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«Welche Freundin!»

«Na Klara. Die, von der meine Frau weiß.»

«Warum wird man Steuerberater?»

«Bitte?»

«Warum Steuerberater? Ich habe mich das immer wieder gefragt.»

Er schweigt. Aber warum soll ich keine Fragen stellen, wo steht geschrieben, dass ich in der Beichte nicht auch etwas lernen darf?

«Ich mag Kreuzworträtsel», sagt er dann. «Wenn alles säuberlich ausgefüllt ist. So richtig. Ich mag das. Man bekommt die Belege, es ist erst ein Chaos, aber dann fängt man mit dem Ausfüllen der Formulare an. Hierhin etwas und dorthin etwas, dieses Feld und jenes Feld, irgendwann stimmt alles. Im Leben ist ja sonst nie etwas in Ordnung. Brauchen Sie einen Steuerberater?»

«Nein, nein. Danke.»

«Das Geld war nicht von einem Klienten. Das dürfen Sie nicht glauben. Es war aus der Kanzleikasse für Büroausgaben. Ein Freund von mir hat einen Vertrieb für Möbel, ich habe ihm gesagt, ich kaufe neue Drehstühle, aber du musst die Rechnung etwas höher ausstellen, dreitausend Euro etwa, und dann –»

«Eben haben Sie gesagt: Tausend!»

«– hat er die Stühle geliefert, und ich habe bezahlt und die Differenz mit ihm geteilt. Leider wollte er dann das Geld, das ich bekommen habe, als Sonderausgabe von der Steuer absetzen, und da er unser Klient ist, musste ich ihm sagen, dass das nicht geht. Ich habe ein paar Buchhaltungstricks versucht –»

«Reden wir von den Frauen.»

«Es ist furchtbar, Herr Pfarrer! Sie rufen ständig an.»

«Wer?»

«Alle außer meiner Frau. Die ruft nie an. Warum auch. Und jeden Tag besuche ich eine von ihnen, ich habe das gut organisiert, aber wenn es zu lange dauert, muss ich trotzdem … so wie vorhin! Wie halten Sie das aus, Herr Pfarrer? Einmal habe ich es eine Woche lang geschafft. Ich bin zu Hause geblieben, habe mit den Kindern gespielt und meiner Frau beim Kochen geholfen. Abends haben wir YouTube-Videos von lustigen Tieren gesehen. Es gibt so viele. Tausende Videos. Tausende lustige Tiere.»

«Was machen die?»

«Fressen, herumrollen, Geräusche. Am dritten Tag dachte ich: So schlimm ist das gar nicht. Am fünften dachte ich, ich muss mich umbringen. Dann bin ich zu ihr gegangen.»

«Zu welcher?»

«Ich weiß nicht mehr, ist das wichtig?»

«Nein.»

«Also was soll ich tun?»

«Genau das. Bleiben Sie daheim. Helfen Sie kochen. Sehen Sie Tiervideos.»

«Aber das ist schrecklich.»

«Natürlich ist es schrecklich. Das ist das Leben.»

«Warum sagen Sie mir so etwas?»

«Weil ich nicht Ihr Therapeut bin. Ich bin auch nicht Ihr Freund. Sehen Sie der Wahrheit ins Gesicht. Sie werden nie glücklich sein. Aber das macht nichts. Man kann auch so leben.» Ich warte einen Moment, dann schlage ich das Kreuz. «Ich spreche dich frei von deinen Sünden. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Seien Sie Ihrer Frau treu, solange es geht. Versuchen Sie es zwei Wochen lang. Zwei Wochen müssen möglich sein. Und geben Sie das Geld zurück. Das ist Ihre Buße.»

«Wie soll ich das verbuchen?»

«Finden Sie einen Weg.»

«Das sagt sich leicht! Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann nicht einfach so zwölftausend Euro zurück an die Kanzlei überweisen!»

«Zwölf?»

«Ich bleibe lieber drei Wochen daheim. Drei, ja?»

«Geben Sie das Geld zurück!»

Er schweigt. «Die Lossprechung gilt doch? Ich meine, unabhängig von der Buße? Die ist keine … Bedingung?»

«Das Sakrament ist vollzogen. Aber das Geld nicht zurückzugeben wäre eine neue Sünde.»

«Dann komme ich wieder.»

«So geht das nicht!»

«Natürlich könnte ich es als Steuererstattung ausgeben. Aber wenn dann eine Betriebsprüfung stattfindet, was mache ich? Ich kann es nicht verbuchen!»

Er wartet. Ich antworte nicht.

«Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer.»

