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Brade ging Littleby aus dem Wege, während er dem andern Ende des Raumes zusteuerte, und der Leiter des Chemischen Instituts mochte ihn gesehen haben oder auch nicht. Brade hielt letzteres für wahrscheinlicher. Hätte Littleby ihn gesehen, hätte sich auch unter den derzeitigen Umständen bei ihm gewiss die Reflexreaktion eines mechanischen Lächelns gezeigt.

Brade stand nun ganz in der Nähe von Otto Ranke; er tat so, als geselle er sich zu der kleinen Gruppe, die sich um ihn gebildet hatte. Er sah sich noch rasch um: Foster war ihm nicht gefolgt. Gut! Er war einfach nicht in der Stimmung, sich von dem Mann bemitleiden zu lassen, der schließlich von der ganzen Sache profitieren würde. Es war offensichtlich, dass der assistierende Professor Merrill Foster seinen Nutzen aus der Angelegenheit ziehen würde. Er war im Begriff, sich sehr schnell einen Namen zu machen, und er war kämpferischer veranlagt als Brade und würde rücksichtsloser als er auf die Position des außerordentlichen Professors hinarbeiten. Das einzige Hindernis auf seinem Wege war Brade. Littleby mochte zögern (oder so tun, als zögere er), einen jüngeren Kollegen dem älteren vorzuziehen. Aber wenn Brade als Hindernis ausschied, würde Fosters Beförderung nicht lange auf sich warten lassen.

Brade erschauerte. Die Universität war kein stiller Zufluchtsort. Der Dschungel der Welt machte an ihren heiligen Mauem nicht halt. Diese trennten nur den einen Dschungel vom andern, und es fragte sich, wo es schlimmer zuging.

Sicherheit? Brade sah, dass Doris mit der jungen Mrs. Gennaro sprach. Plötzlich wurde er sich deutlicher der entrüsteten Stimme Rankes bewusst. Der Physikochemiker sprach recht hitzig auf seine Zuhörerschaft ein. »Was ist Krebs schließlich?« sagte er. »Eine Krankheit. Aber was ist eine Krankheit? Es gab einmal eine Zeit, da glaubten die Gelehrten, Krankheiten seien die Folge eines fehlenden Gleichgewichts zwischen den Säften im Körper. Als Pasteur behauptete, sie seien durch parasitische Mikroorganismen verursacht, da wurde er ausgelacht und verspottet, aber er behielt schließlich recht, mit gewissen Einschränkungen. Und vergessen Sie nicht! Der Mann war kein Mediziner, sondern Chemiker. Die Ärzte lachten, und erst die Unerbittlichkeit der Tatsachen ließ sie die Wahrheit erkennen. Jetzt denken die Mediziner bei Krankheiten nur an Keime und Viren, und es wird Zeit, dass man sie an der Nase packt und ihnen eine neue Wahrheit zeigt. Wir wissen bereits, dass Krankheiten nicht nur durch das Vorhandensein von Bakterien, sondern auch durch das Fehlen von bestimmten chemischen Verbindungen verursacht werden können. Durch das Fehlen eines Nahrungsfaktors - Vitamine, besondere Aminosäuren, Spurenelemente - oder das angeborene oder erworbene Fehlen eines Hormons oder Enzyms werden Stoffwechselkrankheiten ausgelöst, die jetzt um so größere Bedeutung erlangen, als wir so viele Infektionskrankheiten inzwischen unter Kontrolle haben.

Es ist wirklich Zeit für eine neue Verallgemeinerung. Alle Krankheiten sind auf die Veränderung des Proteinmoleküls zurückzuführen. An der Veränderung mag die fehlerhafte Reproduktion eines Proteins schuld sein, dann haben wir es mit einer Mutation zu tun. Sie kann dem Organismus durch das Fehlen eines wesentlichen Bauelements aufgezwungen sein. Ein anderer Organismus mag in den Körper eindringen und modifizierte Proteine bilden, wie das die Viren tun, oder Toxine produzieren, die Proteine verändern, wie das bei den Bakterien der Fall ist.

Wir müssen vom genetischen Code her eingreifen. Alles Leben ist Nukleoprotein, und Krankheit ist inadäquates Nukleoprotein. Um mit den Nukleoproteinen fertig zu werden, können wir uns nicht auf Biochemiker verlassen. Sie wissen dazu nicht genug, und die Mediziner können da auch nichts machen. Die Proteine müssen mit physikochemischen Methoden untersucht werden von Leuten, die in der Disziplin der physikalischen Chemie ausgebildet sind, und zwar in einer ganz modernen physikalischen Chemie.

