»Das würde bedeuten …«, flüsterte sie erschreckt.
»… daß man sie nicht hat warten lassen«, stellte Marsh grimmig fest. »Curry und Elissa sind bestimmt nicht freiwillig in die Pyramide hineingegangen. Sie sind gezwungen worden.«
»Von wem?« fragte Margalo beklommen. »Von irgendeinem Abwehrautomaten?«
»Nein. Für einen Automaten sind wir beide ebenso gefährlich wie Curry und Elissa«, erklärte Marsh geduldig. »Wir aber stehen noch hier. Dort drinnen lebt jemand.«
»Was wollen diese Leute von uns?« fragte Margalo ängstlich. »Wir haben ihnen doch keinen Schaden zugefügt.«
»Sie uns einstweilen auch nicht«, beruhigte Marsh sie. »Ich nehme an, daß Elissa und Curry dort drinnen erst einmal genau studiert werden.«
Er sah auf seine Uhr, die inzwischen auf die Eigenzeit des Planeten abgestimmt worden war. »In einer Stunde wird es dunkel werden. Ich glaube, wir sollten zu unseren Freunden zurückkehren.«
Im Lager quittierte man den Bericht der beiden mit ungläubigem Schweigen; erst nach einer stundenlangen Diskussion gelang es Marsh, die Gruppe von der Stichhaltigkeit seiner Argumente zu überzeugen. Er hatte sich bereits überlegt, welche Maßnahmen erforderlich waren.
»Erstens«, sagte er laut. »Der Stützpunkt am Landeplatz des Schiffes wird aufgelöst und hierher verlagert; genauer gesagt, an jene Stelle, an der Curry und Elissa verschwunden sind. Zweitens wird täglich ein Rover zwischen der Quelle am Landeplatz und der Pyramide hin und her pendeln; dabei wird er uns mit Material und vor allem mit Wasser versorgen. Und drittens werden wir einen Tag- und Nachtwachdienst einrichten. Schließlich müssen wir wissen, wann sich die Pyramide wieder öffnet. Irgendwelche Widersprüche?«
Es gab keine; am nächsten Morgen schon machten sich die Menschen an die Arbeit.
Nach einer Woche war das Lager vollständig umgezogen. Der Rover versorgte die Bewohner mit allem Lebensnotwendigen. Ansonsten gab es nichts zu tun.
Die Männer spielten Boccia, bis sie keine Kugeln mehr sehen konnten, während sich die Frauen von der Sonne grillen ließen, bis sie kaum mehr vom Sand zu unterscheiden waren.
Für zwei Tage brach ein allgemeines Wettfieber aus; man setzte auf die Stundenzahl, die bis zum Öffnen der Pyramide vergehen würde, und die Einsätze erreichten stellare Höhen. Dann fiel jemandem ein, daß man den Gewinn niemals würde ausgeben können, und die Begeisterung stürzte mit dem Tempo einer Sternschnuppe in tiefste Tiefen.
Nach einer Woche kam der erste Zank auf. Marsh ließ die Streithähne in Grenzen gewähren.
Mit einer gewissen Genugtuung stellte er fest, daß offenbar kein Crewmitglied an einer Rückkehr zur Erde zweifelte. Trotz aller sachlichen Gegenargumente und Zweifel hatte auch Marsh dieses Gefühl, und darum unternahm er nichts. Allerdings graute ihm vor dem Tag, an dem sich dieser Optimismus für immer verlieren würde.
9.
»Ich halte dieses verdammte Warten nicht mehr aus«, schrie Hayden Bellows unbeherrscht. »Wenn das so weitergeht, werde ich noch wahnsinnig.«
»Da hast du nicht viel zu tun«, bemerkte Viveca spitz.
Selbst die seit nunmehr drei Wochen andauernde, zermürbende Anspannung der Nerven hatte die Ruhe und Kaltblütigkeit der Biologin nicht durchbrechen können. Für Hayden war der Spott zuviel; mit einem Schrei stürzte er sich auf sie.
»Nicht doch!« murmelte sie. »Was sollen denn die anderen von dir denken?«
Eine geschickte Körperdrehung hatte genügt, um Hayden ins Leere rennen zu lassen; er war gestürzt und starrte die Frau an. Marsh konnte sich nicht erinnern, jemals ein derart wutverzerrtes Gesicht gesehen zu haben.
»Ein Raumfahrer, der mir zu Füßen liegt!« schwärmte Viveca laut.
Die Antwort des Mannes bestand in einem unverständlichen Gurgeln; mit hochrotem Kopf warf er sich vorwärts. Viveca machte einen raschen Schritt zur Seite, und Hayden prallte mit voller Wucht gegen die Pyramidenwand.
