»Das würde natürlich erklären, warum die Pyramide keinerlei Zerfallserscheinungen aufzuweisen hat«, sagte Marsh. »Aber zu einem materieabstoßenden Kraftfeld – falls es so etwas überhaupt gibt – gehören irgendwelche Energiequellen. Wo sind diese Anlagen zu suchen?«
»Wahrscheinlich im Innern«, vermutete Arvid. »Es wird nicht ganz einfach sein, in diesen Steinhaufen hineinzukommen.«
»Aber wir müssen hinein!« beharrte Vinton. »Dies ist eine einmalige wissenschaftliche Entdeckung.«
»Er hat recht«, meinte Arvid. »Ich schlage vor, daß Curry und Elissa einmal um das Ding herummarschieren. Wir können in dieser Zeit unser Lager aufbauen – ich habe nämlich keine Lust, in diesem Stahlkasten von einem Rover zu schlafen.«
»Einverstanden!« sagte Marsh. Er winkte Curry und Elissa in die Nähe und erklärte ihnen kurz, was sie tun sollten.
»Wird gemacht, Skipper!« sagte Curry zuversichtlich. »Und wie finden wir heraus, ob dieses Kraftfeld eine Lücke hat?«
»Ganz einfach«, erklärte Marsh. Er nahm eine Handvoll Sand auf und schleuderte die Körner gegen die Außenwand der Pyramide.
»So«, sagte er, nachdem er den Sand ausgespuckt hatte, den das Kraftfeld auf ihn zurückgeworfen hatte. »Und nehmt zwei Funksprechgeräte mit!«
Curry tippte mit dem Finger an den Rand einer imaginären Mütze und stapfte durch den feinkörnigen Sand zu einem Rover. Kurz darauf verschwand er mit Elissa um die Ecke der Pyramide.
Während sich die fünf anderen Expeditionsteilnehmer daranmachten, vier Zelte aufzuschlagen, bestieg Marsh seinen Rover und setzte sich neben Margalo.
»Hast du mit den beiden Kontakt?« fragte er.
»Einwandfrei!« nickte sie. »Paß auf.«
Sie schaltete den großen Lautsprecher an der Decke ein. Offensichtlich hatte Elissa ihr Sprechfunkgerät ständig eingeschaltet, und so konnte man im Rover mit anhören, wie Curry die Frau mit Komplimenten förmlich überhäufte.
»Gut, gut«, winkte Marsh ab. »Jetzt ändere bitte die Empfangsfrequenz!«
»Auf welchen Kanal willst du?« erkundigte sich Margalo.
»Raumstandard«, sagte Garfield. »Die Frequenz des ionisierten Wasserstoffs.«
Margalo verstand augenblicklich. Mit geschickten Bewegungen schaltete sie.
»Nichts!« sagte sie endlich und schaltete auf Lautsprecher um. »Nur Rauschen.«
»Weiter!« befahl Marsh, und gehorsam ging Margalo die Frequenzen durch. Nach einer halben Stunde gaben sie auf.
»Eine Erkenntnis mehr«, brummte Marsh enttäuscht. »Wenn ein Sender in der Pyramide ist, dann arbeitet er jedenfalls nicht. Und was haben unsere Entdecker inzwischen angestellt?«
Margalo ging auf die Frequenz der Funkgeräte zurück.
»Sie melden sich nicht«, murmelte sie verblüfft. Sie wiederholte den Anruf; das Ergebnis blieb gleich.
»Verdammt«, knurrte Marsh und verließ hastig den Rover.
Ein schriller Pfiff hatte zur Folge, daß alle ihre Arbeit im Stich ließen und sich um den Skipper scharten; Marsh erklärte kurz, was vorgefallen war.
»Ich werde zusammen mit Margalo einmal rund um die Pyramide fahren und nach den beiden suchen. Viveca, du bedienst bitte das Bordradar des zweiten Rovers und zeichnest unseren Kurs auf. Sollte auch uns etwas zustoßen, wißt ihr wenigstens, wo der Gefahrenherd ist. Klar?«
»Selbstverständlich«, sagte die junge Frau entschieden. »Ich werde wie eine Glucke meine elektronischen Fittiche über dich breiten.«
»Hoffentlich reicht dieser Schutz«, brummte Marsh, während er den Rover wieder bestieg. Wenige Sekunden später heulten die Turbinen des Fahrzeugs auf.
»Bleibe ständig mit dem Lager in Funkverbindung«, sagte Marsh, während er mit Höchstgeschwindigkeit um die Ecke des Bauwerks steuerte. Deutlich waren in dem Sand die Fußspuren der beiden Vermißten zu erkennen.
