Marsh nickte. »Wird ein Neandertaler ein Automobil des zwanzigsten Jahrhunderts beherrschen können?« fragte er weiter.
»Das konnten nicht einmal die Menschen jener Tage«, bemerkte Arvid. »Also muß uns irgend jemand beigebracht haben, mit diesem Schiff korrekt umzugehen.«
»Mit anderen Worten«, setzte Elissa Arvids Schlußfolgerung fort, »es gibt außer den Menschen noch intelligente Wesen im All, und von den ursprünglichen Besitzern unseres Schiffes müssen noch einige am Leben sein.«
»Anders gefragt«, sagte Marsh. »Kann man einem Neandertaler innerhalb weniger Tage beibringen, ein Auto zu steuern?«
»Nein«, antwortete Arvid sofort. »Es sei denn, man verfügt über spezielle Lernmaschinen, die …«
»… auf hypnotischer Basis arbeiten«, vollendete Viveca den Satz. »Und das bedeutet, daß man anstatt zu lernen auch lehren kann – anstatt daß sie Informationen freiwillig aufnehmen, werden den Schülern Daten aufgepfropft. Und was bei einem funktioniert, wird vermutlich auch bei allen anderen funktionieren.«
»Teuflisch!« stöhnte Arvid auf. »Wenn man diese Gedankenkette so abwickelt, bleibt der Erde nur eine Alternative – entweder Gefahr zu laufen, von Fremden hypnotisch übernommen zu werden – oder das Schiff prophylaktisch abzuschießen.«
»Und alles, was wir sagen«, führte Margalo aus, »wird man als von den Fremden beeinflußt ansehen können.«
Minutenlang versank die Zentrale in Schweigen. Auch Moltion Gambral war still; an diese Konsequenzen hatte er nicht gedacht. Allerdings hatte der Morcone noch einen Trumpf. Und er scheute sich nicht, die kleine psychologische Erpressung auch zu benutzen.
»Bevor Sie sich entscheiden«, sagte er sehr ruhig und sanft, »sollte ich Ihnen noch eines sagen – selbstverständlich wird Ihnen das morconische Volk zeitlebens Gastfreundschaft gewähren, sollten Sie sich dazu entschließen, umzukehren.«
Betroffen sahen sich die Terraner an; die Morconen, selbst vom Aussterben bedroht, erwiesen sich als derart großzügig – und ein paar Erdmenschen machten sich Sorgen.
Die Entscheidung zur Fortsetzung des Fluges kam einstimmig.
Drei Stunden später hatte das Raumschiff die nötige Geschwindigkeit erreicht, um den überlichtschnellen Flug antreten zu können.
Wie die Technik des Überlichtfluges tatsächlich funktionierte, konnte Marsh nicht sagen; seine hypnotische Ausbildung hatte sich darauf konzentriert, die Beherrschung der zahlreichen Apparaturen zu vermitteln. Dennoch wußte er genau, daß er das bekannte Universum verlassen hatte. Noch niemals hatte der große Panoramaschirm statt der Sterne ein wildes Wogen gräulicher Schleier gezeigt.
Der einzige Stern, der zu sehen war, lag genau voraus – die Zielsonne Sol. Innerhalb weniger Minuten wurde das unscheinbare Lichtpünktchen größer, bekam Konturen und wurde zu einer stetig wachsenden, hell leuchtenden Scheibe. Marsh starrte auf die kleine Spezialuhr, die vor ihm in das Kontrollpult eingebaut war; auf eine Millionstelsekunde genau zeigte das Gerät die Zeit an, die seit dem Zünden des Triebwerks verstrichen war.
Die Uhr war mit einem Rechner verbunden, der die präzisen Kursunterlagen besaß – unter anderem auch ein genaues Modell des irdischen Sonnensystems. Sämtliche Planetenbahnen waren exakt aufgezeichnet. Die präzise Zeitbestimmung war nicht nur für das Schiff lebenswichtig – eine Zehntelsekunde Fahrt mehr hätte den Kegelstumpf genau in der Höhe der Merkurbahn wieder in den Normalraum geführt. Da das Schiff mit der gleichen Geschwindigkeit in den Einsteinraum zurückfiel, mit dem es das Kontinuum verlassen hatte, wäre es unfehlbar mit der Sonne zusammengestoßen.
Wäre Merkur zu diesem Zeitpunkt in relativer Nähe gewesen, hätte der Schock des Wiedereintritts den Planeten in Stücke gerissen.
»Null!« schrie Marsh laut, als die Digitaluhr den vorherbestimmten Wert erreicht hatte. Im gleichen Augenblick fiel das Raumfahrzeug in den Raum des Sonnensystems ein.
