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Unmöglich! Das war alles unmöglich! Kinsky war an dem Tag, als Ralph starb, in der Stadt gewesen; aber wie konnte er den Mord inszeniert haben, ohne die Einzelheiten von Ralphs Experimenten zu kennen? Brade fasste sich mit seinen kalten Händen an die heiße Stirn. Nein, es war seine Eifersucht auf Kinsky, die diese Überlegungen fabrizierte, nicht sein Verstand.

Wie konnte ein Chemiker, wenn er nicht unter einer Psychose litt, die Hoffnung hegen, mit einem Mord die Wahrheit zu unterdrücken, w0 sie doch jederzeit von einem anderen wiederentdeckt werden konnte? Aber jeder konnte unter einer Psychose leiden.

Und was, wenn die Sache mit Ralphs Tod nichts zu tun hatte? Zwei Mörder auf einmal? Unmöglicher Zufall? Aber konnte jemand einen Groll gegen ihn, Brade, unabhängig von dem Problem Ralph haben? Schon möglich - erst am Samstag hatte er Foster beleidigt - und Ranke. Tödlich beleidigt?

Er erinnerte sich der ungewöhnlichen Freundlichkeit Rankes vorhin auf der Treppe, und es überlief ihn dabei. War das nur die gönnerhafte Freundlichkeit gewesen, die ein Mörder dem Opfer erwies, das s0 gut wie tot und keinen Schuss Adrenalin mehr wert war? Oder Littleby? Brade hatte auch Littleby auf den Schlips getreten, und der Mitteilungszettel heute morgen mochte auch s0 eine gönnerhafte Geste sein. Hör auf, Brade!

Auf jeden Fall musste Doheny von der Sache erfahren, denn in diesem Falle konnte Professor Louis Brade nun ganz gewiss nicht der Schuldige sein, und wenn man nicht von zwei Mördern ausgehen wollte, hieß dies, dass er auch in Ralphs Fall unschuldig war.

Er griff zum Telefon und wählte. Eine nüchtern klingende Stimme meldete sich: »Polizeirevier neun - Martinelli am Apparat.« Brade sagte mit betont ruhiger Stimme: »Ich möchte gern einen Beamten namens Jack Doheny sprechen. Wann erwarten Sie ihn zurück? Aha, gut. Nein, nein, es müsste schon er selbst sein. Nein, s0 dringend ist es nicht. Sagen Sie ihm, ich hätte angerufen. Mein Name ist Brade, Professor Louis Brade. Er kennt mich. Sagen Sie ihm, ich müsste ihn s0 bald wie möglich sprechen. Meine Nummer ist Universität 2-1000, Apparat 125. Vielen Dank.«

Er legte auf und starrte das Telefon lange an. Dann bekam er doch Hunger.

Er holte sich unten ein belegtes Brötchen, das er mit auf sein Zimmer nahm. Er ging schnell. Er wollte niemandem begegnen. Er war nicht begierig, mit jemandem zusammenzutreffen, der vorhatte, sein Mörder zu werden.

Hier oben, hinter verschlossenen Türen, hatte der Tod auf ihn gewartet. Er trank den noch viel zu heißen Kaffee und merkte erst nachher, dass er vergessen hatte, sich Milch zu nehmen.

Dann ging es auf ein Uhr, und er dachte: Ich gehe ins Labor. Er schloss die Tür hinter sich ab, drückte zur Vorsicht mehrmals die Klinke herunter und ging den Flur entlang zum Studentenlabor. Charlie Emmett traf die letzten Vorbereitungen zur Demonstration der Semicarbazonbildung unter Druck. Das hieß, dass Emmett in etwa fünfzehn Minuten eine Glas-»Bombe« herstellen würde, wobei er die dicken Wände durch langsames Drehen in einer Flamme mit einer Siegelstelle verschloss, der kein Makel anhaften durfte, denn sie musste die mehrere Atmosphären Druck der erhitzten Dämpfe aushalten können, wenn die Reaktionsmischung in der Bombe erhitzt wurde.

Brade war immer sehr besorgt bei solchen Demonstrationen. Die Möglichkeit eines Unfalls war stets gegeben, aber den Studenten musste das Experiment gezeigt werden.

Emmett war natürlich der richtige Mann dafür. Brade sah ihm nicht zum erstenmal beim Herstellen einer Bombenröhre zu. Ruhige Augen beobachteten die ruhige Flamme, und ruhige Hände drehten das Verschlussende der Röhre herum, das sich zur Weißglut erhitzte. Man brauchte ruhige Hände und ein eiskaltes Herz, um Glyzerol auf die Fäden eines Sauerstoffmessers zu schmieren.

