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»Sie wissen, wie Ralph war, Roberta. Er war äußerst misstrauisch. Er neigte immer zu der Annahme, dass andere gegen ihn waren. Das stimmt doch, ja?« »Er hatte sehr viel durchgemacht.«

»Ich verurteile ihn ja auch gar nicht, ich versuche nur eine Tatsache festzuhalten. Sie gehörten zu den ganz wenigen Menschen, denen er Vertrauen entgegenzubringen versuchte, und nun hatten Sie etwas ausspioniert und machten ihm Vorwürfe und setzten ihm zu. Sie waren gewissermaßen zu seinen Verfolgern, seinen Feinden übergegangen. Sehen Sie, worauf ich hinauswill?«

Doheny unterbrach ihn. »Hören Sie mal, wie Sie da losgehen, könnte man meinen, Sie wollten beweisen, dass Neufeld die junge Dame hier umgebracht hat. Sie lebt aber noch.« »Natürlich«, entgegnete Brade, »aber wenn Ralph in Roberta einen Feind zu erblicken begann, musste er sie ja nicht gleich töten. Er konnte sich von ihr zurückziehen und die Verlobung auflösen. Sie wäre nicht das erste Mädchen gewesen, von dem er sich trennte, und es wäre durchaus möglich, dass er vorhatte, sich auch von ihr zu trennen.« Roberta schüttelte den Kopf. »Nein.«

Brade fuhr brutal fort: »Und es wäre durchaus möglich, dass ein sitzengelassenes Mädchen auf seine Weise Rache nimmt.« »Was sagen Sie da?« rief Roberta.

»Dass Sie vielleicht Ralph getötet haben.« »Aber das ist doch Wahnsinn.«

»Glauben Sie, ein anderer hat ihn wegen der gefälschten Angaben getötet?« fragte Brade kalt. »Wer wusste denn davon? Hat einmal jemand gehört, wie Sie miteinander darüber gestritten haben?« Er war aufgestanden und beugte sich zu dem Mädchen vor. Sie wich zurück. »Nein - das heißt, ich weiß es nicht.« »Haben Sie einmal über diese Sache in seinem Labor abends laut gestritten?« »J-ja. Einmal.«

»Und wer hat das gehört? Wer ging über den Flur und hat gehört, worüber Sie redeten?«

»Niemand. Ich weiß es nicht. Niemand!«

Cap Anson schaltete sich ein. »Aber Brade, warum quälen Sie das arme Mädchen so?«

Brade überhörte den Einwurf. »Wer hat Sie gehört, Roberta?« »Ich sage Ihnen doch, niemand. Wie kann ich das wissen?« »Er vielleicht?« Und Brades Finger deutete mit einer heftigen Bewegung auf Cap Anson.

20

Cap Anson sagte zornig: »Was soll das?« Für die Dauer weniger Augenblicke erstarrte die Szene zum Tableau. Da waren Brade und sein deutender Finger, der empörte Anson, der den Stock erhoben hatte, Roberta, die den Tränen nahe war, und Doheny, der alles mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.

Brade musste den Arm sinken lassen. Er war innerlich wie entkräftet. Er hatte alles so sorgfältig inszeniert. Er wusste, dass Anson um Punkt fünf Uhr kommen würde, und er hatte Roberta zu diesem Augenblick genauso weit gehabt, wie er sie haben wollte, und sie dann jäh in den Abgrund gezerrt, damit er im Moment höchster Spannung das ganze Gewicht der Anklage auf Anson fallenlassen konnte.

Was hatte er erwartet? Dass Anson zusammenbrach und sich ein Geständnis entlocken ließ? Dass er, Brade, auf diese Art zu seinem Beweis kam?

Ja, das hatte er. Genau das hatte er erwartet, wie er sich jetzt eingestehen mußte.

Doheny meinte: >ja, ich muss auch sagen, Professor: Was soll das?«

»Cap Anson hat es getan«, entgegnete Brade kummervoll. »Was getan?« wollte Anson wissen.

»Ralph getötet. Sie haben Ralph getötet, Cap.«

»Das ist eine Verleumdung«, erwiderte Anson zornig.

»Das ist die Wahrheit«, sagte Brade niedergeschlagen. Wie musste man es anstellen, dass so etwas einfach als Tatsache anerkannt wurde?

