»Sie sehen mich verblüfft«, sagte der Morcone ratlos. »Wenn Ihre Angaben stimmen – woran ich nicht zweifle –, so ist diese Zerstörung mit Sicherheit nicht von uns ausgelöst worden.« Sein Lächeln wurde bitter. »Seit mehr als zweitausend Jahren ist von Morcos kein Schiff mehr gestartet.«
Wie hervorgezaubert ragte aus dem Seitenteil seines Sessels plötzlich ein Mikrophon, in das der Morcone ein paar Sätze sagte; dann verschwand das Gerät ebenso schnell wieder.
»Gut«, fuhr er dann fort. »Nehmen wir also an, wir hätten das Schiff zerstört. Sind Sie bereit, unsere Entschuldigung zu akzeptieren?«
Marsh machte ein finsteres Gesicht. Der Morcone hatte ihn meisterlich in die Defensive gedrängt: Obwohl Marsh von der Ehrlichkeit seiner Aussage überzeugt war, hatte sich der Fremde für etwas entschuldigt, an dem er völlig unschuldig war.
»Vergessen wir die Angelegenheit«, schlug er vor. »Woher können Sie unsere Sprache derart gut?«
»Es gibt da ein einfaches Verfahren«, erklärte der Fremde. »Sehen Sie sich ein einsprachiges Wörterbuch an. Jeder Begriff wird durch andere, wesentlich einfachere Begriffe erklärt. Wir brauchten also nur ein Wörterbuch, ein paar Dutzend einfachere Begriffe und deren sprachliches Äquivalent – Dinge wie Essen, Trinken, Schlafen, Gefühlsäußerungen und dergleichen mehr –, und schon konnten unsere Computer Ihre gesamte Sprache binnen einiger Minuten aufschlüsseln. Ihr Freund Curry hatte ein Wörterbuch der amerikanischen Sprache bei sich, und sein Wortschatz und der seiner Begleiterin ergaben Vergleichswerte. Alles ganz elementar, mein lieber Watson!«
Sogar diese Redefloskel des legendären Sherlock Holmes kannte er. Marsh nickte bewundernd. »Dann kennen Sie vermutlich auch unsere Geschichte?«
Gambral nickte und erwiderte: »Ziemlich genau. Bevor Sie fragen – die Tatsache, daß dieser Lernprozeß so schnell verlief, verdanken wir hypnotischen Lehrmethoden!«
»Das kennen Sie also auch«, stellte Marsh beeindruckt fest. »Nur Raumfahrer haben Sie nach eigenem Geständnis keine. Warum?«
Gambral lächelte schmerzlich. »Die Erklärung dafür ist ziemlich kompliziert. Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen einen kleinen Vortrag darüber halten.«
Die Gemeinsamkeiten in der irdischen Entwicklungsgeschichte und der Phylogenese der Morconen waren verblüffend. Auf dem Umweg über Algen, Fische, Amphibien, Reptilien und niedere Säuger hatte sich ein Volk aufrecht gehender Säuger entwickelt, dessen Kultur sich zu immer neuen Höhen entwickelte.
Einen Vorteil hatten die Morconen – als das Volk von Morcos allmählich zu staatlichen Formen des Zusammenlebens überging, waren die einzelnen Kontinente so weit von einander getrennt, daß erst Jahrhunderte nach der Gründung des ersten morconischen Großreiches der erste Versuch unternommen werden konnte, die anderen Kontinente zu besiedeln. Und zu diesem Zeitpunkt war das Volk von Morcos zivilisatorisch bereits so weit gereift, daß es niemals zu Zwistigkeiten zwischen den Bewohnern der einzelnen Kontinente kam.
Mit dem Maße, in dem der technische Fortschritt die Entfernungen verkürzte, wuchs der planetenumfassende morconische Einheitsstaat auf der Grundlage des allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlrechts. Die Morconen ließen sich Zeit. Es gab keine private Industrie, die völlig überflüssige Bedürfnisse mit Milliardenbeträgen für Werbung künstlich hervorrief und dann mit ähnlichen Kosten diese Bedürfnisse befriedigte, wodurch die Wissenschaft auf den absurdesten Zweiggebieten in astronomische Höhen getrieben wurde. Die Morconen betrieben statt dessen eine umfassende Grundlagenforschung.
