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«Führt ihr noch Exorzismen durch?»

«Ob wir …?»

«Dämonische Besessenheit. Macht ihr das noch? Habt ihr Leute dafür?»

«Ich weiß nicht. Kann schon sein.»

Er nickt, als hätte meine Antwort eine Vermutung bestätigt.

Eric hat sein Essen noch nicht angerührt. Ich breche die letzte Schale auf, Sauce tropft auf meinen Ärmel, dann widme ich mich den Nudeln, aber das fällt schwer, der Teller ist voll zerbrochener Muschelschalen. Meine Finger riechen nach Fisch. Und immer wieder stößt mich mein Sitznachbar mit dem Ellenbogen, er gestikuliert wild. Ihm gegenüber sitzt ein Mann mit Glatze und Brille, die beiden sprechen über das Bonitätsrating eines Rentenfonds.

«Was ist die klassische Lehrmeinung?», fragt Eric. «Muss man einen Dämon zulassen, wenn er kommt? Braucht er eine Einladung, oder kann er einen einfach in Besitz nehmen?»

«Warum willst du das wissen?»

«Ein Buch, nur ein Buch. Ich habe so ein Buch gelesen. Ein seltsames Buch. Egal.» Er nimmt sein Wasserglas, betrachtet es, nippt daran und stellt es ab.

«Also, was wolltest du mit mir besprechen?»

Er runzelt die Stirn und blickt auf sein Telefon. Ich warte. Er sagt nichts.

Allmählich wird es anstrengend. Ich hole mein Telefon hervor, tippe eine Nachricht: Wie geht es dir, ruf mich doch an, wenn du mal Zeit hast! Martin, und schicke sie an Eric.

Gerade hat er sein Telefon weggelegt. Es vibriert, er greift danach, blickt darauf und zieht die Augenbrauen hoch. Ich warte, aber er sagt kein Wort. Er lächelt auch nicht. Er reibt sich die Schläfen, legt das Telefon wieder weg, nimmt es, legt es wieder weg und sagt: «Diese Hitze!»

Ich gebe zu, es war kein sehr geistreicher Scherz, aber ein kurzes Lächeln wäre angebracht gewesen. Warum fällt es ihm so schwer, höflich zu sein? «Wie geht es Laura?», frage ich. Ich kenne seine Frau kaum. Eine Schauspielerin, was sonst. Sehr gut aussehend. Was sonst. «Und Marie?»

«Sie ist gut in der Schule. Manchmal macht sie mir Sorgen.»

«Warum?»

«Sie macht mir manchmal Sorgen. Aber sie ist gut in der Schule.»

«Und deine Mutter?»

«Sie hat jetzt diese Fernsehsendung. Leute rufen an, erzählen von ihren Krankheiten, sie sagt etwas dazu.»

«Ich dachte, sie ist Augenärztin.»

«Es gab ein Casting, sie hat gewonnen, unter dreihundert Kollegen. Sie hat gute Quoten. Und deine Mutter?»

«Gesund. Gott sei Dank. Das Rentnerdasein bekommt ihr, sie liest alles, was sie immer lesen wollte.»

«Wohnst du noch bei ihr?»

Ich sehe ihm an, was er denkt. Aber warum soll ich es verheimlichen? Die Stunden bei Mama sind friedlich und hell, sie sind die schönsten des Tages. Wir essen Kuchen, wir sitzen einander gegenüber, reden wenig und warten darauf, dass der Abend kommt. Was ist Schlechtes daran? «Ich wohne im Pfarrhaus. Aber ich bin oft bei ihr.»

«Jeden Tag?»

«Isst du deine Pasta noch?»

Er blickt auf seinen unberührten Teller, als sähe er ihn zum ersten Mal. Aber bevor er antworten kann, bleibt hinter ihm ein Mann stehen, bleckt die Zähne und schlägt ihm auf die Schulter. «Friedland!»

Eric springt auf. «Remling!» Er tut so, als wolle er den Mann in den Magen boxen, der wiederum hält Erics Oberarm fest. Beide lachen gezwungen.

«Lassen die hier schon jeden rein?»

«Wie man sieht!»

«Alles gut?»

«Klar! Selbst?»

«Na klar!»

«Das Spiel neulich! Eine Schande!»

«Der Wahnsinn!»

«Ich dachte, ich erschieße mich! Das ist mein Bruder.»

Remling sieht mich an. Ein Anflug von Überraschung gleitet über sein Gesicht: der übliche Blick von Leuten, die sich unerwartet einem Priester gegenüberfinden. Er streckt mir die Hand hin, ich ergreife und schüttle sie.

Dann starren die beiden ins Leere. Offenbar fällt keinem mehr etwas ein.

«So, so!», sagt Remling. «Na dann!»

«Klar!», ruft Eric.

«Lass uns mal. Zusammen.»

«Unbedingt!»

Remling nickt mir zu und geht zu seinem Tisch am Fenster zurück.

