Выбрать главу

»Wer ist diese >sie<, von der du da sprichst?«

»Roberta Goodhue. Sie ist das Mädchen, das Ralph heiraten wollte.«

Verzweifelt, intuitiv sagte Doris sofort: »Vielleicht hat sie es getan. Vielleicht wollte er nichts mehr von ihr wissen.« »Genau daran habe ich auch gedacht«, erwiderte Brade. »Ich habe an viele Möglichkeiten gedacht.« Er legte das Manuskriptblatt, das er gerade in der Hand hielt, auf den Tisch. »Hör mal zu, Doris.«

»Ja?«

»Wir gehen das mal gemeinsam durch. Warum soll ich es allein mit mir herumtragen? Vielleicht fällt dir etwas auf, das mir entgangen ist. Herrgott, vielleicht siehst du einen Ausweg.« Doris neigte den Kopf über ihre unberührte Strickarbeit. »Na schön. Wenn du darüber reden musst, dann rede.«

»Ich dachte, ich könnte alles schriftlich machen. Das war mein erster Gedanke. Eine Liste aufstellen. System hineinbringen. Aber dann sagte ich mir: Was, wenn nun jemand den Zettel findet, die Schnitzel im Papierkorb oder Asche, und sich fragt, was ich da wohl verbrannt habe. Mit dieser Unsicherheit quäle ich mich jetzt herum. Es ist einfach -einfach unerträglich.«

Er fuhr fort: »Zunächst einmal - wenn wir von Mord ausgehen, müssen wir uns überlegen, wer es gewesen sein kann. Ich habe dir gestern abend gesagt, es müsste jemand gewesen sein, der chemische Kenntnisse besitzt und über Ralphs Experimente Bescheid wusste. Das macht mich zum Hauptverdächtigen, aber wenn wir mich einmal aus dem Spiel lassen, wer kommt dann in Frage? Es gibt jemanden, der Zugang zu Ralphs Labor hatte und auch Gelegenheit hatte, Ralph bei seiner Arbeit zu beobachten.« »Wer?«

»Gregory Simpson, Ralphs Laborpartner. Er sagt, Ralph hätte nie ein Wort mit ihm gesprochen, und vielleicht stimmt das, aber er konnte trotzdem Ralph bei der Arbeit beobachten. Er konnte sehen, wie Ralph Kolben mit Acetat vorbereitete und sie dann in seinem Schrank verwahrte.

Eine so gute Gelegenheit hatte sonst niemand, aber andere, Charlie Emmett oder irgendeiner der Studenten oder auch Cap Anson, wenn man so will, die dort in der Nähe zu tun hatten, hätten die gleiche Beobachtung machen können. Theoretisch ist es auch möglich, dass jemand in Ralphs Labor gegangen ist, als er nicht da war, und seine Notizbücher durchgelesen und dabei so viel erfahren hat, dass er den Mord planen konnte. Wie gesagt, das ist alles möglich, aber wenig wahrscheinlich. Was die Mordmethode angeht, gerate ich unbedingt in den stärksten Verdacht. An zweiter Stelle, aber mit großem Abstand, steht Simpson. Die anderen auf dem Flur kommen erst lange danach in Betracht. Alle übrigen scheiden praktisch aus.«

»Warum sagst du, Simpson komme erst mit großem Abstand?« fragte Doris. »Mir scheint, er hatte die gleichen Möglichkeiten wie du.«

»Er ist erst zweiundzwanzig, und er hat kein Tatmotiv.«

»Du kennst keines, aber du bist nicht allwissend. In deinem Fall gibt es

übrigens auch kein Motiv.«

»In diesem Zusammenhang gibt es noch etwas, das mir Sorgen macht. Jetzt, wo er tot ist und ich ein bisschen herumgefragt habe.« Doris zog sofort die Brauen zusammen. »Warum hast du herumgefragt, Lou? Das ist das Schlimmste, was du tun konntest.« »Ich war sehr vorsichtig. Und die Leute haben mir auch von selbst erzählt, ohne dass ich Fragen stellen musste. Jedenfalls - Ralph hat mich offenbar nicht gemocht oder gefürchtet - oder beides zusammen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher.«

»Warum sollte er dich nicht gemocht haben?«

»Er konnte, wie es scheint, kaum einen Menschen leiden. Ich weiß nicht, was er gegen mich hatte oder warum er sich vor mir hätte fürchten sollen. Das ist auch gleichgültig. Welches auch immer der Grund war, die Polizei könnte daraus ein Tatmotiv konstruieren. Sie könnte sagen, ich hätte sehr viel für den jungen Mann getan oder mir das zumindest eingebildet, und er hätte darauf mit Undankbarkeit reagiert. Also hätte ich ihn in einem Wutanfall umgebracht.« »Das ist doch verrückt.«

»Vielleicht glaubt die Polizei, ich bin verrückt. Ich habe bisweilen die Beherrschung verloren. Es ist bekannt, dass ich meine Studenten schon mal anbrülle, wenn sie sich ganz besonders dumm anstellen. Ich hätte Ralph ganz schön zusammengestaucht, wenn das mit dem Zyanid ein Unglücksfall gewesen - und er mit dem Leben davongekommen wäre. Man weiß, dass ich wütend werden kann.«

»Das kann jeder werden«, sagte Doris. »Es muss doch jemand mit einem besseren Motiv geben als dem, dass er ab und zu mal wütend wird.«

»Diese Person gibt es auch. Jean Makris.« »Ach! Wieso?« Brade erklärte es ihr.

