Marsh nickte. Interessiert verfolgte er den Verlauf der grünen Linie auf dem Kursanzeiger; die Kurven der Anflugroute waren derart ineinander verschlungen, daß ein Uneingeweihter sicherlich zerschellt wäre, bevor er den Werftsektor erreicht hätte.
Als sie am Zielgebiet waren, stellte Marsh fest, wie hervorragend der Platz ausgewählt worden war. Die Montagehallen standen auf einem mittelgroßen Asteroiden, der ununterbrochen von einigen tausend kleineren Brocken umschwirrt wurde. Man hatte sie zum Zweck der Abschirmung auf diese unnatürlichen Bahnen gebracht.
Das Pendlerschiff feuerte kurz aus den Korrekturdüsen und bremste seine Fahrt auf Null ab; der Pilot drehte sich wieder zu Marsh um und sagte erklärend: »Nur in sehr unregelmäßigen Abständen kann ein Schiff diesen Schwarm ungefährdet durchfliegen. Wir müssen noch etwas warten.«
Marsh nickte schweigend. Nach etwas mehr als acht Minuten dröhnten die Triebwerke wieder auf und schoben das Schiff durch den beweglichen Vorhang aus kosmischem Geröll. Der Autopilot schaltete sich ab, und der Skipper steuerte das Schiff gekonnt an einen Anlegeplatz des zentralen Asteroiden. Ein leiser, nachhallender Schlag ging durch den Schiffskörper, als die Schleuse die Außenhaut des Fahrzeugs berührte und arretiert wurde. Marsh nahm die leichte Erschütterung nicht wahr; sein ganzes Interesse galt dem gewaltigen Schiffskörper, der von dem Asteroiden in die Höhe ragte.
Auf vier meterdicken Stahlstützen ruhte ein aus schweren Winkeleisen konstruierter, quaderförmiger Metallkäfig. Im Innern des Gerüsts erkannte Marsh acht mit leuchtenden Farben bemalte Behälter, die wie riesige Torpedos aussahen – großvolumige Zylinder mit abgerundeten Decken, vermutlich die Treibstoffbehälter. Nur undeutlich war die große Röhre zu erkennen, um die herum die Behälter angeordnet waren; Marsh schätzte die Höhe der Konstruktion auf ziemlich genau einhundert Metern. Gekrönt wurde das Gebilde von einer perfekten Metallkugel, die oben auf dem Käfig befestigt war.
»Wohl der Lebensraum für die Besatzung«, murmelte Marsh unhörbar. Die Stimme des Navigators riß ihn aus seinen Gedanken.
»In der Schleuse wartet jemand auf Sie«, verkündete er. Garfield nickte kurz und verließ das Pendlerschiff.
»General Avidan«, sagte er erfreut, als er die kurzgewachsene Gestalt in der Schleuse erkannte.
»Kommen Sie, Skipper«, meinte Avidan. »Die restliche Crew wartet bereits auf Sie.«
Rechnete man Richard Avidan und Marsh dazu, so hielten sich in dem kleinen Versammlungssaal genau einundfünfzig Personen auf: Fünfundzwanzig Frauen und sechsundzwanzig Männer sehr unterschiedlichen Alters. Die Blicke aus hundert Augen schienen Marsh durchbohren zu wollen; ruhig ging der Mann auf den einzigen noch leeren Stuhl zu, der vor dem Katheder aus Stahlrohr stand. Avidan wartete, bis sich Marsh gesetzt hatte; dann erst begann er zu sprechen.
»Sie alle wissen nur ungefähr, was Sie hier zu suchen haben«, begann er vorsichtig. »Sie kennen den Namen des Projekts – NEW FRONTIER –, und Sie wissen auch annähernd, wie dieses Unternehmen aussieht. In ungefähr einem halben Jahr werden Sie dieses Schiff besteigen und damit ein anderes Sonnensystem anfliegen.«
»Welches?« kam eine scharfe Zwischenfrage.
»Das ist einstweilen noch geheim«, erwiderte Avidan mit einem verlegenen Lächeln. »Die Tatsache, daß wir den Zielstern noch nicht kennen, dürfte unsere Arbeit nicht behindern. Ich möchte Ihnen keinen Vortrag halten; es dürfte besser sein, wenn Sie mir Fragen stellen. Ich werde versuchen, sie so gut wie möglich zu beantworten.«
»Wie arbeitet der Antrieb?« wollte Marsh wissen. »Plasmatriebwerke?«
Avidan schüttelte den Kopf. »Es handelt sich um Photonentriebwerke«, sagte er lächelnd.
Erstaunte Pfiffe wurden hörbar. »Einzelheiten«, rief jemand aus dem Hintergrund.