»Auf dieser Seite scheint es keine Gefahr zu geben«, stellte Margalo fest; sie hatte bereits das Abknicken der Fährte an der nächsten Kante bemerkt. »Fahr lieber etwas langsamer!«
Marsh nickte und zog den Fahrthebel näher an sich heran; nur flüchtig warf er einen Blick auf die Pyramide. Auch hier war die Wand mit großen Reliefs bedeckt. Drohend schienen die Gestalten von der schrägen Trapezfläche auf die Menschen herabzusehen.
»Halt!« schrie Margalo.
Marsh reagierte augenblicklich, kuppelte aus und betätigte die Bremsen des Rovers; eine Staubsäule brach empor und hüllte für Sekunden das Fahrzeug in eine undurchdringliche Wand aus feinsten Sandkörnern. Wortlos deutete Margalo auf die Spur der Vermißten, die langsam wieder sichtbar wurde.
Marsh zog das Mikrophon an den Mund und fragte: »Viveca, wo ungefähr stehen wir?«
Nach wenigen Sekunden kam die Antwort. »Ziemlich genau auf der dem Lager entgegengesetzten Seite der Pyramide. Habt ihr etwas gefunden?«
»Die Spuren hören hier auf«, erklärte Marsh grimmig. »Ich werde aussteigen und mir die Stelle etwas genauer ansehen.«
»Paß auf dich auf«, bat Viveca flüsternd; Margalo machte ein finsteres Gesicht.
»Keine überflüssige Sorge!« warnte sie. »Ich werde schon auf ihn achten.«
»Zankt euch später«, empfahl Marsh, während er sich ein langes Seil um die Taille band und das andere Ende am Rover befestigte.
Dann stieg er aus. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, als er langsam den Spuren der beiden Verschwundenen nachging. Von Zeit zu Zeit hob er eine Handvoll Sand auf und warf sie ein paar Schritte voraus. Jedesmal sank das Material ohne andere Einflüsse als die der Schwerkraft zu Boden. Von einer Falle war nichts zu erkennen. Dann hatte Marsh die offenbar gefährliche Stelle erreicht; er kniete zögernd nieder und untersuchte die Spuren.
»Kannst du etwas erkennen?« klang Margalos Stimme aus den Kopfhörern.
Marsh schüttelte den Kopf und antwortete ratlos: »Nichts. Mir ist die Angelegenheit völlig unbegreiflich.«
Die Spuren endeten unmittelbar an der Kante der Pyramide; der Abstand zwischen dem äußersten Rand des Bauwerks und dem letzten Fußabdruck betrug knapp zehn Zentimeter.
»Komm einmal her, Margalo!« rief er in das kleine Mikrophon.
Wenig später stand sie neben ihm; Marsh deutete mit der Hand auf die Spuren.
»Stelle dein rechtes Bein in den Abdruck«, befahl er. Margalo führte das Kommando folgsam aus.
»Und jetzt versuche, einen Schritt geradeaus zu machen.«
Die Frau hob das linke Bein leicht an, bewegte es vorwärts, bis die Spitze ihrer Stiefel gegen die Außenwand der Pyramide traf. Sekundenbruchteile später lag Margalo auf dem Sand.
»Entschuldige«, bat Marsh, als er sie wieder aufrichtete. »Das Kraftfeld hatte ich völlig vergessen. Aber ist dir klar, was ich dir zeigen wollte?«
Margalo nickte langsam. »Ja«, sagte sie stockend. »Wenn wir annehmen, daß sich die Pyramide hier geöffnet hat, dann liegen alle weiteren Fußabdrücke jetzt hinter der Wand.«
»Genau«, bestätigte Marsh. »Und das bedeutet?«
»Curry und Elissa sind im Innern.«
»Nicht nur das«, sagte Marsh sanft. »Versuche dir den Ablauf des Geschehens vorzustellen.«
»Nun, die beiden kamen hier an«, überlegte sie. »Entweder war hier schon eine Öffnung, oder sie wurde gerade sichtbar, als Curry und Elissa die Stelle passierten. Aber das hätten sie uns sicher über Funk mitgeteilt.«
»Das ging leider nicht«, seufzte Marsh schuldbewußt. »Zu diesem Zeitpunkt nämlich grasten wir gerade sämtliche Frequenzen ab. Der Anruf konnte uns folglich gar nicht erreichen.«
»Unter diesen Umständen wären die beiden aber niemals weitergegangen«, erklärte Margalo bestimmt. »Ich bin ganz sicher, daß sie gewartet hätten, bis sie uns über ihre Entdeckung informiert hätten.«
»Hätten«, wiederholte Marsh finster. »Sie haben aber nicht gewartet.«