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«Was heißt das eigentlich, da auf deinem Hemd? Bubbletea is not a drink I like, was heißt das?»

Er sieht mich ratlos an, er scheint noch nie darüber nachgedacht zu haben.

«Egal», sage ich. «Weiter.»

Er hustet, reibt sich die Augen. Er, Ron und Carsten hätten also Ron, den Kerl, der vorgestern auf Ron in der Diskothek losgegangen sei, eben auf der Straße getroffen.

«Das ist aber ein Zufall!»

Kein besonderer Zufall, sagt er, sie seien am Nachmittag oft auf dieser Straße, und Ron sei fast jeden Nachmittag auch auf dieser Straße, dennoch hätten sie die Begegnung nicht kommen sehen, und Ron offenbar auch nicht, denn sonst wäre es ja wirklich zu blöd von ihm gewesen, zu genau der Zeit allein auf dieser Straße aufzukreuzen. Also sei er aufgemischt worden. Gar nicht einmal auf die allerbrutalste Art, aber doch gründlich und wie es sich gehöre.

«Das ist schlimm», sage ich.

Ja, aber noch nicht das Schlimmste, denn da sei das Butterfly noch nicht im Spiel gewesen. Ein Mann habe sich wichtiggemacht, und …

Pater Tauler steht auf, geht zum Getränkeautomaten, zieht eine Cola-Flasche heraus, öffnet sie, geht wieder zu den beiden Mädchen und trinkt. Ich sehe ihm neidvoll zu.

«Wie bitte? Entschuldige, ich war einen Moment … Wie?»

Ron fragt, ob ich ihm nicht zugehört hätte.

«Bitte noch einmal!»

Na, dieser Mann also. Habe sich wichtiggemacht! Obwohl ihn das doch gar nichts angegangen sei, nicht das Geringste! So ein Schnösel sei das gewesen. Habe gar nicht in die Gegend gepasst, wer weiß, woher der gekommen sei! Habe sich einfach wichtiggemacht!

«Und dann?»

Na, Messer. Butterfly. Einfach so, zack, klick, zugestochen, ganz schnell. Dann seien sie weggelaufen, bloß Ron sei liegen geblieben.

«Ron?»

Na, nicht der, der zugestochen habe, der andere! Er reibt sich das Gesicht.

Die Aufschrift auf seinem T-Shirt stört mich plötzlich enorm. Warum wird so etwas hergestellt? «Hat jemand die Polizei gerufen?»

Wahrscheinlich, sagt er. Irgendwer rufe doch immer die Polizei.

«War der Mann verletzt?»

Er sieht mich an, als wäre ich schwer von Begriff. Klar, sagt er langsam. Na sicher doch. Na wie denn nicht! Ron habe zugestochen! Mit dem Butterfly! Wie solle man denn da bitte nicht verletzt sein? Er blickt zum Pingpongtisch hinüber, dann zu den PlayStations, dann beugt er sich vor und fragt, ob ich ihm Solution erteilen könne.

«Absolution?»

Absolution, ja. Ob er die von mir haben könne. Und wenn die Polizei bei ihm auftauche, ob ich bestätigen könne, dass nicht er zugestochen habe, sondern dass das Ron gewesen sei.

«Wie soll ich das bestätigen?»

Mir ist schwindlig, und diesmal liegt es nicht an der Hitze. Passiert das tatsächlich? Noch nie ist jemand mit einer Gewalttat zu mir in die Beichte gekommen, so etwas geschieht einfach nicht, auch wenn Krimi- und Drehbuchautoren denken, dass es jede Woche vorkommt. Ich könnte die Polizei rufen. Aber das darf ich nicht. Oder muss ich sogar? Ist das hier überhaupt eine Beichte? Wir sind nicht im Beichtstuhl, nicht einmal in einer Kirche. Bin ich etwa verpflichtet, die Polizei zu rufen? Alles ist schwierig, und es ist so heiß.

Als hätte er meine Gedanken erraten, beginnt er zu weinen. Tränen rollen ihm über die stoppeligen Kinderwangen. Bitte, sagt er. Bitte! Herr Pfarrer!

Andererseits, denke ich, nehmen wir eben an, es ist eine Beichte. Ich kann das entscheiden, ich mache es zu einer. In diesem Fall darf ich gar nicht zur Polizei. Das Kirchenrecht verbietet es, und das Gesetz des Staates schützt mich. Die Angelegenheit wäre sofort erledigt. Und die Absolution? Warum denn nicht! Es gibt keinen Gott, der dem Jungen verzeihen muss, nur weil ich das Kreuz geschlagen habe. Es sind Worte. Es ändert nichts.

