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»Sicher«, erwiderte Littleby kalt. »Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich muss in erster Linie an die Universität, an unser Institut denken.«

Littleby schob die Papiere auf seinem Schreibtisch zurecht, und Brade beobachtete ihn aufmerksam.

»Es darf uns niemand nachsagen können«, fuhr Littleby fort, »dass die Sicherheitsbestimmungen nicht beachtet wurden.« »Nein, natürlich nicht.«

»Wie ist es übrigens passiert? Es war Hydrogenzyanad, nicht wahr, aber wie ist es dazu gekommen, dass er das Zeug einatmete?«

Brade erläuterte die oberflächlichen Zusammenhänge.

Littleby sagte: »Nun, da sehen Sie es. Das System hätte nicht offen sein dürfen. An dem Gefäß hätte ein Rückflusskühler sein sollen. Dann hätte er seine törichte Nase nicht hineingehängt.«

Brade hatte Ralph mehr als einmal einen Rückflusskühler vorgeschlagen, erwähnte das aber jetzt nicht, weil es sonst so ausgesehen hätte, als verstecke er sich hinter einem Toten. So begnügte er sich mit der Feststellung: »Das hätte eine Spezialausrüstung erforderlich gemacht, und ich nehme an, Neufeld glaubte das Experiment besser unter Kontrolle halten zu können, wenn das Gefäß offen war. Ein Dampfverlust war nicht entscheidend, und er konnte Material auf weniger umständliche Weise hinzufügen.«

»Unsinn. Die Sache ist die, dass für die jungen Leute von heute die Sicherheit immer erst an letzter Stelle rangiert. Ich sage Ihnen, ich habe die Labors inspiziert, und ich war entsetzt, entsetzt darüber, was ich da alles gesehen habe. Ich habe gesehen, wie Lösungsmittel auf einer offenen Flamme gekocht wurden. Niemand scheint mehr einen Asbestring zu benutzen. Und die Abzüge sind in jämmerlichem Zustand. Ehrlich gesagt, ich hatte die Absicht, wegen dieses Problems eine Abteilungskonferenz einzuberufen, und dass ich es nicht vor diesem unglücklichen Ereignis jetzt getan habe, betrübt mich sehr.«

Brade rekelte sich unruhig in seinem Sessel. An den Sicherheitsvorkehrungen in den Studentenlabors war nichts auszusetzen. »Von einem Schnitt in den Finger oder einer Ätzwunde abgesehen, war das der erste Unfall in zehn Jahren.« »Genügt Ihnen denn einer nicht?«

Brade schwieg, und Littleby genoss seine in gewichtigem Ton vorgebrachte Erwiderung ein paar Augenblicke zu lange und fuhr dann fort: »Ich glaube, wir sollten einen Kurs über Sicherheitsbestimmungen einlegen; eine Reihe von Vorlesungen über die Ge- und Verbote im Labor, sozusagen. Wir können sie auf fünf Uhr nachmittags legen, und das Erscheinen wird für alle Studenten Pflicht sein, die irgendwelche Laborkurse besuchen. Was halten Sie davon?« »Wir können es einmal versuchen.« »Gut. Dann bitte ich Sie, Professor Brade, den Kurs zu organisieren, und ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn Sie auch Cap Anson dafür gewinnen könnten. Der alte Herr wird sich sicher freuen, wenn er wieder einmal aktiv bei uns mitmachen kann, und das wäre jetzt eine gute Gelegenheit.«

»Ja, Sir«, sagte Brade kalt. Ihm gefiel das gar nicht. Der Kurs schien als Strafe für ihn bestimmt zu sein, als ein Buß- und Reinigungsritual im danteschen Stil. Sein Student war leichtfertig gewesen, also musste er nun andere Studenten zwingen, weniger leichtfertig zu sein. Littleby sagte: »Eine Vorlesung wöchentlich, vielleicht, und ich würde noch diese Woche damit anfangen. Wenn die Presse -«Er räusperte sich. »Es kann nichts schaden, wenn wir sagen, wir hätten das schon seit einiger Zeit vorgehabt, als Teil unseres ständigen Sicherheitsprogramms. Und es würde durchaus der Wahrheit entsprechen, denn ich sagte Ihnen ja, das Problem liegt mir nicht erst seit heute auf der Seele. Ja.«

Er blickte plötzlich zur Wanduhr auf, die Viertel vor neun anzeigte. »Ihre Vorlesung beginnt um neun, nicht wahr, Professor Brade?« »Ja, ganz recht.«

»Fühlen Sie sich dazu denn überhaupt imstande? Ich könnte mir immerhin denken, dass diese Sache gestern Sie so sehr mitgenommen hat -«

»Nein, das hat sie nicht«, erwiderte Brade rasch. »Ich kann meine Vorlesung sehr wohl halten.«

»Schön, schön. Ach, um noch einmal auf meine kleine Gesellschaft morgen abend zu sprechen zu kommen - ich hoffe, Sie können kommen, Ihre Frau und Sie? Immerhin, wenn Sie in Anbetracht der Umstände das Gefühl haben sollten -«

Brade hatte Mühe, nicht in einen steifen Gesprächston zu verfallen. »Ich glaube, wir werden kommen. Wir freuen uns so sehr darauf, dass -« Und in einem Wirrwarr von unfertigen Sätzen gefangen, nickten beide sehr förmlich und lächelten sich mechanisch an mit einer Höflichkeit, aus der jede Liebenswürdigkeit geschwunden war.