«Ich hasse ihn. Hat mir letztes Jahr fast den Ostermann-Deal ruiniert.» Eric setzt sich wieder und tippt auf seinem Telefon. Hinter ihm taucht der Kellner auf, beugt sich über seine Schulter und trägt so schnell meinen leeren und Erics unberührten Teller ab, dass ich nicht protestieren kann. «Na dann!» Eric steckt das Telefon weg, schiebt den Stuhl zurück und steht auf. «War schön, dich zu sehen. Ich muss jetzt ganz schnell weg, ein wichtiger Termin, du kannst dir ja nicht vorstellen, was gerade alles ansteht. Bist natürlich eingeladen.»

«Aber warum wolltest du mit mir reden?»

Eric ist bereits auf dem Weg zum Ausgang. Er dreht sich nicht mehr um, stößt die Tür auf, ist schon fort.

Ob ich noch etwas bestelle? Aber es ist teuer, die Portionen sind klein, und gleich an der Ecke gibt es Currywurst.

Ein paar Minuten bleibe ich noch. Ich werde den Kellner bitten müssen, den Tisch wegzurücken, dann wird der Mann neben mir gezwungen sein, aufzustehen, dann wird man auch seinen Tisch wegrücken, was wiederum bedeutet, dass auch der Mann ihm gegenüber aufstehen muss. Das halbe Restaurant wird auf den Beinen sein, bis endlich auch ich stehe.

Ich bin spät dran. Um zwei wartet Mama mit dem Kuchen, danach muss ich zum Treffen der Katholischen Jugend, und am Abend ist wieder eine Messe abzuhalten. Was in aller Welt wollte Eric von mir?

Bedächtig trinke ich mein Wasserglas aus und lächle wohlwollend allen Menschen im Raum zu. Seid gesegnet, ob ihr wollt oder nicht. Das ist meine Funktion. Tag für Tag lege ich Zeugnis davon ab, dass die Dinge geordnet sind und dass Sinn herrscht in den Belangen des Kosmos. Was ist, soll sein. Was sein soll, ist. Ich bin Anwalt der bestehenden Dinge, Verteidiger des Status quo, wie auch immer er sei. Das ist mein Beruf.

Und so schlecht ist die Welt ja wirklich nicht. Dank sei Gott, den es nicht gibt, zum Beispiel für Restaurants und Klimaanlagen. Ich werde doch ein Dessert bestellen. Schon winke ich dem Kellner.

Ich saß in der Bibliothek des Priesterseminars, den Würfel versteckt hinter einer Ausgabe von Stadien auf des Lebens Weg, als Kalm hereinkam und mir sagte, mein Vater sei am Telefon.

Zum Gemeinschaftsapparat musste man eine Treppe hinunter, dann durch einen langen Gang, dann eine zweite Treppe empor. Den ganzen Weg über hatte ich die Befürchtung, Arthur könnte wieder auflegen. Schwer atmend erreichte ich das Telefon, der Hörer baumelte an der Schnur.

«Hast du Zeit?»

Es war wirklich seine Stimme. Ich hatte sie mir nie ins Gedächtnis rufen können, aber jetzt erkannte ich sie, als wäre kein Tag vergangen.

«Zeit wofür?»

«Ich bin gerade in der Gegend. Schlechter Moment?»

«Du meinst – jetzt?»

«Ich bin hier.»

«Wo?»

«Komm heraus.»

«Jetzt?»

«Also doch ein schlechter Moment?»

«Nein, nein. Du bist hier?»

«Das sage ich doch. Vor dem Haus.»

«Diesem Haus?»

Arthur lachte und legte auf.

Ein Jahr war es her, dass in seinem letzten Erzählband seine merkwürdigste Geschichte erschienen war. Sie hieß Familie, und es ging darin um seinen Vater, seinen Großvater, seinen Urgroßvater, es war die Geschichte unserer Vorfahren, Generation um Generation, bis zurück in ein vage umrissenes Mittelalter. Das meiste ist reine Erfindung, denn über das Vergangene, so Arthur zu Beginn, weiß man nichts: Man meint, die Verstorbenen wären irgendwo aufbewahrt. Man meint, dem Universum blieben ihre Spuren eingeschrieben. Aber das stimmt nicht. Was dahin ist, ist dahin. Was war, wird vergessen, und was vergessen ist, kommt nicht zurück. Ich habe keine Erinnerung an meinen Vater. Seltsamerweise hatte ich mich bestohlen gefühlt. Es waren auch meine Vorfahren.

Ich trat auf die Straße, und dort stand er. Die Haare wirr wie ehedem, die Hände in den Taschen, auf der Nase die gleiche Brille. Bei meinem Anblick breitete er die Arme aus, für einen Moment dachte ich, er würde mich umarmen, aber es war nur eine Geste des Erstaunens über meine Seminaristenkleidung. Er schlug einen Spaziergang vor, ich war plötzlich zu heiser, um zu antworten.