»Sie haben mitgehört, wie Ralph und Roberta stritten. Wer außer Ihnen geht nachts die Flure entlang? Das ist eine alte Angewohnheit von Ihnen. Sie haben herausgefunden, dass Ralph für seine Arbeit Phantasieergebnisse benutzte.«

»Wenn Sie das sagen, muss es noch lange nicht so sein, Brade. Aber selbst wenn ich es erfahren hätte, worauf wollen Sie hinaus?« »Darauf, dass er mein Student war, Cap, und dass ich Ihr Student war.« Brade stand auf und sah den älteren Mann fest an. »Was Ralph tat, fiel auf mich zurück, aber ein Teil davon traf durch mich auch Sie. Ihre Berufsehre stand auf dem Spiel.«

»Meine Berufsehre«, sagte Anson mit bebender Stimme, »ist unantastbar. Nichts kann ihr etwas anhaben.«

»Das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass Sie sich Ihr Leben lang mit beiden Händen an sie geklammert haben. Wissen Sie noch, was Kinsky heute morgen sagte, Cap? Sie bezeichneten sich als den Kapitän des Schiffes der experimentellen Forschung. Sie waren der Kapitän; Ihre Studenten waren die Mannschaft. Und auf hoher See ist der Kapitän doch oberster Gerichtsherr seiner Mannschaft, Herr über Leben und Tod, nicht wahr- Kapitän?« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

»Ich meine, dass Sie immer gern über Leben und Tod Ihrer Studenten verfügen wollten, wenn nicht bewusst, dann unbewusst - sonst hätten Sie sich nicht so gern Cap nennen lassen. Und nun haben Sie festgestellt, dass einer Ihrer Studenten - der Student eines Ihrer Studenten, aber eben deshalb wieder Ihr Student- das schlimmste Verbrechen im wissenschaftlichen Kodex begangen hatte, die eine ganz unverzeihliche Todsünde. Und da haben Sie ihn zum Tod verurteilt. Das mussten Sie tun. Hätten Sie ihn leben lassen und wäre die Wahrheit ans Licht gekommen, hätte Ihr Ruf -« Doheny unterbrach ihn, und seine Stimme schaltete sich so unerwartet ein, dass die anderen verblüfft waren. »Sie wollen damit sagen, dass der alte Herr in Neufelds Labor eingedrungen ist und sich an diesen kleinen Kolben zu schaffen gemacht hat, Professor, ja?« »Er hatte einen Hauptschlüssel.«

»Und wie konnte er über die Experimente des Studenten Bescheid wissen? Hat er sich eingeschlichen und dessen Notizen durchgelesen?« »Das brauchte er nicht. Er war ja immer in meinem Labor. Er war zum Beispiel am Freitag hier, als ich nach meiner Vorlesung hereinkam. Er war heute morgen nach der Vorlesung hier. Und vorhin ist er ja auch ganz einfach hereingekommen. Und die Duplikate von Ralphs Aufzeichnungen, die gefälschten Zahlen und alles andere, werden ja hier aufbewahrt. Ralph hat in seinen Notizen die Experimente ganz genau beschrieben - auch dass er immer eine bestimmte Anzahl Kolben auf Vorrat abgefüllt hat. Cap wusste genau, was er zu tun hatte. Seine peinliche Genauigkeit erleichterte es ihm, Ralphs detaillierte Aufzeichnungen zu verstehen und sich zunutze zu machen.« »Das sind alles unbewiesene Behauptungen«, sagte Anson. »Reine Phantasterei.«

Brade fuhr verzweifelt fort: »Dann erfuhren Sie, dass ich Ralphs Arbeit fortführen wollte -« Er hielt inne, um Atem zu holen; er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Und da wollten Sie das verhindern, Cap. Sie haben es im Zoo versucht; Sie haben alles getan, um mich für ein Thema aus der vergleichenden Biochemie zu interessieren. Als Ihnen das nicht gelang, haben Sie auch mich zum Tod verurteilt. Ich war im Begriff, Ihnen Unehre zu machen, und deshalb beschlossen Sie -« Doheny stand auf; sein breites Gesicht blickte etwas besorgt. »Professor«, sagte er, »immer langsam. Eins nach dem andern. Bleiben Sie bei Ralph Neufeld. Bleiben Sie bei Ralph Neufeld.« Brade wischte sich wieder mit dem Taschentuch übers Gesicht. »Schön«, sagte er, »ich bleibe bei Ralph Neufeld, und ich komme jetzt zu dem Punkt, der meine Behauptung beweist. Jawohl, beweist. Dieser Mann« - sein Finger zitterte, als er zum zweitenmal auf Cap deutete -»ist ein Sklave der Zeit. Das geht allen Lehrern so, aber er ist es in ganz besonderem Masse. Er hält seine Verabredungen auf die Minute genau ein. Er kam vorhin um Punkt fünf hier herein.« »Ja, das fiel mir auf«, sagte Doheny.

»Wir anderen machen ihm die Freude, wir finden uns zu Verabredungen mit ihm pünktlich ein, und er erwartet das inzwischen auch gar nicht anders. Ein Zuspätkommen duldet er nicht. Aber am vergangenen Donnerstag, als ich um fünf Uhr nachmittags mit ihm verabredet war, konnte ich nicht kommen, weil Ralph tot in seinem Labor lag - und ich im Institut bleiben musste. Woher wussten Sie das, Cap? Woher haben Sie vorhergewusst, dass ich ausgerechnet an diesem Tag die Verabredung nicht einhalten würde, wo ich mich sonst immer auf die Minute genau eingefunden hatte? Wann hatte ich einmal eine Verabredung nicht genau eingehalten? Mit welchem Recht nahmen Sie an, dass ich diesmal nicht dasein würde?«