»Hm«, machte Arvid, nachdem sie den Raum betreten hatten. »Fällt euch nichts auf?«
»Doch«, erklärte Margalo. »Es ist hier ziemlich schummrig.«
»Das meinte ich«, bestätigte der Navigator. »Aber als Liebeslaube ist dieser Raum sicherlich nicht gedacht.«
»Was uns hier als Dämmerlicht erscheint«, sagte Marsh nachdenklich, »ist für irdische Verhältnisse eine völlig normale Beleuchtung. Uns erscheint es so düster, weil wir uns inzwischen an die mörderische Helligkeit draußen gewöhnt haben.«
»Und da jedes intelligente Lebewesen darauf achtet, daß Tages- und Kunstlicht annähernd gleich sind«, fuhr Arvid fort, »folgere ich, daß die Bewohner der Pyramide nicht hier geboren wurden.«
»Keine Spekulationen!« wehrte Viveca ab. »Sagt mir lieber, was es mit diesem Loch auf sich hat.«
Jetzt erst bemerkten sie die zwei Meter durchmessende Öffnung in der Mitte des Raumes.
»Vielleicht sollten wir mit einem Stein oder etwas anderem feststellen, wie tief das Loch ist«, meinte Margalo.
»Wer hat etwas Derartiges bei sich?« fragte Marsh, während er seine Taschen durchwühlte.
Auf diesen Zwischenfall war keiner vorbereitet; was sie bei sich trugen, wurde noch gebraucht.
»Machen wir es anders!« sagte Marsh. Er legte sich flach auf den Boden und robbte langsam an den Rand der Öffnung; Arvid verstand sehr schnell, was Marsh wollte, und hielt die Füße des Skippers fest. Vorsichtig schob Marsh sich weiter; sein Kopf ragte jetzt über die Öffnung.
»Ziemlich finster hier«, brummte er. »Viveca, gib mir bitte den Scheinwerfer. Aber schalte ihn vorher ein.«
»Wird gemacht.«
Wenige Sekunden später lag die Frau einen halben Meter hinter ihm und schob die Lampe vorwärts. »Nimm«, forderte sie Marsh auf.
Der Skipper streckte den Arm aus und tastete nach der Lampe. Nachdem er sie gefunden hatte, schob er sie langsam an seinem Körper entlang in Kopfhöhe.
Arvid, der einen einsamen Kampf mit einem immer stärker werdenden Niesreiz ausfocht, ließ für wenige Sekunden Marshs Füße los, um sich an der Nase zu reiben. Marsh spürte die Bewegung und fuhr zusammen; er klammerte beide Hände um den Rand der Öffnung und stieß dabei mit dem Ellbogen gegen die Lampe. Das Gerät rutschte mit erschreckender Langsamkeit auf den Rand zu, kippte und fiel.
»Verdammt«, rief Marsh, doch dann stieß er einen begeisterten Pfiff aus.
»Was gibt es?« fragte Arvid schuldbewußt; wieder hielt er Marshs Füße umklammert. Der Skipper drehte sich um und setzte sich auf.
»Die Lampe fällt«, verkündete er.
»Das ist keineswegs neu«, brummte Arvid.
»Aber sie fällt konstant mit einer Geschwindigkeit von etwa einem halben Meter pro Sekunde!«
»Schwerkraftaufhebung!« staunte Viveca.
»Es sieht so aus«, meinte Marsh heiter. »Ich werde es ausprobieren.«
»Und wenn du abstürzen solltest?« fragte Margalo scheu.
»Werde ich jedenfalls angenehme Begleitung haben«, sagte Marsh schnell. Er griff nach ihrer Hand, und bevor Margalo protestieren konnte, waren die beiden in der Öffnung verschwunden.
»He, ihr beiden!« scholl es Sekunden später, nachdem Margalos Entsetzensschrei verklungen war, aus dem Loch. »Kommt nach.«
Wenig später schwebten auch Viveca und Arvid sanft in die Tiefe.
»Nun?« erkundigte sich Marsh freundlich. »Ist es so schlimm?«
Margalo schüttelte den Kopf; sogar ein zaghaftes Lächeln brachte sie zustande. Die unter ihnen schwebende Lampe zeigte, daß das Ende des Schachtes noch lange nicht erreicht war. Marsh nutzte die Zeit, um sich Margalo einmal etwas näher anzusehen. Was er sah, war nicht allzu entsetzlich. Margalo war mittelgroß, und ihre Figur bot keinen Anlaß zu Begeisterungsausbrüchen – allerdings auch nicht zum Gegenteil. Auffallend war nur das Gesicht. Marsh hatte schon früher festgestellt, daß sie kaum merklich schielte – jetzt, in dem Dämmerlicht des Schachtes, wirkten die grünlichen Augen faszinierend. Wie eine Katze, dachte Marsh, die vor dem Essen noch ein bißchen gestreichelt werden will.