»Da scheinst du ja an der Universität ein kleines Liebesnest zu haben«, sagte Doris.

Brade zuckte die Achseln. »Sieht so aus, wie? Jedenfalls - Jean Makris hatte ein Tatmotiv, aber ihr fehlen die elementaren Kenntnisse.« »Wieviel muss man schon wissen, um zwei Pulver zu vertauschen!« »Es ist nicht nur das Wissen, es ist auch das Selbstvertrauen. Ich könnte mir denken, dass sich ein chemischer Laie scheut, mit Zyanid umzugehen; dass er fürchtet, das Gift könnte ihm durch die Fingerspitzen dringen. Roberta dagegen besaß sowohl ein Motiv wie die nötigen Kenntnisse, wenn sie sich von Ralph verlassen fühlte. Wir haben jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass er sie verlassen wollte.

Natürlich mag es Motive geben, die wir nicht kennen, da hast du recht. Ranke hatte eine heftige Abneigung gegen Ralph. Die Frage ist nur: kann sie zu einem Mord geführt haben? War an diesem Streit zwischen ihm und Ralph mehr dran, als wir wissen? Foster hat ihm nur die Note C gegeben. War das etwas, wovon wir nichts erfahren haben?« Doris hatte zu stricken begonnen. Sie sagte: »Um das Tatmotiv würde ich mich an deiner Stelle nicht kümmern. Keiner hat ihn gemocht. Wenn du genau hinsiehst, wirst du bei vielen ein Motiv finden.« »Ja, aber auch eins, das zur Tat ausgereicht hätte? Du lieber Gott, wenn wir alle Leute umbrächten, die wir nicht leiden können, dann wäre die Erde aber bald entvölkert. Nein, so geringfügige Gründe dürfen wir nicht in Betracht ziehen.«

»Unsinn«, sagte Doris. »Du darfst Verdächtige nicht so leicht von der Liste streichen, sonst bist du zum Schluss der einzige, der noch übrigbleibt. Die meisten Morde werden wahrscheinlich aus geringfügigen Motiven begangen.« »Na ja.«

»Lou, ich weiß, was ich sage.« Sie zog an der Wolle und strickte jetzt sehr schnell. »Du hättest zu der Liste derjenigen, die Ralph Neufeld nicht leiden konnten, noch eine Person hinzufügen können; eine Person mit einer geringfügigen Abneigung gegen Ralph Neufeld wegen eines geringfügigen Vorfalls, die ihn dennoch deswegen mit Freuden hätte umbringen können.«

Brade sah sie entgeistert an. »Wer soll denn das sein?« Doris riss wild an der Wolle, die sich verfangen hatte. »Ich.«

10

Natürlich hätte Brade im ersten Augenblick am liebsten gelacht, aber er unterließ es und beschränkte sich auf ein ungläubiges, explosives »Du?«

Doris entgegnete sofort: »Lach nicht, ich meine es ernst.« »Ich lache nicht, und du kannst es unmöglich ernst meinen.« »Du erinnerst dich, dass Ralph an Weihnachten letztes Jahr hier war, ja?«

»Zusammen mit den anderen Studenten, ja«, sagte er. »Wir hatten sie ja alle eingeladen. Damals ging deine Vase kaputt.«

»So, daran erinnerst du dich noch? Dann weißt du vielleicht auch noch wie?«

Brade zuckte die Achseln. »Ralph hat sie zerbrochen.« Das war halb geraten, denn es war die Antwort, die in den Zusammenhang des Gesprächs passte.

Doris blickte ihn düster an, als übertrüge sie die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis auf ihn. »Es war die Art, wie er sie zerbrochen hat. Und es war meine eigene Vase. Ich hatte sie in meiner Keramikklasse selbst gemacht.«

»Ich weiß, Doris.«

»Es war der einzige hübsche Gegenstand, der mir damals gelungen ist. Die Form war genau richtig, und die Farben waren richtig glasiert, und sie war mein. Ich hatte sie nicht gekauft, ich hatte sie selbst gemacht.« Sie hatte wieder aufgehört zu stricken. »Und ich hatte sie ihnen gezeigt und davon erzählt. Ich hatte ihnen meine Initialen daran gezeigt.« »Ja, ich erinnere mich«, sagte Brade, der sich nicht recht getraute, seine Ungeduld zu zeigen. Diese Vase war fast ein Jahr im Hause gewesen; immer wenn Besuch kam, war die Rede auf sie gekommen. Doris hatte sich immer ein wenig geziert und sich über die leichte Asymmetrie der Vase lustig gemacht, aber sie war doch ungeheuer stolz auf ihr »Kunstwerk« gewesen, gerade weil sie zu den im Grunde nicht schöpferischen Menschen gehörte. »Ralph Neufeld stand neben diesem Tisch dort.« Sie deutete auf das Tischchen neben dem breiten Lehnsessel. Jetzt stand nichts mehr darauf, und Brade wurde sich bewusst, dass das Deuten eine Geste der Trauer war. »Er stand da, und sein Ellenbogen bewegte sich ein kleines bisschen, und hinunter fiel sie und ging in tausend Stücke.« Sie starrte auf die Stelle auf dem Fußboden. »Tagelang habe ich versucht, sie wieder zusammenzusetzen und zu leimen. Es ging nicht. Es waren einfach zu viele Stücke.«