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In den letzten Stunden war die Bevölkerung der Station um zehn Personen gewachsen; ein Viertel der Wissenschaftler, die den gesamten Flug im Tiefschlaf verbracht hatten, war aufgeweckt worden und hatte eine weitere Kuppel mit Beschlag belegt. Bei allen hatte das Kühlverfahren einwandfrei gearbeitet; sie fühlten sich wohl und waren, wie die Untersuchungen bewiesen hatten, in jeder Hinsicht topfit.

Ein Archäologe, Vinton Carette, ging als erster auf Marshs Bericht ein. »Das hört sich interessant an, Marsh«, sagte er gelassen. »Können Sie mir sagen, wie alt das Bauwerk ungefähr ist?«

Marsh zuckte mit den Schultern und bedachte Arvid mit einem hilfesuchenden Blick.

»Zahlen kann ich natürlich nicht nennen«, meinte der Navigator zögernd. »Aber sehr alt ist die Pyramide sicherlich nicht. Ich habe keine Verwitterungserscheinungen bemerken können. Alle Kanten waren noch scharf ausgeprägt.«

»Sehr schön«, kommentierte Carette. »Können Sie sich ein Volk vorstellen, das vor weniger als tausend Jahren die Fähigkeit hatte, ein solches Bauwerk zu errichten – und dann nichts anderes mehr baute? Wenn keine anderen Ruinen zu finden sind, wie Sie sagen, dann hört sich Ihre Erzählung sehr eigentümlich an.«

»Wollen Sie behaupten, wir erzählten hier Märchen?« fragte Arvid leicht gereizt.

Ein Psychologe kam Carette zu Hilfe. »Verstehen Sie mich richtig«, warf er ein. »Eine Hochzivilisation auf diesem Planeten wäre für uns genau das Wunder, das wir brauchen, um zur Erde zurückkehren zu können. Sind Sie sicher, daß die Hoffnung auf solch ein Wunder Ihre Wahrnehmungsfähigkeit nicht sehr stark beeinträchtigt haben könnte?«

Marsh schüttelte heftig den Kopf.

»Auf keinen Fall!« sagte er entschieden. »Unsere Beobachtungen stimmen in allen Details vollkommen überein. Und so genau kann die Phantasie gar nicht arbeiten, als daß sie bei zwei verschiedenen Menschen völlig identische Halluzinationen hervorruft!«

»Nehmen wir also an, daß Marsh sich nicht geirrt hat«, meinte Vinton. »Es wird vermutlich keiner widersprechen, wenn ich einen besser vorbereiteten Ausflug zur Pyramide vorschlage.«

Seine Vermutung traf zu, wie das beifällige Murmeln der Versammlung bewies.

»Wir werden zwei Rover benutzen«, bestimmte Marsh. »Das bedeutet, daß die Teilnehmerzahl auf acht Personen beschränkt ist. Die anderen können während unserer Abwesenheit weiter am Aufbau des Lagers arbeiten.«

»Prachtvoll!« rief Viveca spöttisch. »Unser verehrter Kommandant macht einen vergnüglichen Ausflug, während seine Sklaven sich hier abrackern dürfen …«

»Teuerste«, konterte Marsh trocken, »Eurer Entrüstung fehlt die Grundlage. Ich wollte gerade vorschlagen, daß du uns begleitest – sozusagen als Geheimwaffe. Sollten sich in der Nähe der Pyramide mordlüsterne Ungeheuer herumtreiben, wird deine spitze Zunge sie vermutlich zur sofortigen Flucht veranlassen.«

»Ohne an den Qualitäten unserer Freundin herumdeuteln zu wollen«, sagte Curry Cobb langsam, »aber rechnest du ernsthaft damit, an oder in der Pyramide Leben vorzufinden?«

Marsh zuckte mit den Schultern. »Es ist zwar äußerst unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen.«

Während er sprach, fiel ihm wieder der Anblick des zerstörten Hecks der NEW FRONTIER ein: Meteore waren jedenfalls nicht daran schuld. Und aus den Aufzeichnungen der Bordinstrumente hatte er erfahren, daß die Vernichtung nach dem Abschalten der Triebwerke geschehen war.