Ron wischt sich die Tränen weg. So schnell sei alles gegangen. Er habe doch nichts dafürgekonnt. Und warum habe der Schnösel sich auch wichtigmachen müssen!

Ich weiß, dass ich es mir vorwerfen werde, oder vielmehr: dass ich gezwungen sein werde, es zu vergessen, damit ich es mir nicht vorwerfen muss. Aber da ich nun einmal mit der Bewegung begonnen habe, kann ich sie nicht mehr abbrechen, also schlage ich das Kreuz über ihm, von oben nach unten, von rechts nach links, und er fängt wieder an zu weinen, vor Rührung diesmal, vielleicht glaubt er wirklich, dass ihm das irgendeine Feuerhölle erspart, und ich wehre ab und sage, dass er zur Polizei gehen und alles erzählen müsse, und er sagt, klar werde er das tun, und ich weiß, dass er lügt, und er weiß, dass ich es weiß.

Danke, sagt er wieder. Danke, Herr Pfarrer!

«Aber geh zur Polizei. Sag ihnen, was –»

Ja klar! Zur Polizei. Und dann will er von vorne anfangen und mir die ganze trübe Geschichte wieder erzählen, aber nun reicht es. Ich springe auf.

Ron sieht zu mir empor – einerseits befreit, weil er meint, ich hätte die Sünde von ihm genommen, andererseits besorgt, weil er sich mir anvertraut hat. Ich sehe in sein Gesicht, in seine verschwommenen Augen, aus denen mich eine noch ungeformte, eine sich selbst unbekannte Person anblickt. Furcht liegt in seinem Blick, aber auch ein Zug sanfter Bösartigkeit und die Frage, ob ich nicht jemand bin, der zum Schweigen gebracht werden sollte.

Ich lächle ihm zu, er lächelt nicht zurück. «Das wird schon», sage ich und habe keine Ahnung, was ich damit meine. Ich strecke ihm den Arm entgegen, er steht auf, und wir schütteln uns die Hände. Die seine ist weich und feucht, er lässt sofort wieder los. Mir ist, als ob alles klarer wäre, besser, richtiger, wenn ich nur die Aufschrift auf seinem Hemd verstehen könnte. Entschlossen wende ich mich ab und bedeute Pater Tauler, dass ich gehen muss. Er zieht überrascht die Augenbrauen hoch, ich zeige auf meine Armbanduhr und die Zimmerdecke – die in aller Welt verständliche Geste für einen Termin an höherer Stelle.

«Herr Pfarrer?» Ein junges Mädchen, sie trägt eine Kette mit Kruzifix, stellt sich vor mich hin. «Ich habe eine Frage.»

«Sprich mit Pater Tauler.»

Enttäuscht gibt sie den Weg frei, ich erreiche die Tür und das Treppenhaus. Schnaufend arbeite ich mich empor. Aufgelöst in Schweiß, betrete ich die marmorkühle Eingangshalle.

«Friedland!»

Ausgerechnet jetzt. Er ist dünn und groß, sein schwarzes Gewand ist elegant geschnitten, seine Frisur erstklassig und seine Brille von Armani. Natürlich schwitzt er nicht.

«Hallo, Finckenstein.»

«Heiß ist es bei euch.»

«Das bist du doch jetzt gewohnt.»

«Ja, der Sommer in Rom ist schlimm.» Er verschränkt die Arme, lehnt sich ans steinerne Treppengeländer und mustert mich mit unklar amüsiertem Ausdruck.

«Gerade habe ich jemandem die Beichte abgenommen. Stell dir vor, er hat … Ich meine, was macht man, wenn jemand … Wie ist das mit dem Beichtgeheimnis, wenn … Egal. Nicht jetzt. Egal.»

«Spielst du noch mit deinem Würfel?»

«Ich bereite mich auf die Meisterschaft vor.»

«Es gibt wirklich noch Rubik-Meisterschaften? Hast du Zeit? Wollen wir was zusammen essen?»

Ich zögere. Eigentlich möchte ich nicht von seiner Karriere hören, von seinem Leben in gekühlten Räumen, seinem Aufstieg und Erfolg. «Gern.»

«Dann komm. Ein frühes Abendessen, etwas Leichtes, viel schafft man ja nicht bei diesem Wetter.» Er geht die Marmortreppe hinauf, unentschlossen folge ich ihm.