Mit legaler Rücksichtslosigkeit hatte die morconische Regierung die aufkeimende soziale Ungleichheit im Ansatz erstickt. Man hatte sehr schnell erkannt, daß es völliger Wahnwitz war, einem Multimilliardär alles wegzunehmen – schließlich hatte ein solcher Mann die Milliarden nicht unter dem Kopfkissen gestapelt. Was solche Morconen mächtig – und damit gefährlich – machte, war die mit dem Geld verbundene Macht, die von keiner Instanz wirklich voll kontrolliert werden konnte, wie es in einer wirklichen Demokratie unerläßlich war. Von einer bestimmten Grenze an wurden Unternehmergewinne zu einhundert Prozent versteuert; zum Ausgleich erhielt der Betreffende einen uneingeschränkten Einkaufsfreigutschein. Da der Staat die eingenommenen Steuern vorzugsweise dazu verwendete, das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung zu heben, wuchs die Zahl der Gutscheininhaber unaufhaltsam an.
Bis …
»Dann kam das Jahr der Katastrophen«, berichtete Moltion Gambral. »In einem der zahlreichen wissenschaftlichen Institute des Planeten nahm ein Team die Arbeit mit Gravitationsexperimenten auf. Leider waren diese Versuche erfolgreich.«
»Leider?« fragte Marsh verblüfft.
Gambral nickte. »Sie wissen vielleicht, daß die Gravitation eine unglaublich geringe Größe hat. Unsere Forscher nun wollten zunächst einmal feststellen, was Schwerkraft überhaupt ist, und zu diesem Zweck bauten sie zunächst einmal eine Maschine, die Schwerkraft erzeugte. Dann kam die Nacht der Verhängnisse.
Ein Atomreaktor drehte durch und produzierte immer mehr Energie. Man konnte die Anlage nicht abschalten, da sie sonst explodiert wäre; ebensowenig konnte man die gesamte Energie einfach auf das Leitungsnetz loslassen – es wäre zerstört worden. Also schickte man die überschüssige Energie auf den Gravitationsgenerator, der eine fast unbegrenzte Aufnahmefähigkeit besaß. Zu unserem Unglück funktionierte das Ding einwandfrei. Eine ganze Nacht lang ließ der Generator die Schwerkraft des Planeten auf das Sechsfache anwachsen; ganz Morcos wurde davon erfaßt und war für Stunden besinnungslos. Im Morgengrauen erst beruhigte sich der Reaktor und stoppte die Energiezufuhr zum Generator. Morcos atmete auf.«
»Ich glaube, ich begreife«, sagte Marsh ruhig. »In jener Nacht war selbstverständlich auch das astronomische Gleichgewicht des Systems gestört. Der Planet zog sich förmlich an sein Zentralgestirn heran – mit der sechsfachen Kraft. Aber nur ein Sechstel dieser Kraft wurde von der Fliehkraft des Planetenumlaufs aufgehoben – folglich schraubte sich Morcos immer näher an die Sonne heran!«
»Genau!« bestätigte der Morcone mit einem anerkennenden Lächeln. »Es dauerte Wochen, bis sich die Bahn des Planeten wieder stabilisiert hatte – was in dieser Zeit auf Morcos geschah, werden Sie sich vielleicht vorstellen können. Eine Katastrophe jagte die nächste. Es wurde unerträglich heiß. Das Wasser verdunstete und entwich in immer größeren Mengen in den Weltraum; die Ernten verdorrten; Landstriche wurden zu Wüsten; die Ozeane trockneten aus. Wir hatten zwei Möglichkeiten. Einmal konnten wir versuchen, den Unglücksfall mit umgekehrten Vorzeichen zu rekonstruieren. Ging dies nicht, mußten wir uns so schnell wie möglich eingraben und unter der Oberfläche des Planeten einen neuen Lebensraum für unser Volk finden.«
»Und wofür haben Sie sich entschieden?« fragte Viveca neugierig.
»Sehen Sie sich um!« antwortete Gambral hart. »Die Erbauer des Generators hatten nicht die leiseste Ahnung, wie das Ding wirklich funktionierte. An eine Umkehr des Versuchs war nicht zu denken. Das geschah vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren.«
»Zeit genug«, bemerkte Marsh leichthin, »um das wissenschaftliche Problem der Schwerkraft zu lösen.«
»Sie würden nie aufgeben, unter keinen Umständen?« fragte Gambral lächelnd. »Nun, wir waren ähnlich wagemutig und entschlossen. Und wir lösten das Problem Schwerkraft innerhalb von fünfzig Jahren. Das Problem war die Umkehrung der Schwerkraft. Es entsprach der Aufgabe, eine Lampe zu konstruieren, die Dunkelheit ausstrahlt. Es ist uns nach und nach gelungen, aber – um bei dem Vergleich zu bleiben – über kleine Taschenlampen sind wir nie hinausgekommen.«
Für Marsh war dies unbegreiflich. »Wenn Sie das Prinzip der Anti-Schwerkraft kennen und entsprechende Apparaturen bauen können, dann muß es doch möglich sein, die Leistung solcher Aggregate zu steigern.«