Noch war er der einzige, der diese Informationen besaß …

»Ich nehme alles zurück und schwöre das Gegenteil!« murmelte Carette. »Das Ding ist echt.«

Die beiden Rover standen auf der Hügelkuppe, genau an der Stelle, an der die Fahrtspur des Ausflugs vom Vortag abbrach. Die Besatzungen standen auf dem feinkörnigen Sand und richteten ihre Ferngläser auf die Pyramide. Als Vinton das Glas senkte, machte er ein sehr nachdenkliches Gesicht. »Rätselhaft«, murmelte er. Dann wandte er sich an Marsh. »Sehen Sie sich das Bauwerk noch einmal genau an!« sagte er unsicher. »Sie werden nicht die geringsten Zerfallserscheinungen feststellen können. Trotz der großen Entfernung zwischen uns und der Pyramide können Sie noch die harten Konturen der Stufen erkennen.«

»Und was schließen Sie daraus?« wollte Marsh wissen.

»Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten«, überlegte Carette. »Die erste geht vom Augenschein aus und schreibt der Pyramide ein Alter von weniger als tausend Jahren zu. Wenn das Bauwerk von Bewohnern dieses Planeten hergestellt sein sollte, steht die Logik auf dem Kopf.«

»Wieso?«

»Stellen Sie sich vor, daß ein Volk praktisch aus dem Boden wächst, eine riesige Pyramide zaubert und anschließend spurlos wieder verschwindet. Das ist völlig absurd.«

»Das ist eine Theorie«, sagte Marsh. »Wie sieht die zweite aus?«

»Es wäre möglich, daß die Pyramide wesentlich älter ist, aber durch besondere Maßnahmen vor dem Verfall geschützt wird«, erklärte Vinton. »Das aber erfordert einen wesentlich höheren technischen Stand des erbauenden Volkes. Und ein Volk, das Steinmonumente für Jahrzehntausende konservieren kann, verschwindet nicht einfach – es muß technische Mittel gekannt haben, unter fast jeder Umweltbedingung zu überleben. Wo also sind diese Wesen?«

»Es gibt noch eine Möglichkeit«, mischte sich Curry in die Unterhaltung. »Es könnte auch die Konstruktion eines anderen raumfahrenden Volkes sein. Vielleicht ist es eine Art kosmischer Wegweiser oder auch ein Nachschubdepot.«

»Diese Lösung wäre für uns natürlich ideal«, meinte Arvid hoffnungsvoll. »Jedenfalls sollten wir uns die Pyramide einmal näher ansehen.«

Marsh ließ das Fahrzeug ausrollen und schaltete den Antrieb aus; leise winselnd kamen die Maschinen zum Stillstand. Wie ein granitenes Gebirge ragte die Konstruktion in die heiße Luft.

Die einzelnen Szenen eines Reliefs, das eine Seite der Pyramide vollständig bedeckte, waren für die Menschen vollkommen unverständlich; allerdings war zumindest festzustellen, wie die Erbauer der Pyramide ausgesehen haben mußten. Die Gestalten waren unverkennbar humanoid, über zwei Meter groß und erschreckend schlank. Der Hinterkopf war im Vergleich zum menschlichen stark verlängert, außerdem besaß jede Hand einen zweiten, frei beweglichen Daumen.

Auf den Bildern kämpften die Gestalten gegen monströs aussehende Tiere, befuhren Flüsse und betrieben offensichtlich Ackerbau und Viehzucht. Eine Darstellung erregte Marshs besondere Aufmerksamkeit. Auf einem Bild wurde eine Rakete gestartet; der Strahl des Antriebs war deutlich zu erkennen.

Auch Arvid hatte diese wichtige Stelle entdeckt und aus den Bildern die richtigen Schlüsse gezogen; begeistert schlug er Marsh auf die Schulter.

»Jetzt bin ich sehr sicher, daß wir hier ein Notdepot vor uns haben«, rief er zuversichtlich. »Das wird uns sehr weiterhelfen.«

»Gemach«, stoppte Marsh den Gefühlsausbruch. »Noch wissen wir nicht, was in der Pyramide ist, wenn überhaupt etwas darinnen steckt. Und den Eingang müssen wir auch erst noch finden.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, bemerkte Curry. »Ich würde vorschlagen, daß zwei Leute einmal rund um das Ding herumgehen und nach einer Öffnung suchen.«

Er wollte noch weitersprechen, als hinter den Männern ein Schrei zu hören war; Marsh fuhr herum und sah Vinton Carette, der auf dem Sand lag und leise stöhnte.

»Was ist passiert?« rief Marsh und lief auf den Gestürzten zu. Vorsichtig richtete er den Mann wieder auf. Vinton klopfte den Sand von seiner Kleidung und machte ein finsteres Gesicht.

»Ich wollte gerade ein besonders interessantes Teilstück des Reliefs untersuchen und ging deshalb ganz dicht an die Außenwand der Pyramide heran. Als ich die Wand berührte, bekam ich einen elektrischen Schlag und wurde von irgendeiner unsichtbaren Kraft zurückgeschleudert.«