Nun habe ich beim Gesundheitsministerium einen Forschungszuschuss zur eingehenden Untersuchung von Proteinen beantragt. Ich brauchte 500000 Dollar. Eine beträchtliche Summe, das gebe ich zu, aber es handelte sich ja auch um eine sehr wichtige und umfangreiche Untersuchung. Die Leute dort bezweifeln das; es müsste auch mit 5oooo Dollar gehen, meinen sie. Und warum? Weil der Forschungszuschuss die Nützlichkeit der Untersuchungen in Verbindung mit der Ätiologie des Krebses hervorhebt. Das bedeutet automatisch, dass die Sache den Pathologen vorgelegt wird.

Und was verstehen die Pathologen schon von Krebs, das möchte ich gern wissen. Was haben die schon -«

Brade löste sich von der kleinen Gruppe. Das Ziel mochte ein anderes sein, aber die Attitüde war die gleiche: die eines Industriellen, der nach staatlichen Subventionen Ausschau hält, ehe er ein Unternehmen vergrößert.

Er zuckte fast zusammen, als ihn plötzlich jemand an der Schulter berührte. Er drehte sich um. Es war Foster; er machte ein eher ernstes Gesicht.

Brade zwang sich zu einem Lachen. »Ihre Stimme klingt ja direkt unheilverkündend. Ist es etwas Schlimmes?«

»Ich weiß nicht, wie man's nennen soll. Ich dachte mir nur, es ist besser, Sie erfahren es.« Er sah sich vorsichtig um, aber es blickte gerade niemand zu ihnen hin, und er packte Brade noch fester am Arm und sprach noch leiser. »Es handelt sich um Ralph Neufeld.« »Um Ralph?«

»Psst- leise. Es schleicht da offenbar ein Detektiv oder so jemand herum und stellt Fragen. Doheny heißt der Mann. So ein kleiner Dicker.« »Wozu denn das?«

»Keine Ahnung. Mit mir hat er nicht gesprochen. Aber bei einem meiner Studenten hat er sich erkundigt, und ich habe davon erfahren. Der junge Mann hat den Eindruck gewonnen, dass Doheny Ralphs Tod nicht auf einen Unglücksfall zurückführt.«

13

Brade starrte Foster an. Er war völlig aus der Fassung gebracht. Foster murmelte etwas beklommen: »Ich dachte einfach, es ist besser, Sie erfahren davon.«

Brade musste innerlich umschalten. Seit Stunden war er darauf gefasst gewesen, von Foster gewissermaßen seine bevorstehende Entlassung bestätigt zu bekommen. Mit dieser Nachricht hatte er nicht gerechnet. Er versuchte einen unbekümmerten Ton anzuschlagen. »Was sollte denn außer einem Unglücksfall in Frage kommen?« »Ja, wissen Sie«, meinte Foster, »ein bisschen merkwürdig, finde ich, sieht die Sache ja aus. Man muss schon ein Anfänger sein, um Zyanid mit Acetat zu verwechseln. Und Neufeld war kein Anfänger.« »Sagt das der Detektiv?«

»Lou, ich weiß nicht, was der Detektiv sagt. Aber er hat mit diesem einen Studenten von mir gesprochen und ihn gefragt, ob Ralph niedergeschlagen gewesen sei, wie er mit der Arbeit vorangekommen sei, ob er einmal etwas von Schwierigkeiten oder so gesagt habe.«

Mrs. Littleby trat mit einem Tablett voller Cocktails auf sie zu. Foster lehnte etwas gepresst lächelnd mit einem Kopfschütteln ab, aber Brade griff nach einem Glas und trank einen Schluck, wobei er Foster nicht aus den Augen ließ.

»Was wollen Sie damit sagen, Merrill?« »Ich glaube, die Polizei vermutet Selbstmord.«

Brade hatte mit dem Wort gerechnet, trotzdem traf es ihn wie ein Schock. »Warum Selbstmord?« fragte er. »Warum nicht?«

»Seine Arbeit machte gute Fortschritte.«

»Und wenn schon - was wissen Sie von seinem Privatleben?« »Kennen Sie einen Umstand, der auf Selbstmord hindeutet?« Brade hatte nicht in heftigem Ton sprechen wollen, aber der Druck der Ereignisse lastete zu stark auf ihm und beeinträchtigte seine Selbstbeherrschung. Foster reagierte sofort. Er zog feindselig die Augenbrauen zusammen. »Lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich wollte Ihnen nur einen Gefallen tun und Sie warnen. Wenn Sie sich deswegen aufregen, dann entschuldigen Sie - ich will nichts gesagt haben.«