellte das jüdische Königreich wieder her. Es gibt da in der Nähe der Internierungslager eine Brücke — die heißt die Judenbrücke. Sie heißt seit zweitausend Jahren so. An diese Dinge muß ich immer denken. Genau an derselben Stelle, an der wir einst gegen das römische Imperium gekämpft haben, kämpfen wir jetzt, zweitausend Jahre später, gegen das Britische Empire.«

Ari Ben Kanaan, der David um Haupteslänge überragte, sah lächelnd zu dem jüngeren Mann hinunter, wie ein Vater, der milde über die allzugroße Begeisterung seines Sohnes lächelt. »Erzähl die Geschichte bis zu Ende. Nach dem Aufstand des Bar Kochba kamen die römischen Legionen in unser Land zurück, nahmen eine Stadt nach der andern ein und metzelten die Bevölkerung nieder. In der Entscheidungsschlacht von Bejtar vereinigte sich das Blut der hingemordeten Frauen und Kinder zu einem roten Strom, der eine Meile weit floß. Akiba, einem der Heerführer, wurde bei lebendigem Leibe die Haut heruntergezogen, und Bar Kochba wurde in Ketten nach Rom gebracht, um dort in der Löwengrube zu sterben. Oder war es Bar Giora, der bei einem anderen Aufstand in der Löwengrube starb? Es ist möglich, daß ich diese vielen Erhebungen durcheinanderbringe. O ja, die Bibel und unsere Geschichte sind voll von wunderbaren Erzählungen und gern geglaubten Wundern. Doch unser Heute, das ist kein Wunder, sondern Wirklichkeit. Wir haben keinen Josua, der die Sonne stillstehen und die Mauern einstürzen lassen kann. Die britischen Tanks werden nicht im Schlamm steckenbleiben wie die Wagen der Kanaaniter, und das Meer hat sich nicht über der englischen Flotte geschlossen wie damals über dem Heer des Pharao. Die Zeiten der Wunder sind vorbei, David.«

»Nein, sie sind nicht vorbei! Allein die Tatsache unserer Existenz ist ein Wunder. Wir haben die Römer überlebt, die Griechen und sogar Hitler. Wir haben jeden überlebt, der uns unterdrücken wollte, und wir werden auch das Britische Empire überleben. Das ist ein Wunder, Ari.«

»Also, David — das eine weiß ich jedenfalls mit Sicherheit: Wie man mit Worten streitet und recht behält, darauf verstehen wir Juden uns. Und jetzt wollen wir ein bißchen schlafen.«

VII.

»Sie sind am Zug, Sir«, wiederholte Fred Caldwell.

»Ja, ja — entschuldigen Sie.« Brigadier Sutherland studierte die Stellung der Figuren und rückte einen Bauern vor. Caldwell zog den Springer, und Sutherland wehrte ab, indem er gleichfalls einen Springer zog. Der Brigadier stellte fest, daß seine Pfeife ausgegangen war, fluchte und steckte sie wieder an.

Die beiden Männer blickten auf, als sie das leise, aber anhaltende Sirenengeheul hörten. Sutherland sah auf die Uhr an der Wand. Das mußten die illegalen Einwanderer von dem Schiff Tor der Hoffnung sein.

»Tor der Hoffnung!« sagte Caldwell höhnisch. »Zions Zinnen, Gelobtes Land, Stern Davids — tolle Namen haben diese Blockadebrecher, das muß ich schon sagen.«

Sutherland legte die Stirn in Falten. Er versuchte, den nächsten Zug auszuklügeln, doch die Sirenen gingen ihm nicht aus den Ohren. Er starrte auf die elfenbeinernen Schachfiguren, doch was er vor sich sah, das war eine Kolonne von Lastwagen, angstverzerrte Gesichter, Maschinengewehre, Panzerwagen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Caldwell, dann möchte ich mich jetzt lieber zurückziehen.«

»Fehlt Ihnen irgend etwas, Sir?«

»Nein«, sagte der Brigadier. »Gute Nacht.« Er ging mit raschen Schritten hinaus, machte die Tür seines Schlafzimmers hinter sich zu und lockerte seine Jacke. Das Heulen der Sirenen schien ihm unerträglich laut. Er machte hastig das Fenster zu, um das Geräusch nicht mehr hören zu müssen. Doch er hörte es noch immer.