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«Es war sehr unergiebig. Kein interessanter Mensch.»

«Aber hat er sich erinnert? Konnte er dir erklären –»

«Ich sage doch, er ist nicht interessant.»

«Aber –»

«Martin, da gibt es gar nichts zu erzählen! Ich wünschte, ich wäre wie du. Du weißt, was du willst. Ich bin nicht einmal zum Künstler geeignet.»

«Unsinn.»

«Das ist keine Bescheidenheit und auch keine Krise. Ich habe eingesehen, dass ich nicht geeignet bin, Maler zu sein.»

Durch den Säulengang kamen drei kuttenverhüllte Mönche. Der links war ein Säufer, der in der Mitte sah abends stundenlang Sportübertragungen auf einem alten Schwarzweißfernseher, der rechts war neulich wegen seiner Sammlung pornographischer Videos verwarnt worden. Aber für Iwan, der sie nicht kannte, mussten sie wie Erleuchtete aussehen.

«Notfalls kann ich Kunstprofessor werden. Oder Kurator. Würde ich weiter malen … Ich wäre mittelmäßig. Bestenfalls mittelmäßig. Bestenfalls.»

«Wäre das so schlimm? Die meisten sind mittelmäßig. Per definitionem.»

«Eben. Aber dann denk an Velázquez und daran, wie er das Weiß der Leinwand einsetzt, als wäre es Farbe. Oder an Rubens Hauttöne. Oder an die Kraft von Pollock, seinen Mut, zu malen wie ein Verrückter. Ich kann so etwas nicht. Ich kann nur ich sein. Und das reicht nicht.»

«Du hast schon recht», sagte ich nachdenklich. «Wie lebt man damit, dass man nicht Rubens ist? Wie arrangiert man sich? Zu Beginn denkt man ja bei allem, man ist eine Ausnahme. Aber kaum einer ist eine Ausnahme.»

«Per definitionem.»

«Suchst du noch ein Dissertationsthema?»

«Keine schlechte Idee.» Er scharrte mit der Schuhspitze im Kies, blickte auf und lächelte. «Gar keine schlechte Idee. Wir reden zu selten. Hast du schon die niederen Weihen?»

«Das dauert noch.»

«Ich meine das ernst, ich beneide dich. Die Welt verlassen. Aus allem hinaustreten. Einfach nicht mehr dabei sein.»

«Schön wär’s.» Sonnenstrahlen fielen durchs Geäst der hohen Bäume, auf den Kieselsteinen tanzten Lichtflecken. «Man ist immer noch dabei. Nur anders. Es gibt keinen Weg hinaus.»

«Bete für mich.» Iwan stand auf. «Morgen fliege ich nach England, vielleicht sehen wir uns zu Weihnachten. Bete für mich, Bruder Martin. Ich bin einer von denen, die Gebete brauchen.»

Ich sah ihm nach. Das Klostertor öffnete sich summend. Die Dinge sahen hier mittelalterlich aus, aber überall floss Strom, es gab versteckte Sicherheitskameras, und immer öfter sah man Mönche in winzige Telefone sprechen. Hier wie überall geschah etwas Unausweichliches mit der Welt. Langsam stand ich auf. Gleich würden die Glocken zur Abendandacht rufen.

Während der ersten zwei Tage hatte ich gemeint, die Langeweile werde mich umbringen, aber dann war es besser geworden, und mittlerweile konnte ich stundenlang in der Kirche knien und dem Auf und Ab der gregorianischen Melodien zuhören. Auch der Hunger plagte mich nicht mehr ständig, und so konnte ich meine Knieschmerzen vergessen, zu den hohen Fenstern aufblicken und überzeugt davon sein, dass ich dort war, wo ich nach Bestimmung und Geschick zu sein hatte.

Nur Gott spürte ich nicht.

Ich wartete, betete, wartete und betete. Aber ich spürte ihn nicht.

Ich verstand mich gut mit den anderen Seminaristen. Einer hieß Arthur wie mein Vater und beherrschte Kartentricks, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ein anderer hieß Paul und hatte mit der Jungfrau Maria gesprochen. Er behauptete, sie habe einen Regenmantel getragen und einen seltsamen Hut aufgehabt, es sei aber ohne jeden Zweifel die Heilige Jungfrau gewesen. Einer hieß Lothar und weinte jede Nacht so laut, dass wir kaum schlafen konnten, und auch mein alter Freund Kalm war hier, umgeben vom sanften Glanz seiner Frömmigkeit.

«Ich wünschte, ich wäre wie du», sagte Kalm beim Abendessen. Es gab Kartoffelbrei mit Fisch. Der Brei war geschmacklos und der Fisch zerkocht, trotzdem hätte ich gern mehr gehabt.

«Blödsinn.»

«Du wirst den Menschen helfen können. Du wirst es weit bringen. Nach Rom. Und wer weiß, wie hoch hinauf.»

