»Ganz so einfach ist das nicht«, antwortete der Morcone ruhig. »Versuchen Sie einmal, ganze Industriekomplexe unterirdisch mit beschränkten Hilfsmitteln anzulegen. Wir waren fast tausend Jahre lang vordringlich damit beschäftigt, unser Volk vor dem Aussterben zu bewahren. Und danach befanden wir uns in der beneidenswerten Lage eines Mannes, der in einer Zelle sitzt und sich die Feile zum Ausbruch selber schmieden muß – ohne Hilfsmittel wohlgemerkt.«
»Und wie ist die Lage jetzt?« wollte Elissa wissen.
»Verzweifelt!« erwiderte Moltion Gambral. »Wir müssen nahezu neunundneunzig Prozent unserer Fähigkeiten darauf verwenden, das Lebenssystem in den submorconischen Anlagen aufrechtzuerhalten. Und der Prozentsatz freier Kräfte sinkt von Generation zu Generation. Es sieht düster aus.«
»Mit anderen Worten«, stellte Marsh fest, »Ihr Volk steht vor dem Aussterben.«
»Die nächste Generation wird wahrscheinlich die letzte sein«, bestätigte Moltion Gambral. »Und jeder der Bewohner weiß es – die Welt Morcos ist so etwas wie eine Todeszelle in Planetengröße.«
»Reizend«, sagte Marsh. »Und wir hatten gehofft, hier Hilfe zu finden. Trösten Sie sich, wir werden mit Ihnen sterben.«
Die Gesichter der übrigen Terraner wurden langsam bleich; Gambral sah dies und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Noch ist nichts endgültig verloren«, sagte er beruhigend. »Zunächst einmal werden wir versuchen, die Schäden an Ihrem Schiff zu reparieren. Und wenn Sie in Ihr System zurückkehren, können Sie vielleicht eine Botschaft überbringen. Ihr Volk hat noch freie Reserven – Sie können uns vielleicht noch retten.«
»Ihr Optimismus in allen Ehren«, brummte Marsh. »Aber Sie verkennen unsere Möglichkeiten. Selbst wenn es Ihnen gelingt, unser Schiff wieder flugtauglich zu machen – wir werden Ihnen nicht helfen können. Bis das erste Schiff nach unserem Abflug von hier von der Erde aus hierhergelangt, sind zwanzig Jahre vergangen. Und ein einzelnes Schiff wird Ihnen schwerlich etwas nützen.«
»Sie irren sich!« sagte der Morcone sanft.
»Das würde mich freuen«, gab Marsh zurück; neugierig sah er den fast kahlen Morconen an. Längst hatte sich der Eindruck verflüchtigt, es mit einem Fremden zu tun zu haben; nach den bereits geführten Gesprächen erschien der Morcone den Terranern als guter alter Freund, der sich im Laufe langer Jahre stark verändert hat.
»Ich weiß sehr genau, auf welcher Basis Ihre Triebwerke arbeiten«, erklärte Gambral. »Und mir ist auch klar, daß auf dieser Basis für uns keine Möglichkeit besteht. Aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag – benutzen Sie eines unserer Schiffe!«
»Sind die schneller?« fragte Arvid.
»Mit unseren Antriebssystemen werden Sie innerhalb eines Tages Ihre Heimatsonne wiedersehen.«
»Das glaube ich nicht!« sagte Marsh impulsiv und richtete sich auf. »Mit überlichtschnellen Raumschiffen kann sich Ihr Volk mühelos selbst helfen.«
»Und wie?« fragte der Morcone unbeeindruckt zurück.
»Sie wandern aus!« erklärte Marsh ungeduldig. »Sie besiedeln ganz einfach ein anderes Sonnensystem.«
»Ganz einfach«, wiederholte der Extraterrestrier. »Mit vier Schiffen wollen Sie ein ganzes Volk umsiedeln?«
»Dann bauen Sie eben …«
Marsh unterbrach sich. Es war ihm eingefallen, daß die Morconen, besaßen sie die Möglichkeit zum Bau einer gewaltigen Evakuierungsflotte, selbstverständlich auch einen neuen Antigravgenerator hätten bauen können.
Dem Morconen waren Marshs Überlegungen nicht verborgen geblieben. »Nehmen Sie unser Angebot an?« fragte er leise. »Wir schenken Ihnen das Geheimnis des Interstellarfluges – und Ihr Volk baut für uns den großen Generator, den wir zur Bahnkorrektur des Planeten benötigen. Einverstanden?«
Vor Marsh Augen begann es zu flimmern. Er sah im Geiste schon gigantische Raumschiffe in die Tiefen des Alls vorstoßen. Wortlos schüttelte er dem Fremden die Hand.
