»Wovon reden Sie da?« fragte Anson geringschätzig.
»Am Donnerstag nachmittag«, fuhr Brade fort, »um Punkt fünf Uhr trafen Sie meine Tochter auf der Strasse vor unserem Haus. Sie waren an dem Tag nicht im Institut gewesen. Niemand hatte Sie von Ralphs Tod benachrichtigt. Aber Sie gaben Ginny einen Stoss Manuskriptblätter Ihres Buches. Sie sagten: >Gib das deinem Vater, wenn er heimkommt.< Was brachte Sie zu der Annahme, dass ich nicht zu Hause war?«
»Nun, Sie waren nicht zu Hause«, erwiderte Anson. »Oder wollen Sie das abstreiten?« .
»Natürlich war ich nicht zu Hause, aber woher wussten Sie das? Sie haben Ginny nicht gefragt, ob ich zu Hause sei. Sie kamen nicht bis zur Haustür. Sie reichten ihr nur die Manuskriptseiten und sagten: >Gib das deinem Vater, wenn er heimkommt.< Sie wussten also, dass ich ausgerechnet dieses eine Mal nicht wie verabredet zu Hause war. Sie wussten, dass ich im Institut neben dem Tod Wache hielt. Wieso haben Sie das gewusst, Cap? Wieso haben Sie das gewusst?« »Bitte, schreien Sie nicht«, sagte Cap.
»Sie hatten meine Verabredung mit dem Tod inszeniert. Sie wussten, dass Ralph tot war, weil Sie den Erlenmeyerkolben vom Donnerstag vergiftet hatten. Sie wussten, dass ich den Toten vorfinden musste, wenn ich noch einmal kurz in Ralphs Labor hereinschaute, ehe ich ging. Und Sie wussten, dass ich das tun würde, weil dieses abendliche Hereinschauen ins Labor eines Doktoranden eine der Gewohnheiten war, die ich von Ihnen übernommen hatte. Aber auch so blieben Sie Ihrer Gewohnheit treu, eine Verabredung unbedingt einzuhalten, und Sie kamen bis vor mein Haus, um das Manuskript abzuliefern.« »Das ist alles Unsinn«, entgegnete Anson. »Ihre Tochter sagte mir, Sie seien nicht zu Hause.«
»Sie haben sie nicht danach gefragt.« »Doch.«
»Nein, Cap. Sie hat mir noch an demselben Abend gesagt, Sie hätten ihr aufgetragen, mir die Manuskriptseiten zu geben, wenn ich heimkomme. Als mir das heute mittag wieder einfiel, dachte ich, vielleicht hat sie mir nicht alles erzählt. Vielleicht fehlt noch etwas. Ich rief in ihrer Schule an, ließ sie an den Apparat holen, und dann musste sie mir alles noch einmal ganz genau erzählen. Ich habe sie sozusagen ins Kreuzverhör genommen. Sie haben sie nicht gefragt, ob ich zu Hause sei, Cap. Sie haben es einfach vorausgesetzt, weil Sie es wussten.»
Anson wandte sich an Doheny. »Ich nehme an, meine Aussage gilt mehr als die eines Kindes. Sie kann sich einfach nicht mehr erinnern. Wie sollte sie auch. Es war eine ganz flüchtige, beiläufige Begegnung vor immerhin schon vier Tagen.«
Doheny sagte: »Tja, Professor Brade, Ihr älterer Kollege hat recht, vor die Geschworenen könnten Sie damit nicht gehen.« »Aber ich habe Ihnen doch alles dargelegt«, erwiderte Brade. »Motiv, Gelegenheit zur Ausführung der Tat. Ablauf der Ereignisse. Es passt alles zusammen.« »Gewiss, gewiss«, sagte Doheny, »aber vieles passt zusammen. Ich kann eine Geschichte erfinden, in die Sie als Mörder hineinpassen oder die junge Dame oder sonstwer. Ist das nicht auch in der Chemie so? Können Sie nicht verschiedene Theorien für das eine oder andere Experiment aufstellen? »Ja«, sagte Brade ausdruckslos.
»Sie müssen eine finden, die Sie durch weitere Experimente untermauern können. Sehen Sie, sich einen logischen Ablauf von Ereignissen auszudenken, das ist alles schön und gut, aber Sie werden sich wundern, was ein Verteidiger aus so einer logischen Kette macht, wenn das alles ist, was Sie vorzuweisen haben.« Brade senkte den Kopf.
»Ich könnte Professor Anson verhaften, ihn vernehmen, aber wenn er unschuldig ist, würde das keinen guten Eindruck machen. Er ist auf seinem Gebiet bekannt und genießt einen guten Ruf. Als Beweismaterial brauche ich da schon etwas mehr als nur ein bisschen Logik. Ich müsste etwas Handfestes haben, so wie dieses Ding hier.« Er schlug mit der Faust gegen die Sauerstoffflasche, die einen dumpfen Ton von sich gab. »Etwas, an dem man ruhig mal drehen kann.« Er griff nach dem Hauptventil ...