Brade schämte sich dieses Gedankens. Charlie Emmett? Der farblose Charlie Emmett? Was für ein Motiv sollte er haben? Roberta Goodhue kam heran, warf ihm ein kurzes, zuckendes Lächeln zu, ging schnell zur zweiten Experimentierbank und überprüfte die am Morgen für die Experimente des Tages dort aufgebaute Anordnung von Geräten und Chemikalien.

Brade sah auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor eins. In genau fünf Minuten würden die Studenten hereingeströmt kommen. Er dachte traurig darüber nach, dass der Lehrer durch ein halbes Dutzend Termine von Vorlesungen,. Laborübungen, Seminaren und Fakultätszusammenkünften an die Uhr gebunden war. Der Minutenzeiger rückte auf die Zwölf, und ein Student kam herein, entfaltete seine Gummischürze und streifte sich die Schleife über den Kopf. Er sagte pflichtschuldig: »Hallo, Professor Brade«, legte seine Bücher auf eine der Bänke und schlug einen von Säure verbrannten Laborleitfaden auf.

Dabei fiel ihm eine Reihe zusammengefalteter Zettel aus dem Buch, und der Student machte zuerst ein erstauntes, dann ein bestürztes Gesicht. Er ging rasch auf Emmett zu.

»Ach, Mr. Emmett, ich muss Freitag vergessen haben, meine Übungsarbeit abzugeben. Kann ich sie jetzt noch abgeben?« Er machte ein beklommenes Gesicht.

In etwas barsch-autoritärem Ton - vielleicht weil er sich der Gegenwart Brades bewusst war- sagte Emmett: »Gut, ich sehe sie mir nachher an. Aber passen Sie auf, dass das nicht noch einmal vorkommt.« Abwesend verfolgte Brade, wie der Student die Zettel hochhielt und Emmett sie entgegennahm. Jetzt kamen schnell die anderen Studenten herein. Die Zeit hatte gesprochen, die Zeit, die den Alltag eines Lehrers in kleine Stücke hackt.

Die Zeit - und was gerade geschehen war...

Es war, als wären die Studenten verschwunden, das Labor dazu, und als wäre er allein mit einem Gedanken, einem unmöglichen, schrecklichen Gedanken.

Er verließ unvermittelt das Labor. Zwei, drei Augenpaare folgten ihm erstaunt, aber er kümmerte sich nicht darum.

Er stand wieder vor dem Telefon, und er musste die Nummer in einem Buch nachschlagen.

»Es ist aber sehr wichtig«, erklärte er der energischen Stimme, die sich gemeldet hatte, »und dauert nur ein, zwei Minuten. Nein, bis drei Uhr kann ich nicht warten.«

Und das konnte er auch nicht. Er musste es jetzt wissen. Sofort. Das Warten war unerträglich, und er duckte sich innerlich bei dem Gedanken an die Peinlichkeit und Angst, die das alles bedeuten würde. Und die helle, hohe Stimme an seinem Ohr war jetzt verängstigt und bat ihn atemlos, er möchte seinen Namen nennen. Brade sprach schnell und eindringlich.

»Bestimmt?« sagte er schließlich. »War es ganz bestimmt so? Hat es sich genauso abgespielt?«

Er führte andere theoretische Möglichkeiten des Hergangs an, bis er dann aufhörte, weil er keine Hysterie erzeugen wollte. Er fragte nur noch einmaclass="underline" »So war es also ganz bestimmt?« und legte dann auf.

Jetzt wusste er es also. Er kannte das Motiv, kannte den Ablauf der Ereignisse, wusste alles.

Oder glaubte es zumindest zu wissen.

Nur dass er kein erfahrener Kriminalbeamter war. Wie beweist man eine Vermutung? Er mochte es ruhig anders formulieren. Wie beweist man eine Gewissheit?

Er saß still da und dachte nach, bis die Sonne so weit gesunken war, dass sie ihm in die Augen schien. Er stand auf und ließ die Blende herunter. In dem Augenblick klopfte es. Diesmal erkannte er die breite Gestalt durch die Milchglasscheibe der Tür hindurch und öffnete sofort. »Kommen Sie herein, Mr. Doheny.« Er schloss die Tür hinter dem Beamten wieder ab.

»Guten Tag, Professor«, sagte Doheny. »Bin etwas spät von Ihrem Anruf verständigt worden und dachte, ich komme gleich, ohne mich lange anzumelden. Ich halte Sie doch nicht von einer Vorlesung oder so ab?« »Nein.«

»Na schön. Was haben Sie denn auf dem Herzen? Ich stelle mir vor, es muss schon etwas passiert sein, wenn jemand wie Sie die Polizei anruft.«

»Ja, da können Sie recht haben.« Nachdem Doheny sich gesetzt hatte, fügte er schnell hinzu: »Man hat versucht, mich zu ermorden.« Doheny, der gerade eine Zigarre aus seiner Westentasche herausholen wollte, schien zu erstarren. Seine Augen blickten auf einmal sehr kalt. »Ach ja? Sind Sie verletzt worden?«