Das Holz knarrt, seine Schritte entfernen sich. Ich hätte gern einen Blick auf sein Gesicht geworfen, aber das Beichtgeheimnis verbietet es mir, und ich halte mich an die Regeln. Die Protestanten haben einen Gott, der wissen möchte, was in ihrer Seele vorgeht, aber ich bin Katholik, und meinen Gott interessiert nur, was ich tue. Ich nehme den Würfel, und gerade als ich überlege, ob ich klassisch vorgehen oder lieber mit einem Viererblock anfangen soll, knarrt wieder das Holz.

«Ich trinke.»

Ich lege den Würfel weg.

«Ständig trinke ich. Ich kann nicht aufhören.»

Ich beneide Alkoholiker. Filme werden über sie gedreht, man engagiert die besten Schauspieler, man schreibt über sie Reportagen und Romane. Aber Menschen, die viel essen? Dünne Leute sagen ja, dass alles eine Frage der Willenskraft sei, aber vielleicht sind sie bloß dünn, weil sie weniger Hunger haben. Vorhin habe ich mir beim Automaten an der Ecke zwei Schokoriegel gekauft. Nicht um sie zu essen, sondern um sie dabeizuhaben. Was für eine dumme Idee.

«Ich will sonst gar nichts mehr. Nur trinken. Meine Frau hat mich verlassen, den Job habe ich verloren, alles egal. Nur trinken will ich.»

«Ich kann Sie nur lossprechen, wenn Sie den ehrlichen Wunsch haben, sich zu ändern.»

Mein Telefon vibriert. Ich nestle es hervor und sehe auf dem Bildschirm die Nummer von Erics Büro. Das ist seltsam, denn Eric ruft mich niemals an. Aber jetzt kann ich nicht rangehen.

«Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.»

«Sie wissen nicht, ob Sie aufhören wollen zu trinken?»

«Ich würde gerne nicht mehr trinken wollen, aber ich will trinken.»

Ist das eine kluge Unterscheidung oder absurd? Das Telefon hört auf zu vibrieren.

«Essen Sie da etwa, Herr Pfarrer?»

«Nein! Versuchen Sie, zwei Tage nicht zu trinken. Das ist doch ein Anfang. Dann kommen Sie wieder!»

«Zwei Tage? Das kann ich nicht.»

«Dann darf ich Sie nicht lossprechen.» Der erste Bissen war herrlich. Die brechende Schokolade, das feine Prickeln des Kokos. Aber jetzt merkt man es schon: zu fett, viel zu süß. So ist es mit den meisten Dingen, Jesus hat das übersehen, Buddha war aufmerksamer. Nie genügt etwas wirklich. Alles ist unzureichend, und doch kommt man nicht los.

«Sie essen!»

«Kommen Sie in zwei Tagen wieder.»

«Hören Sie auf zu essen!»

«Ich esse nicht.»

«Im Beichtstuhl!»

«In zwei Tagen. Wenn Sie nicht getrunken haben. Dann kommen Sie wieder!»

Das Holz knarrt, er geht. Ich zerknülle die leere Metallfolie und denke an den zweiten Riegel. Er ist noch in meiner Tasche, und dort wird er auch bleiben.

Ich ziehe ihn aus der Tasche.

Aber ich habe ihn noch nicht ausgepackt. Und selbst wenn er schon ausgepackt wäre, hätte ich noch nicht hineingebissen. Alles steht in meiner Macht. Das Mysterium des freien Willens: Ich kann hineinbeißen, ich kann es lassen. Es liegt bei mir. Alles, was ich tun muss, damit es nicht geschieht, ist, es nicht zu tun.

Der zweite schmeckt gar nicht mehr. Ich kaue schnell und wütend. Der zweite schmeckt nie. Das Telefon vibriert. Schon wieder Erics Büro. Es muss wichtig sein.

«Ich beneide dich», sagte Iwan.

«Das ist übertrieben.»

Wir saßen auf einer Bank im Wandelgang des Klosters Eisenbrunn. Die Bäume wiegten sich im kühlen Wind, Vögel sangen, von der Küche her roch es nach Essen, dann und wann ging gesenkten Hauptes ein Mönch in seiner Kutte vorbei. Man hätte meinen können, man wäre in einem anderen Jahrhundert.

Ich war froh, Iwan zu sehen. Nach einer Woche strenger Exerzitien war ich der frommen Gesichter müde. Mein Bruder war ohne Ankündigung aufgetaucht, wie es seine Art war. Der Pförtner hatte ihn fortschicken wollen, aber dann hatte er ihn doch hereingelassen. Iwan war nun einmal schwer abzuweisen.

«Sie haben dir sogar den Würfel abgenommen?»

«Teil der Übung», sagte ich. Am Anfang hatte er mir gefehlt, aber inzwischen fragte ich mich, ob womöglich das, was ich für meine liebste Beschäftigung gehalten hatte, in Wirklichkeit nur eine Sucht war.

«Du warst bei Lindemann?», fragte ich.