Anson sprang entsetzt auf und schwang wild seinen Stock. »Lassen Sie die Finger von dem Ding, Sie verdammter Idiot -« Sein Stock pfiff durch die Luft.
Doheny machte eine rasche Bewegung, bekam den Stock zu fassen und zog Anson daran auf sich zu. »Ist etwas nicht in Ordnung mit dieser Flasche, Professor Anson?« fragte er ganz sanft. »Wie kommen Sie darauf?«
Cap Ansons Gesichtszüge verfielen jäh - er sah plötzlich noch viel älter aus.
»Woher wissen Sie, dass mit der Flasche etwas nicht in Ordnung ist?« fragte Doheny noch einmal.
Roberta schrie auf: »Sie haben ihn vergiftet, Sie haben ihn vergiftet!« und stürzte auf ihn zu. Brade fing sie auf und hielt sie fest.
Anson wandte mit einem Ruck das Gesicht dem Mädchen zu. »Er hatte es nicht anders verdient«, sagte er mit heiserer Stimme. »Er war ein Verräter an der Wissenschaft.«
»Dann haben Sie ihn also vergiftet?« fragte Doheny. »Sie sprechen in Gegenwart von Zeugen. Überlegen Sie sich das.«
»Ich hätte zuerst ihn beseitigen sollen.« Er deutete auf Brade und kreischte: »Inkompetent sind Sie! Ich habe Ihnen am Morgen danach gesagt, dass Sie es waren, und Sie sind auch dafür verantwortlich. Sie tragen die Verantwortung, weil Sie so nachlässig waren, ihn falsche
Daten eintragen zulassen. Sie haben seinen Tod zu einer Notwendigkeit gemacht.« Und dann ging er vom Schreien ins Flüstern über. »Ja, ich habe Ralph Neufeld vergiftet.« Und er ließ sich auf einen Stuhl fallen.
Sie waren nun allein im Arbeitszimmer, Brade und Doheny. Der Kriminalbeamte hatte sich gerade die Hände gewaschen und trocknete sie an einem Papierhandtuch ab.
»Wird man streng mit ihm verfahren?« fragte Brade. Der Zorn des Augenblicks war verraucht, Cap war für ihn wieder Cap, ein alter Mann, ein etwas sonderbarer alter Mann, aber ein großer Chemiker und eben doch sein Lehrer, fast sein eigener Vater. Der Gedanke, dass er ins Gefängnis eingeliefert wurde...
»Meiner Ansicht nach kommt es nicht zu einer Verhandlung«, sagte Doheny und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Brade nickte traurig.
»Wissen Sie, Professor, ich muss sagen, ich bin froh, dass ich Sie von Anfang an doch richtig eingeschätzt hatte. Tut mir leid, dass ich einen Augenblick lang an Ihnen gezweifelt habe.« »Das Zweifeln gehört zu Ihrem Beruf.«
»Na schön. Aber Sie haben als Amateurdetektiv auch gute Arbeit geleistet.«
»Meinen Sie?« Brade lächelte schwach.
»Unbedingt. Sie hatten alles richtig inszeniert. Wenn ich Ihre Tatsachen zur Verfügung gehabt hätte, hätte ich es vielleicht auch geschafft, aber sicher nicht so gut und so schnell wie Sie.« »Na ja«, sagte Brade nachdenklich, »wissen Sie, ich hatte wahrscheinlich die Lösung die ganze Zeit parat, seit meine Tochter mir erzählte, was Cap zu ihr gesagt hatte. Aber ich konnte einfach nicht glauben, dass Cap es getan hatte, und so-so habe ich den Gedanken einfach beiseite geschoben. Du lieber Gott, als ich entdeckte, dass jemand an meiner Sauerstoffflasche gewesen war, da dachte ich zuerst an Cap, aber dann kam mir der Gedanke lächerlich vor. Warum hätte er das getan haben sollen? Nur weil ich mich geweigert hatte, Ralphs Arbeit sausenzulassen? Ich konnte ja noch nicht ahnen, dass er etwas von den Fälschungen wusste, dass er sich vorstellte, sein Ruf stehe auf dem Spiel.« Er neigte den Kopf. »Wann fiel bei Ihnen der Groschen?« fragte Doheny. »Als heute mittag die Laborübung begann. Ein ganz unbedeutender Umstand. Ich dachte darüber nach, wie sehr wir Lehrer an die Uhrzeit gebunden sind, und dabei denke ich immer an Cap. Und als ich gerade darüber nachdachte, reichte ein Student meinem Doktoranden, der diese Übung leitete, einen Stoss Papiere, und da sah ich Cap in einer ähnlichen Szene vor mir-ich sah ihn, wie er Ginny seine Manuskripte gab. Das hat dann alles weitere Nachdenken ausgelöst, und da war mir plötzlich der Hergang klar.« »Wie gesagt - gute Arbeit«, stellte Doheny anerkennend fest. »Nur hätten Sie beinahe alles verdorben.« »Wieso?«