Jetzt mußten so schnell wie möglich die Koordinaten bestimmt werden, wollte man nicht Gefahr laufen, das feingespannte Netz interplanetarischer Fahrtrouten in Verwirrung zu bringen.
»Wir sind auf der Höhe der Jupiterbahn«, berichtete Arvid nach einigen Sekunden. Auf dem Monitor vor Marsh flammte das holographische Modell des Sonnensystems auf.
»Bei dieser Verzögerung werden wir etwa in der Höhe des Mars zum Stillstand kommen«, schätzte Marsh laut ab. »Margalo, schon irgendwelche Funkkontakte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Auf allen Frequenzen totales Chaos«, meldete sie fröhlich. »Aber bisher noch kein Anruf für uns.«
In diesem Augenblick fiel Marsh ein, daß sich bislang niemand der Mühe unterzogen hatte, dem morconischen Schiff einen Namen zu geben; nach kurzem Überlegen hatte er sich entschieden. Keine Sekunde zu früh, denn im gleichen Augenblick konnte er in seinem Lautsprecher eine gebieterische Stimme hören.
»An alle Schiffe«, dröhnte es aus dem Schallkörper. »Sofortige Funkstille für alle militärischen und zivilen Einheiten. In Notfällen ausweichen auf ein Viertel Wasserstoff!«
Anschließend zitierte der Sprecher die Terrestrische Raumordnung, vor allem die Paragraphen, die im Falle des Auftauchens eines nichtirdischen Raumfahrzeugs anzuwenden waren. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war die interplanetarische Standardbandbreite völlig stillgelegt; lediglich die Großfunkanlage des World Space Center funkte weiter in diesem Bereich.
»Wir rufen das fremde Schiff!« klang es aus dem Lautsprecher. »Bitte, identifizieren Sie sich. Im Weigerungsfalle sehen wir uns genötigt, das Feuer zu eröffnen.«
Marsh zog bedächtig das Mikrophon auf dem biegsamen Stengel näher an den Mund.
»Hier Schiff DREADNOUGHT«, sagte er langsam und deutlich. »Kommandant ist Marsh Garfield. Die Crew ist bis auf eine Ausnahme identisch mit der Besatzung des Forschungsschiffs NEW FRONTIER. Ende.«
»Wir müssen umschalten!« gab Margalo bekannt. »Der Sprechfunk mit der Jupiterstation ist nicht länger möglich.«
»Auf Morsefunk umschalten!« befahl Marsh und stellte dann eine Verbindung zum Maschinenleitstand her.
»Lassen Sie die Anlagen so arbeiten, daß wir auf der Erdbahn zum Stillstand kommen. Und dort werden wir uns mit den Herren vom WSC einmal unterhalten.«
11.
Sie hatten aufgeboten, was die Erde an Waffensystemen zum Einsatz bringen konnte.
Fünfzehn große Schiffe schwirrten unablässig um die DREADNOUGHT herum; die Kristalle der schweren Lasergeschütze blitzten drohend. Fast noch gefährlicher waren die ständig einsatzbereiten Raketenwerfer der Orbitalstationen und die überschweren Lasergeschütze auf der Erde.
Marsh fand dieses Aufgebot beeindruckend; Moltion Gambral hingegen zeigte sich ungerührt. Gelassen wartete er ab und verfolgte auf dem Bildschirm das Herannahen der irdischen Delegation. Es war ein ziemlich kleines Schiff, das an der Mannpforte der DREADNOUGHT festmachte; mehr als zehn Personen konnte es mit Sicherheit nicht transportieren.
Marsh war von seinem Platz aufgestanden und hatte sich gelassen gegen das Kontrollpult vor dem Kommandantensitz gelehnt. Er verlor seine Ruhe augenblicklich, als die Delegation der Erde die Zentrale der DREADNOUGHT betrat; an der Spitze ein zerbrechlich wirkender, uralter Mann.
»General Avidan!« schrie Marsh verblüfft und machte einige Schritte auf seinen ehemaligen Chef zu. Jäh stoppte er die Bewegung, als er die Kälte in den Gesichtszügen des Mannes sah. Und noch etwas kam ihm zum Bewußtsein: Für Marshs Zeitgefühl hatte er den General lediglich ein paar Wochen lang nicht gesehen. Um so schlimmer machten sich jetzt die Alterserscheinungen bemerkbar.
Hinter dem General betraten einige Männer den Raum, die auf den ersten Blick als Politiker zu identifizieren waren. Marsh lächelte mit aller verfügbaren Freundlichkeit.