»Ich glaube«, meinte Gambral, »wir sollten Ihre anderen Freunde nicht länger warten lassen.« Er ging auf eine Wand des Raumes zu und strich über eine kleine Kontaktplatte; geräuschlos öffnete sich ein Fach, in dem Marsh mehrere Skalen und mehr als ein Dutzend verschiedener Schalter erkennen konnte.
»Sie können jetzt Ihre Funkgeräte wieder benutzen«, erklärte Gambral freundlich, nachdem er vier Schalter bewegt hatte. »Das Radioabsorptionsfeld ist abgebaut.«
Marsh griff nach dem Mikrophon; schon beim ersten Anruf meldete sich Hayden Bellows.
»Wo, zum Teufel, habt ihr gesteckt?« fragte er erregt. »Gerade ist der Stein wieder aufgegangen. Sollen wir euch Hilfe schicken? Und wo sind Curry und Elissa?«
»Gemach!« versuchte Marsh den Redefluß zu stoppen. »Packt ein paar Kleider zusammen – bringt auch für uns etwas mit – und geht alle in den Gang. Ich wiederhole: alle. Vergeßt aber nicht, die Fahrzeuge zu sichern. Wenn ihr ein großes Loch seht, dann springt hinein – es ist ungefährlich! Wir warten auf euch.«
»Einfach so in ein Loch springen, ja? Ist bei euch alles in Ordnung?« wollte Hayden wissen.
Ruhig gab Marsh Auskunft. »Wir fühlen uns bestens, und Curry und Elissa sind ebenfalls bei uns. Und außerdem wissen wir auch schon, wie wir zur Erde zurückkehren können – in ein paar Tagen nur.«
10.
Die Morconen hatten in gigantischer Wühlarbeit ganze Städte im Erdboden entstehen lassen. Fünfhundert Meter unterhalb der Planetenkruste begannen die Siedlungen; an manchen Orten reichten die Anlagen mehr als vier Kilometer tief hinab. Verbunden wurden die einzelnen Siedlungskomplexe durch ein verwirrendes, aber perfekt durchorganisiertes System von Röhrenbahnen und Transportbändern.
Vier Tage brauchten die Menschen, um die Springflut von Informationen und Eindrücken zu verdauen, die stündlich über sie hereinbrachen. Am fünften Tag führte Moltion Gambral sie zu den Schiffen.
»Da sind sie«, sagte der Morcone stolz, dann fügte er mit einer gewissen Wehmut hinzu: »Seit zwei Jahrtausenden ist kein Schiff mehr gestartet.«
Die Schiffe hatten die Form eines vollkommen glatten Kegelstumpfes mit einer leicht abgeschrägten Deckplatte. »Hundert Meter«, schätzte Marsh die Höhe eines der Schiffe.
Gambral nickte anerkennend. »Stimmt fast genau«, bestätigte er.
»Wieviel Mann Besatzung?« wollte Arvid wissen.
»Einhundert«, gab der Morcone Auskunft. »Für die Steuerung werden allerdings nur drei Leute benötigt – der Rest besteht aus Passagieren. Was zu automatisieren war, haben wir automatisiert.«
Marsh zuckte es förmlich in den Fingern; er brannte darauf, einen Probeflug zu unternehmen.
»Auf welcher Basis arbeiten die Triebwerke?« erkundigte er sich.
Gambral zuckte mit den Schultern. »Innerhalb des Systems mit Ionenaggregaten. Wie der Überlichtantrieb funktioniert, weiß ich nicht.« Er bemerkte Marshs Erstaunen und fuhr hastig fort: »Keine Aufregung. Wir haben alle nötigen Lehrspulen für die hypnotische Schulung. In wenigen Stunden haben Sie alles gelernt, was zu einem einwandfreien Steuern des Schiffes unerläßlich ist. Beruhigt Sie das?«
»Einigermaßen«, brummte Marsh.
Die Halle war seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden; ein Schwarm morconischer Techniker war damit beschäftigt, kleinere Schäden zu beheben. Ein Mann kam aus dem Schiff und überreichte Marsh eine präzise Rißzeichnung des Raumers. »Das fanden wir in einer der Kabinen«, sagte er.
»Was könnte dies hier sein?« rätselte Marsh und deutete mit dem Finger auf einen mit Geräten offenbar vollgepfropften Raum neben der Zentrale.
»Das ist der Funkraum«, erklärte Moltion Gambral.
»Ohne Antennen?« fragte Marsh sarkastisch. Gambral lächelte.