Avidan schnippte mit den Fingern. Sekunden später war der Raum verdunkelt; eine Leinwand entfaltete sich, und aus der Rückwand des Zimmers stachen farbige Lichtbündel auf die weiße Fläche. Das Bild auf der Leinwand zeigte einen maßstabgerechten Aufriß des Sternenschiffes.
»Sie sehen hier die unteren vier der acht großen Tanks«, sagte Avidan und umkreiste dabei die entsprechenden Abschnitte der Zeichnung mit einem Leuchtpfeil. »Die beiden rechten Tanks sind mit flüssigem Wasserstoff gefüllt – die anderen beiden Tanks enthalten Anti-Wasserstoff.« Mit Genuß nahm er die allgemeine Verblüffung zur Kenntnis. »Wie Sie alle wissen, besteht normaler Wasserstoff aus einem Proton und einem Elektron. Unser Anti-Wasserstoff hingegen setzt sich aus einem Anti-Proton und einem Positron zusammen. Kommen beide Stoffe miteinander in Berührung, dann …«
»… gibt es einen hübschen Knall und fünfzig bildschöne Leichen!« setzte eine Stimme aus dem Halbdunkel den Satz respektlos fort.
»Ganz so arg wird es nicht werden«, sagte Avidan schnell. »Wir haben endlich ein Verfahren entwickelt, die beiden Stoffe in kleinsten Mengen zu einer hundertprozentig kontrollierten Reaktion zu bringen. Für alle Nicht-Physiker unter uns sei noch kurz erklärt, wie die Reaktion abläuft. Treffen ein Wasserstoffmolekül und ein Molekül des Anti-Wasserstoffs aufeinander, so werden sie vollständig in Energie umgewandelt. Der weitaus größte Teil dieser Energie entlädt sich in dem für uns sichtbaren Teil des Spektrums – dem Licht. Dieses Licht wird gebündelt und aus dem Heck des Schiffes abgestrahlt.
Dieses abgestrahlte Licht weist nun einen gewissen Massenwert auf. Wenn Sie ganz normales Sonnenlicht auf eine Platte fallen und reflektieren lassen, dann üben die Strahlen einen minimalen Druck auf die Platte aus. Werden solche Lichtkorpuskeln – Photonen genannt – aus unserer Rakete abgestrahlt, so erzeugen sie einen gewissen Schub, der das Schiff antreiben kann.«
»Licht ist bekanntlich eine Welle«, wurde dem General entgegengehalten.
»Weiß ich«, stöhnte Avidan auf. »Hier aber verhält es sich wie ein Teilchen. Ich habe das nie begriffen und werde es voraussichtlich auch nie verstehen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß das Licht die Rakete vorwärtstreiben wird.«
»Mit welcher Beschleunigung?«
»Ein g«, antwortete Avidan.
»Und für welche Zeit?« bohrte der Fragesteller weiter.
»Bis zur Hälfte der Fahrtstrecke«, gab der General bekannt. »Dann wird das Schiff gedreht und mit der gleichen Beschleunigung wieder abgebremst.«
Irgendwo im Hintergrund wurde das Klappern eines Taschenrechners hörbar.
»Falsch«, klang es plötzlich durch den Raum. »Wenn der Flug zum Ziel zehn Jahre in Anspruch nehmen soll, wird das Schiff fast fünf Jahre lang pausenlos beschleunigt. Ich habe aber gerade ausgerechnet, daß schon nach einem Jahr Beschleunigung mit einem g die Lichtgeschwindigkeit überschritten werden müßte. Und das ist nicht möglich.«
Marsh hielt es für angebracht, den sich ratlos umsehenden General zu unterstützen, und sagte gelassen: »Sie haben, Teuerster, ebenfalls einen Fehler gemacht. Ein Beispieclass="underline" Sie verwendeten den Begriff Jahr. Sie vergaßen dabei, daß dieser Zeitraum je nach dem Standpunkt des Betrachters verlängert oder verkürzt wird. Die Tage und Stunden, in denen wir im Schiff unablässig an Geschwindigkeit gewinnen, werden auf der Erde zu Wochen und Monaten. Wenn es nach fünf Erdjahren Zeit wird, das Schiff zu wenden und die Fahrt abgebremst werden muß, dann sind für uns an Bord nur wenige Monate vergangen, und wir haben die Lichtgeschwindigkeit gar nicht erreicht.«
»Aber für den Betrachter auf der Erde beschleunigen wir doch fünf Jahre lang?« wandte der Kritiker ein.
»Das stimmt«, gab Marsh zu. »Nur – bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit wird für den Erdbeobachter auch unsere Masse immer größer. Und da die Beschleunigung eines Körpers abhängig ist von der auf ihn wirkenden Kraft und seiner Masse, wird unsere Beschleunigung stetig abnehmen – für den Zuschauer auf der Erde. Sind diese Bedenken nun ausgeräumt?«