»Tu dem armen Ding nicht weh!« höhnte die Kosmobiologin.
Dann verschlug es ihr die Sprache; mit offenem Mund starrte sie Hayden an, der sich an dem harten Stein eine Stirnverletzung zugezogen hatte und sich benommen aufrichtete. Er war von dem Anprall noch halb betäubt und stützte sich schwer gegen die Wand. Sie änderte ihre Haltung auch nicht, als Hayden mit schleppenden Schritten auf sie zuging, die Hände um ihren Hals legte und sie zu würgen begann.
Dafür reagierte Marsh. Er sprang zu den beiden hinüber und riß Hayden zu Boden. »Du Narr!« schrie er glücklich. »Weißt du überhaupt, wo du dich verletzt hast?«
»An der verdammten Pyramide!« knurrte der Raumfahrer und strengte sich an, aus Marshs Hebelgriff zu kommen. Dann begriff auch er. »Das Kraftfeld ist weg!« keuchte er.
»Genau!« sagte Viveca mit einem leisen Seufzer. Sie schenkte Hayden ein zaghaftes Lächeln.
»Ich hoffe, du vergibst mir die Gemeinheiten der letzten Minuten«, bat sie leise.
Hayden machte eine abwehrende Handbewegung. »Vergessen«, sagte er großzügig.
Mit einem schrillen Pfiff hatte Marsh inzwischen die anderen Terraner zusammengebracht; als er berichtete, daß das Kraftfeld verschwunden sei und dies auch allen sichtbar bewies, brachen die fünfzig Menschen in ein ohrenbetäubendes Freudengebrüll aus. Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, meldete sich Arvid zu Wort.
»Das Kraftfeld ist also verschwunden«, stellte er fest. »Aber wie kommen wir jetzt in diesen Steinklotz hinein?«
Marsh wollte mit den Schultern zucken, unterließ aber die Bewegung. Als wären Arvids Worte verstanden worden, schob sich mit einem leisen Knirschen ein vier Meter hoher und ebenso breiter Steinklotz in die Wand der Pyramide. Der Block schwenkte langsam zur Seite und legte eine schwach erleuchtete Öffnung frei.
»Arvid, Viveca, Margalo!« rief Marsh laut. »Wir vier werden als erste in die Pyramide eindringen. Wir nehmen Funkgeräte mit – vielleicht könnt ihr uns trotz der Steinwände hören.«
»Geht in Ordnung«, bestätigte Hayden, der sich wieder gefaßt hatte. Ein großes Pflaster zierte seine Stirn. »Aber wartet noch ein paar Minuten.«
Marsh lächelte anerkennend, als der Mann wenig später mit einem großen Metallstück zurückkehrte, mit dem die Ketten der Rover geflickt werden konnten. Ächzend schleppte Hayden das Glied bis an den Eingang und legte es dort so ab, daß der Türblock nicht mehr in seine alte Position zurückkehren konnte.
»Nehmen wir Waffen mit?« wollte Viveca wissen.
»Nein!« entschied Marsh schnell. Er hängte sich den Tragriemen eines Funksprechgerätes um, während Arvid sich mit einem Handscheinwerfer bewaffnete. Langsam gingen die vier Menschen auf die Öffnung zu.
Vorsichtig schritten die Menschen über den steinernen Boden des Ganges; als sie annähernd zwanzig Meter tief in das Bauwerk eingedrungen waren, hörten sie hinter sich ein unheilverkündendes Knirschen.
»Die Tür!« rief Margalo erschreckt und fuhr herum.
Im Licht des Scheinwerfers war deutlich zu erkennen, wie sich der gewaltige Steinblock an seinen Platz zurückbewegte; selbst das stählerne Kettenglied konnte die Kraft der Bewegung nicht bremsen.
»Wir sind eingeschlossen«, stellte Viveca gleichmütig fest; es hörte sich an, als habe sie auf dieses Ereignis gewartet.
»Vielleicht sind die Fremden Menschenfresser«, flüsterte Margalo ängstlich. Ihre Stimme versagte.
»Wir sollten weitergehen«, bestimmte Marsh und ging den anderen voran.
Sorgfältig zählte er die Schritte; als sie sich nach seinen Berechnungen dem Mittelpunkt der Pyramide näherten, bemerkte er, daß ihnen ein zweiter Steinblock den Weg versperrte. Bevor Marsh zu irgendeiner Überlegung kam, erklang ein scharfes Knacken. Sekunden später versank der hinderliche Klotz im Boden. Ein zehn mal zehn Meter messender quadratischer Raum wurde sichtbar. Wie der Gang würde auch er von sanftem indirektem Licht erhellt.