Nach dem Abendessen versammelten wir uns wieder in der Kapelle. Wir knieten uns hin, die Mönche sangen, ihre Stimmen flossen ineinander zu einer einzigen volltönenden Stimme, und die Kerzen füllten das Kirchenschiff mit tanzenden Schatten.

Ich verlange es, sagte ich. Ich habe es verdient. Gib mir ein Zeichen.

Nichts geschah.

Ich stand auf. Neugierige Blicke trafen mich, aber keiner mischte sich ein. Immerhin waren es Andachtsübungen, manche hatten Visionen, andere vernahmen Stimmen, so etwas wurde erwartet, es gehörte dazu.

Jetzt, sagte ich. Jetzt wäre der Moment. Sprich zu mir, wie du zu Mose gesprochen hast aus dem brennenden Busch, zu Saul auf der Straße nach Gethsemane, zu Daniel vor dem König von Babylon, zu Jeremias, als er den Lauf der Sonne anhielt, zu den Aposteln des Auferstandenen, auf dass sie die Wahrheit verkünden konnten. Die Welt ist kaum einen Tag älter seither, über den Himmel zieht dieselbe Sonne, und wie sie vor dir gestanden haben, so stehe jetzt ich vor dir und bitte um ein Wort.

Nichts geschah.

Es ist wirklich nicht meine Schuld, sagte ich. Ich bemühe mich doch. Ich blicke auf, und da bist du nicht, ich sehe mich um, und du bist nicht da, ich sehe dich nicht, ich höre dich nicht. Ein kleines Zeichen nur. Kein anderer bräuchte es zu sehen. Ich würde kein Aufheben davon machen, niemand würde es erfahren. Oder besser noch, gib kein Zeichen, lass mich einfach glauben. Das würde genügen. Wer braucht Zeichen? Lass mich glauben, dann geschieht alles, ohne dass etwas geschieht.

Ich wartete und blickte ins flackernde Kerzenlicht. War es geschehen? Vielleicht glaubte ich schon, ohne es zu wissen. Musste man wissen, dass man glaubte? Ich horchte in mich.

Aber nichts hatte sich geändert. Ich stand vor einem Altar in einem steinernen Bau auf einem kleinen Planeten, der einer von hundert Milliarden Milliarden war. Galaxien von unerträglicher Ausdehnung wirbelten im schwarzen Nichts, durchzogen von Strahlung, ein langsam sich in Kälte auflösendes All. Ich kniete mich wieder auf das flache, freundliche Betkissen und faltete die Hände.

Am nächsten Morgen wurde ich zum Abt gerufen. Feist, klug und einschüchternd saß Pater Freudenthal im purpurnen Habit der Augustinerchorherren an seinem Schreibtisch. Er machte eine einladende Handbewegung, besorgt setzte ich mich.

Das sei nicht ungesehen geblieben, sagte er mit weicher Stimme. Gestern, in der Abendandacht.

«Es tut mir leid.»

Junge Leute wie ich seien selten. Solche Begeisterung. Solcher Ernst.

Ich merkte, dass ich bescheiden lächelte. Ein Heuchler, dachte ich verblüfft. Nie hatte ich es geplant, nie mich darauf vorbereitet, aber offenbar war ich ein Heuchler!

Manchmal meine man, sagte Pater Freudenthal, solche jungen Männer gebe es nicht mehr. Aber es gebe sie eben doch! Er sei sehr bewegt.

Ich neigte den Kopf.

«Eine Bitte.» Er öffnete die Schublade und nahm ein Exemplar von Mein Name sei Niemand heraus. «Unsere Klosterbibliothek sammelt signierte Bücher. Könntest du deinen Vater bitten, seinen Namen hineinzuschreiben?»

Zögernd nahm ich das Buch entgegen. Arthur signierte niemals, keiner wusste, wie seine Unterschrift aussah.

«Das ist gar kein Problem», sagte ich langsam. «Das macht er sicher gern.»

Seit einer Dreiviertelstunde warte ich. Ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin, aber da die Klimaanlage funktioniert, ist es mir ganz recht. Die Hitze drückt gegen die Fenster, die Luft draußen ist vollgesogen mit Sonnenlicht; unwillkürlich frage ich mich, ob die Scheiben halten werden. Ich nippe an meinem Pappbecher mit Kaffee. Vor mir steht ein leerer Glasteller, die Kekse habe ich längst gegessen. Niemand füllt nach.

Von nebenan dringen Bürogeräusche: Stimmen, Telefone, das Sirren von Druckern und Kopiergeräten. An einem Schreibtisch sitzt eine Sekretärin mit sehr kurzem Rock. Ihre Beine sind mir deutlich bewusst: bräunlich und muskulös, die Haut geschmeidig glatt. Wenn ihr Blick mich streift, dann so, wie man einen Tisch ansieht, einen Kühlschrank oder einen Stapel Papierkartons. Ich bin froh über meine Priesterkleidung. Wäre ich in Zivil, so ein Blick wäre unerträglich.