Er will nicht, dass ich komme, dachte Brade. Ich bin vom Tod gezeichnet. Mache keine gute Reklame.

Wenn es nicht wegen Doris wäre, würden wir auch nicht kommen. Arme Doris. Hatte bis jetzt noch die Chance einer Beförderung bestanden, so sah es nun eher trostlos aus. In Littlebys kleinen Augen leuchtete keinerlei Großmut auf. Würde Doris sich damit abfinden können? Sie redete manchmal in verzweifeltem Ton, aber sie besaß verborgene Kräfte, auf die sie sicher auch jetzt zurückgreifen konnte. Ein ganz anderer Gedanke kam ihm, als er sich umwandte und ging, ein Gedanke, der mit Littlebys Bemerkung über die Fakultätsberichte zu tun hatte. Alle Angehörigen des Lehrkörpers beurteilten die Leistung eines Studenten nicht nur mit einer Buchstabenzensur, die veröffentlicht wurde, sondern berichteten auch, soweit es ihnen möglich war, über seinen Charakter und seine Persönlichkeit. Diese Berichte blieben geheim.

Sie waren natürlich den Fakultätsmitgliedern zugänglich, und Brade hatte die Berichte über Ralph flüchtig durchgelesen, ehe er ihn als Doktorand annahm. Aber es war auch nur ein flüchtiges Durchlesen gewesen. Er wusste damals, dass man auf Ralph nicht gut zu sprechen war; deshalb hatte er den Beurteilungen kein Gewicht beigemessen. Nun bekam die ganze Sache einen neuen Aspekt. Wer immer den jungen Mann getötet hatte, er musste ihn gehasst haben. Ranke konnte Neufeld nicht leiden, das war bekannt; und sogar Dr. Shulter von der medizinischen Fakultät, der ihn nur flüchtig kannte, war nicht von ihm angetan gewesen, und so ging es fast allen. Immerhin mochte sich in der Formulierung des einen oder anderen Berichts über ihn eine Stelle finden, die auf ein zusätzliches Element in den Gefühlsbeziehungen schließen ließ.

Auf jeden Fall konnte sich Brade mit großer Erleichterung sagen, dass er Ralph immer recht positiv beurteilt hatte. Er war so ziemlich das einzige Fakultätsmitglied, dessen Verhältnis zu Ralph frei von Abneigung war.

»Wie bitte?« Er fuhr zusammen, als sein Ohr endlich Laute registrierte. »Entschuldigen Sie, Miss Makris, ich habe leider nicht zugehört.« »Das hat man Ihnen angesehen«, sagte Jean Makris in spitzbübischem Ton. »Sie kamen völlig gedankenverloren aus dem Büro, und wenn ich Sie nicht am Arm gepackt hätte, wären Sie wahrscheinlich gegen die Tür gerannt.«

»Ja, ja. Aber jetzt bin ich wieder ganz da.«

»Professor Littleby war nicht-«, ihr Blick wanderte rasch zur Tür von Littlebys Büro, »- unangenehm oder so, nein?« »Nein, es war eine Routinebesprechung.«

»Schön. Nun, dann will ich es Ihnen schnell sagen, damit Sie beruhigt sind, wissen Sie, falls Sie sich wegen Ralph aufgeregt haben; ich meine, falls Ihnen sein Tod persönlich zu schaffen macht, ich meine -« Sie starrte ihn jetzt forschend an, das lange Gesicht ein wenig zur Seite geneigt, und ihre Stimme hatte etwas Lebhaftes, so als hätte sie dies einerseits schon lange sagen wollen, zögerte aber andererseits noch, den spannenden Augenblick durch eine zu schnelle Preisgabe der Pointe abzukürzen.

»Ich habe jetzt eine Vorlesung, Miss Makris«, sagte Brade. »Bitte, fassen Sie sich kurz.«

Ihr Gesicht war dem seinen auf einmal sehr nahe; ihre Augen leuchteten. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ralph nichts getaugt hat. Dass Sie sich seinen Tod nicht zu Herzen zu nehmen brauchen. Er hat Sie gehasst.«

5

Brade stürzte wortlos aus dem Vorzimmer und ging in automatisch schnellem Tempo die Treppe hinauf, um sein Büro aufzusuchen. Zwischen dem zweiten und dritten Stock fiel ihm seine Vorlesung wieder ein, und so machte er kehrt und eilte wieder hinunter. Als er das Halbrund des Hörsaals im ersten Stock betrat, war er etwas außer Atem. Die Studenten saßen auf ihren Plätzen.