»He!« klang es von oben. »Ihr seid so still.«
Arvids Stimme riß Marsh aus seinen Gedanken; in der gleichen Lautstärke gab er zurück: »Ihr seid auch nicht wesentlich lauter.«
»Das hat seine Gründe«, erklärte Viveca fröhlich. »Er hat mir gerade einen Heiratsantrag gemacht.«
»Verräter«, knurrte Marsh amüsiert, dann rief er nach oben: »Merkwürdig. Wir haben von diesem Wahnsinn erzeugenden Feld nichts gespürt.«
»Abwarten«, erklang es neben ihm mit einem leisen Fauchen.
»Langsam bekomme ich Klaustrophobie«, erklärte Marsh grimmig.
Seit fast einer Stunde bewegten sich die vier Menschen abwärts; der Schacht schien kein Ende zu nehmen. Nach seiner Rechnung mußten sie inzwischen eine Strecke von fast zwei Kilometern zurückgelegt haben.
»Wie sieht es aus?« fragte Arvid von oben.
Marsh hatte diese Frage schon hundertmal mit der gleichen Auskunft beantwortet; auch diesmal warf er nur einen kurzen Blick nach unten.
»Freut euch!« gab er nach oben durch. »Das Ende des Schachtes ist in Sicht.«
Mit einem halblauten Poltern schlug die Lampe auf dem Metallboden des Schachtes auf. Minuten später standen auch die vier Menschen auf dem Ende der Röhre. Sie mußten nur kurz warten, bis sich ein drei Meter hohes Teilstück der Röhre verschob und ein erleuchtetes Viereck in der Wand öffnete.
»Herrrreinspaziert«, sagte Curry und strahlte die vier an. Er schien bester Laune zu sein. Hinter ihm saß Elissa in einem bequemen Sessel und winkte vergnügt.
»Wie seid ihr hierhergekommen?« fragte Marsh sofort. Curry grinste diabolisch.
»Auf dem gleichen Wege wie ihr«, sagte er knapp. »Nur nicht ganz so freiwillig.«
»Wenn ich Ihnen erklären dürfte …«, sagte eine unglaublich tiefe Baßstimme im Hintergrund. Der Mann sah den Bildern des Pyramidenreliefs erstaunlich ähnlich; überschlank, sehr groß und mit zwei Daumen an jeder Hand.
»Nehmen Sie doch bitte Platz!« bat der Fremde höflich und deutete auf die Sessel, die innerhalb von Sekunden aus dem Boden zu wachsen schienen. Ein Schnippen mit dem Finger genügte, um einen flachen Tisch mit einer gläsernen Platte hervorzuzaubern, auf dem eine Anzahl von gefüllten Gläsern stand.
»Der Reihe nach: Die Sonne dieses Systems heißt – aus unserer Schrift in Ihr Lautbild übertragen – Morcoy, diese Welt Morcos und seine Bewohner demnach Morconen. Ich selbst werde Moltion Gambral genannt.« Er lächelte den Erdmenschen zu. »Aber setzen Sie sich doch, Kapitän Garfield.«
»Sie kennen unsere Namen?« fragte Marsh verblüfft, nachdem er Platz genommen hatte.
»Nicht nur das«, sagte Gambral. »Das vierte Glas von links ist für Sie bestimmt – Ihre Lieblingsmarke.«
Marsh fand die Angabe bestätigt.
»Wir sahen Ihr Schiff landen und verfolgten Ihre Bewegungen auf unserem Planeten. Als dann Ihre Freunde genau vor unserem Portal standen, erlaubten wir uns, sie mit Hilfe eines schwachen Hypnosefeldes einzuladen. Alle weiteren Ereignisse ergaben sich aus dieser Aktion.«
Mit eisiger Kälte fragte Marsh: »Warum haben Sie unser Schiff abgeschossen?«
Die Terraner sahen ihren Kommandanten überrascht an, und Moltion Gambral zog die Brauen hoch. »Ihr Schiff abgeschossen? Von uns?«
»Falls sich sonst niemand in diesem System befindet, werden es wohl Ihre Leute gewesen sein müssen.«
Marsh sah das Erstaunen seiner Freunde und erklärte: »Ich habe mir damals die Reste unseres Antriebs sehr genau angesehen. Die Zerstörungen wurden nicht durch eine Explosion im Innern des Schiffes ausgelöst – die Zerstörung kam von außen, wahrscheinlich in Gestalt eines Torpedos oder einer ähnlichen Waffe.«